Arbeit in schwindelerregender Höhe: Dieser Mann kennt Lemgo von oben wie kein Zweiter

Lemgo. Die Stadt von oben kennt wohl kein Lemgoer so genau wie Gregor Bäumer. Nach 47 Jahren und 5 Monaten hat der Dachdecker seinen Ruhestand angetreten. Wohlverdient, so viel darf man dem Neutralitätsgebot zum Trotz wohl sagen bei Gregor Bäumer, der schon mit 14 in die Lehre gegangen ist und am Ende fast 48 Jahre für eine Firma – Raabe Bedachungen – an Lemgos luftigen Arbeitsplätzen schaffen sollte.

Und was für Arbeitsplätze: Wo es anderen kalt den Rücken runter läuft, schwärmt Bäumer – heute 62 Jahre alt – vom Job an der frischen Luft und Weitblicken, die ihresgleichen suchen. Denn der Lemgoer hat sich neben der normalen Dachdeckerei aufs Spenglerhandwerk, also das Bearbeiten und Einbauen von Blechen, spezialisiert. Und damit war der frischgebackene Rentner beim Dachdeckerbetrieb Raabe erster Mann für Kirchtürme & Co.

Mehr als 60 Meter hoch an den Türmen von St. Nicolai. Oder Mitte der 70er Jahre ein paar Dutzend Meter tiefer, allerdings immer noch in schwindelnden und im Zweifelsfall lebensgefährlichen Regionen, auf den Pfannendächern der lutherischen Kirche. &bdquo;Die fünf Dächer haben wir alle damals neu gemacht – ebenso wie die Sandsteinrosen“, erinnert sich Gregor Bäumer an eine Zeit, &bdquo;in der noch viel weniger Sicherung war als heute“.

"Respekt ja - aber keine Angst" Trotzdem: Angst war nie dabei, wenn sich der heute 62-Jährige aufs Gerüst schwang. Respekt ja. &bdquo;Sonst wird man leichtsinnig“, bestätigt der erfahrene Dachdecker. &bdquo;Unsere Arbeit darf einfach nicht zur Routine werden – sonst fehlt die nötige Konzentration.“

Einmal in den Achtzigern fehlte es Gregor Bäumer zwar nicht an Konzentration, aber doch an dem letzten Quäntchen Glück. Doch es sollte zurückkehren. An einer alten Scheune deckte Firma Raabe das Dach – mit großen Platten. Plötzlich fing es an zu regnen. Latten, Dachplatten: Alles wurde nass, wurde rutschig. Als sich Gregor Bäumer über eine Plattenbahn beugt, rutsch er ab. &bdquo;Da denkt man nicht mehr viel“, sagt er.

Ärzte glauben nicht ans Überleben Der Dachdecker fiel zehn Meter tief. &bdquo;Erst wollte ich einfach weiterarbeitet. Der Schock“, sagt Bäumer. Doch dann kamen die Schmerzen, vor allem im Bauch. Der Krankentransport kam. Die Diagnose: Lungentrauma, Bauchspeicheldrüse geplatzt ... Mit Blaulicht fuhren sie den Lemgoer in die Klinik. Die Prognose war schlecht: Bäumers Überlebenschancen? Die Ärzte stuften sie als gering ein.

Es folgten vier Wochen Koma. &bdquo;Dabei wollten wir Samstag doch einen Geburtstag in der Familie feiern“, erinnert sich der heute 62-Jährige. Er kam durch, überlebte, und stieg wieder aufs Dach. &bdquo;Nur als ich noch einmal auf derselben Baustelle war, da wurde mir schon ein klein wenig mulmig – aber das ging schnell vorbei“, beschreibt der Lemgoer die Art der Bewältigung, die man wohl am besten als Konfrontationstherapie beschreiben könnte.

Es blieben die außergewöhnlichen Baustellen, die Gregor Bäumer reizten. Der Fernmeldeturm auf dem Köterberg etwa, den er abdichtete. &bdquo;Kein Lärm, kein Gestank – nur frische Luft“, beschreibt der begeisterte Angler die Situation. Auch oder gerade mitten im Winter. &bdquo;Es war richtig, richtig kalt auf dem Köterberg ... aber es war auch wunderschön“, sagt Bäumer.

Als Kupfer noch zwei Markt kostete Dann: Bad Pyrmont, die Wandelhalle. Ein Kupferdach, vorpatiniert, 2500 Quadratmeter. Ein Riesenjob. &bdquo;Das wäre bei den Kupferpreisen heute gar nicht mehr möglich“, meint der Lemgoer, der auch am Dach des &bdquo;Eau-Le“ Spuren hinterlassen hat. Damals kostete das Kilo Kupfer zwei Mark. Heute sinds acht Euro.

Am Spenglern hat Gregor Bäumer stets das Handwerkliche gereizt. Zink, Kupfer, Blei – alles muss direkt vor Ort gefalzt, gekantet und zurechtgemacht werden, damit es passt. &bdquo;Und wenn im Hochsommer für den Mittag Hitze mit mehr als 30 Grad angesagt war, dann haben wir auch schon mal um 4 Uhr damit angefangen“, erinnert sich der Rentner gemeinsam mit Geschäftsführer Stefan Raabe.

Spielzeugautos im Mörtel Stefan Raabe ist die fünfte Generation, die den Betrieb führt. Drei Generationen hat alleine Bäumer begleitet: Als Lehrling begann er bei Wilhelm Raabe, Großvater des heutigen Chefs. Drei Jahre später schloss er dann schon bei Wilhelms Sohn, Hans-Joachim Raabe, seine Lehre erfolgreich ab.

&bdquo;An unserem früheren Betriebssitz in der Heustraße musste Gregor noch Kalk einlöschen und diesen mit Sand und Zement zu Dachdeckermörtel mischen. Blöd nur, dass dieser Sand von mir zum Spielen genutzt wurde und Gregor so regelmäßig Spielzeugautos und anderes Spielzeug in seinem Mörtel fand“, erinnert sich Stefan Raabe.

In diesem Jahr hat der erfahrene Dachdecker auch Sören, Sohn Stefan Raabes, bei seinem Praktikum begleitet. Vielleicht hat er so noch die sechste Generation auf den Weg gebracht und Spaß am Beruf geweckt.

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