Zu viel Grünland in Lippe: „Save the Kitz“ stößt an Grenzen

Lemgo . Wenn der Erfolg zum Problem wird: Das Lemgoer Projekt &bdquo;Save the Kitz", das mit Wärmebild-Drohnen junge Rehe vor dem Mähtod bewahrt, ist dieses Jahr an die Grenzen des Leistbaren gestoßen.

Die Nachfrage nach dem unter anderem von Schülern des Engelbert-Kaempfer-Gymnasiums ( EKG ) ehrenamtlich getragenen Angebot übersteigt bei weitem, was die Jungen, Mädchen und weiteren Ehrenamtlichen leisten können. Vor allem in der Schönwetter-Phase Anfang Juni war Dr. Daniel Muschiol, Lehrer und AG-Leiter, tagelang damit beschäftigt, Absagen zu erteilen.

Hohes Gras ein "Todesurteil" Das Prinzip ist so simpel wie genial: Wird während des Drohnenflugs mit Hilfe der Wärmebildkamera ein Kitz gesichtet, tragen es die Helfer aus der Wiese, erklärt EKG-Schüler Johann. Das Tier kommt in einen Umzugskarton und wird vom Landwirt oder Jäger erst wieder freigelassen, wenn zu Ende gemäht ist. &bdquo;Sonst würde sich das Kitz am Ende doch wieder im hohen Gras verstecken", unterstreicht Johann. Weil die Tiere in den ersten Wochen der sogenannten Setzzeit nicht flüchten, sondern versuchen, sich klein zu machen, kommt das im hohen Gras dem Todesurteil durch das Mähwerk gleich. Und: Ungünstigerweise fallen der meist erste Schnitt von Gras in der Landwirtschaft und die Setzzeit zeitlich zusammen.

Ein Dilemma, auf das &bdquo;Save the Kitz" vor einigen Jahren mit den Drohnen eine technische Antwort gefunden hat. Doch ohne Mensch ist die Technik nichts wert, er ist das Nadelöhr angesichts gewaltiger Zahlen: So ist es &bdquo;Save the Kitz" 2021 zwar gelungen, gut 1800 Hektar (etwa 2500 Fußballfelder) abzufliegen, bevor der Mäher kam. Doch im Kreis Lippe gibt es nach Angaben des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes etwa 9000 Hektar Dauergrünland. Sprich: &bdquo;Save the Kitz" schafft rechnerisch nur jedes fünfte Feld. Feldgras, das, zugegeben in kleinerer Größenordnung, in der Fruchtfolge auch auf &bdquo;normalen" Feldern wächst, ist da noch nicht inbegriffen.

Ihren &bdquo;Job" müssen die 14 AG-Teilnehmer, teils auch ihre Eltern und über 60 weitere ehrenamtliche Helfer, zwangsläufig in den frühen Morgenstunden erledigen. Dann hebt sich das Kitz vor der Wärmebildkamera nämlich noch deutlich von der kühleren Umgebung ab. 436 Kitze wurden so dieses Jahr gesichtet. Gut die Hälfte flüchtete von selbst, 209 aber kamen in die rettende Kiste. &bdquo;Ein tolles Erlebnis und ein gutes Gefühl zu wissen, dass man ein Leben gerettet hat", bestätigt Gymnasiastin Amelie. &bdquo;Einfach wunderschön, das Kitz eigenhändig hinauszutragen", ergänzt Tim.

Alternative für Landwirte

Doch die große Fläche und die knappe Zeit, in der die Landwirte mähen oder mähen lassen, zeigt dem an Helfern und Drohnen beschränkten Projekt &bdquo;Save the Kitz" seine Grenzen auf. Grenzen, die die Schüler bei allen Erfolgen auch bedrücken. Denn wenn keine Drohne samt Team frei ist, können Daniel Muschiol & Co. nur mit den Schultern zucken. Dann muss ein Landwirt das Mähen entweder verschieben – eine endliche Lösung – oder Alternativen suchen. Häufig gehen die Bauern, bestenfalls unter Jäger- und Hundebegleitung, durchs Feld, um nach möglichen Kitzen Ausschau zu halten. Doch wenn man ehrlich ist: Mit moderner Technik sieht man mehr.

