Michael Raveh vollendet das Werk seines Vaters

Lemgo. Die Erinnerungskultur macht keine Corona-Pause. Dem Virus zum Trotz hat Michael Raveh, Sohn der Holocaust-Überlebenden und Ehrenbürgerin Karla Raveh, nun ein Buch veröffentlicht, um einem anderen Virus keine Chance zu geben: dem Faschismus. Live aus Israel zugeschaltet, bezeichnete es der Angehörige von Israels sogenannter Zweiter Generation als &bdquo;unsere Pflicht weiterzugeben, was geschehen ist".

Dass Michael Raveh dies ausgerechnet aus der Perspektive von Shmuel Raveh schildert, dem Mann von Karla, seinem Vater, ist ein Wunder. Und zwar im doppelten Sinn. Nach der Deportation durch die Nazis musste Shmuel als junger Mann nämlich in einem Zwangsarbeitslager in Osteuropa schuften – &bdquo;in einem der wenigen, in dem überhaupt eine Überlebenschance bestand", wie der ehemalige Lemgoer Museumsleiter Jürgen Scheffler betont.

Shmuel Raveh überlebte, auch einen der sogenannten Todesmärsche, indem er floh. Er wurde verletzt, von amerikanischen Soldaten gerettet und nach Lemgo ins Lazarett gebracht. Hier lernte er Karla Frenkel, die gebürtige Lemgoerin kennen, mit der er vier Jahre nach der Befreiung nach Israel auswanderte. Erst nach Jahrzehnten diktierte ihm Karla Raveh dort ihre Erinnerungen unter dem Titel &bdquo;Überleben" in die Schreibmaschine – ein Manuskript, das 1986 in Lemgo Aufsehen erregte und den Beginn von Karla Ravehs besonderer Beziehung zu ihrer Geburtsstadt markiert.

&bdquo;Er war auch zurückhaltend, was seine Biografie anging" Noch während des Aufenthalts 1986 in Lemgo erkrankte Shmuel Raveh schwer, wurde hier behandelt, starb aber noch vor Jahresende in Israel. &bdquo;Während die Geschichte von Karla Raveh gut bekannt ist, weil sie jahrelang als Zeitzeugin zur Verfügung stand, konnte Shmuel nicht viel über seine Vergangenheit erzählen", sagt der Leiter der städtischen Museen, Fabian Schröder. &bdquo;Er war auch zurückhaltend, was seine Biografie anging", weiß Vorgänger Jürgen Scheffler, der nach Worten von Bürgermeister Dr. Reiner Austermann &bdquo;ganz viel Arbeit und Herzblut in das Buchprojekt gesteckt hat".

Shmuel Raveh, ein typischer Vertreter der zweiten Generation, der seine Kinder nicht mit der Erinnerung an die schlimmen Schrecken der Nazi-Zeit belasten wollte?

Teilweise stimmt das sicher. Doch dann stieß Michael Raveh beim Aufräumen auf Textfragmente aus der Feder seines Vaters. Davon berichtete er in Lemgo, nachdem Karla Raveh 2017 gestorben und mit großer Anteilnahme in St. Nicolai verabschiedet worden war.

Zuvor hatte Michael Raveh noch die Chance genutzt, sich mit Karla über das auszutauschen, was sein Vater niedergeschrieben, aber unvollendet gelassen hatte. Michael Raveh: &bdquo;Es war eine gute Sache, das Buch zu beenden." Also füllte er die Lücken zwischen den Fragmenten, unter anderem mit der Geschichte der Juden im ostpolnischen Deblin. Das Ganze liegt nun als Buch vor, das über die städtischen Museen zu bekommen ist.

Shmuel Ravehs Leben soll Theaterstück werden Doch nicht nur das: Wie Fabian Schröder sagt, ist ein Kooperationsprojekt mit der Karla-Raveh-Gesamtschule geplant. Dort formiert sich nach den Worten des Museumschefs eine Theatergruppe, die zur Biografie von Shmuel Raveh im Frühjahr 2021 ein Stück aufführen möchte, sofern die Corona-Lage das zulässt. Dazu ist eine kleine Sonderausstellung im Museum geplant.

Der Dienstag wird Michael Raveh eigenen Worten nach als &bdquo;besonderer Tag" in Erinnerung bleiben, &bdquo;an dem der Kreis geschlossen wurde". Für ihn bringe die Lebensgeschichte des Vaters stellvertretend für andere Lichts ins Dunkel des Schicksals und des Leids der Juden in Osteuropa.

Nach Ansicht von Jürgen Scheffler weist die Lebensgeschichte von Shmuel Raveh deutliche Parallelen zu der des früheren Chefs des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, auf. &bdquo;Die Familien kannten sich."

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