Schon vor zehn Jahren hatte Landwirt Albrecht Meyer zu Hölsen außerdem akustische und blinkende Störsignale im Feld im Einsatz, um Kitze aus der Gefahrenzone zu vertreiben. Doch selbst wenn es wie jüngst gelinge, sechs Kitze zu vertreiben, blieben doch immer welche übrig. &bdquo;Das ist natürlich traurig", sagt er. &bdquo;Mit bloßem Auge sind die Tiere leider schwer zu entdecken", bestätigt der Landwirt und sagt: &bdquo;Die Drohne ist die beste Lösung."

Während das Sponsoring- und Technik-Team im Hintergrund und damit die Drohnen selbst wunderbar funktionierten, ist und bleibt die personelle Obergrenze das Problem, sagt Muschiol. Bliebe die Option, das Ganze als gewerbliche Zusatzleistung mit anzubieten, beispielsweise seitens des Lohnunternehmers, der das Mähen für den Landwirt erledigt. Doch hier konnte sich die Kitz-Befliegung noch nicht durchsetzen. Trotz oder auch gerade wegen der Pionierarbeit, die &bdquo;Save the Kitz" als ehrenamtliches Projekt kostenlos anbietet.

Drohnen-Kontrolle ist keine Pflicht

Um diesen Widerspruch weiß auch Tobias Schafmeister, Chef des gleichnamigen Lemgoer Agrarservices, der bis in die niedersächsische Grenzregion hinein als Lohnunternehmer einen Riesenfuhrpark verwaltet und Dienstleistungen rund um Saat, Düngen und Ernte anbietet. Das Abfliegen von Wiesen und Feldgras-Äckern gehört nicht dazu. &bdquo;Die Bereitschaft, dafür zu bezahlen, ist seitens der Landwirtschaft gering", sagt Schafmeister. Wenn sie den kostenlosen Service von &bdquo;Save the Kitz" nicht rechtzeitig bekämen, setzten Landwirte verständlicherweise lieber auf das klassische Abschreiten von Wiesen.

Vorgeschrieben ist nämlich nur, dass ein Landwirt alles in seiner Macht Stehende tun muss, um die Kitze zu retten. Technische Hilfsmittel, deren Erfolgsquote hoch ist, sind keine Pflicht. Unterstützung kommt auch vom Lippischen Landwirtschaftlichen Hauptverein, der nach Angaben seines Vorsitzenden Dieter Hagedorn schon die Anschaffung von Kitz-Drohnen über die Stiftung Lippische Landwirtschaft gefördert hat. Insbesondere die Kooperation mit Jägern und Hegeringen sei beim Einsatz hilfreich.

Bauern wollen nicht zahlen

Eine ganz grobe Kalkulation für das Befliegen läuft bei Schafmeister auf zehn Euro pro Hektar hinaus. Bei größeren Betrieben, die durchaus schon mal 100 bis 150 Hektar Wiese haben, käme so schnell eine vierstellige Summe zusammen, wenn man Ehrenamt durch kostenpflichtige Dienstleistung ersetzen würde. Zum Vergleich: Das eigentliche Mähen kostet knapp 40 Euro je Hektar. Der erste Mähvorgang im Jahr würde somit auf einen Schlag 25 Prozent teurer, wobei man bedenken muss, dass Landwirte ihr Gras zwischen zwei- und viermal jährlich schneiden lassen. So verteilt, relativieren sich die Drohnen-Kosten insgesamt etwas.

Tobias Schafmeister würde den Zusatzservice durchaus anbieten, wenn es zahlungswillige Kunden gäbe. Zwar falle das in eine ohnehin arbeitsreiche Zeit und liege früh morgens recht ungünstig. Aber alleine um Planungssicherheit zu gewinnen, ergebe es für ihn Sinn. So läuft Schafmeister heute nämlich stets Gefahr, dass Landwirte kurzfristig den Mäher abbestellen, weil die &bdquo;Save-the-Kitz"-Helfer noch nicht da waren.

Weitere Entspannung verspricht eine technische Neuerung, von der sowohl Muschiol als auch Albrecht Meyer zu Hölsens Sohn Andreas berichten: &bdquo;Sensosafe" ist ein Sensor, der am Fahrzeug angebracht wird und dafür sorgen soll, dass das Mähwerk automatisch angehoben wird, wenn ein Tier im Gras liegt. Umsonst ist &bdquo;Sensosafe" allerdings auch nicht. Zweifelsohne werden bei &bdquo;Save the Kitz" auch 2022 wieder viele Frühdienste anfallen.

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