Trotz Angriff kein Gewahrsam: Lemgoer Gewaltopfer von Polizei enttäuscht

Lemgo. Wenn Streitigkeiten zwischen Partnern, Freunden oder Nachbarn eskalieren, muss häufig die Polizei einschreiten. Einfach sind solche Einsätze jedoch für alle Beteiligten nicht, denn oft geht gewalttätigen Auseinandersetzungen schon über Wochen oder Monate Ärger voraus, von dem die Polizei in der Regel nichts weiß. Wie schwierig das für Opfer sein kann, zeigt ein Fall aus Lemgo.

Am Donnerstag bitten Vermieter dort die Polizei zwei Mal um Hilfe, weil ein Streit mit einem Mieter eskaliert. &bdquo;Er hat unsere Familie beleidigt, bespuckt, mit dem Tod bedroht und auch körperlich angegriffen. Meinen Schwiegervater hat er in eine Glastür geschubst, die dadurch kaputt gegangen ist", erklärt die Vermieterin, die ihren Namen nicht öffentlich nennen möchte. &bdquo;Auch seine Mitbewohner sowie sein Vater und sein Bruder wurden an dem Tag von unserem Mieter attackiert." Zudem habe er eine Tür eingetreten und sei in die Lagerräume der Bäckerei der Vermieter eingebrochen.

Hintergrund des Streits ist nach Angaben der Vermieterin der gekündigte Mietvertrag für sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft in dem Haus. &bdquo;Es gab keine andere Möglichkeit, weil er seit Wochen seine Mitbewohner drangsaliert und bestiehlt. Trotzdem haben wir auf seine Bitten reagiert und ihm mehr Zeit für den Auszug gegeben", erklärt die Vermieterin. &bdquo;Als am Donnerstag dann zwei Männer die Möbel unseres Mieters aus der Wohnung geräumt haben, sind wir davon ausgegangen, dass es sich dabei um Freunde handelt und unser Mieter sie damit beauftragt hat." Die Möbel seien deshalb auch in einem Lagerraum der Bäckerei untergekommen.

Nach dem ersten Polizeieinsatz greift der Mieter seinen Vater an Doch als der Mieter sein leer geräumtes Zimmer sieht, eskaliert die Situation. &bdquo;Wir haben deshalb die Polizei gerufen, doch trotz seiner Attacken sagten uns die Beamten, dass sie unseren Mieter nicht in Gewahrsam nehmen können, weil ihnen dafür die Handhabe fehle", sagt die Vermieterin. Der Mieter sei zwar freiwillig zur Klärung des Falls mit den Polizisten auf die Wache gefahren, jedoch wenig später wieder zurückgebracht worden. &bdquo;Die Beamten sagten uns, dass von unserem Mieter keine Gefahr mehr ausgeht und er nur zurück in sein Zimmer möchte."

Doch das war nach Einschätzung der Vermieter falsch. &bdquo;Denn kurz nach seiner Rückkehr fuhr er zu seinem Vater und griff ihn an. Danach kam er zurück, brach in die Lagerräume der Bäckerei ein und trat die Zimmertüren seiner Mitbewohner ein, um sie erneut zu bedrohen", erklärt die Vermieterin. &bdquo;Die Mitbewohner haben dann noch mal die Polizei gerufen, doch die Beamten erklärten uns wieder nur, dass sie keine Handhabe für ein Gewahrsam haben. Und das trotz der Aussagen des Vaters und der Mitbewohner über die Attacken." Stattdessen hätten die Mitbewohner dem Mann Zugang zu den gemeinsam genutzten Räumen geben müssen.

Vermieter und Mitbewohner haben große Angst &bdquo;Seitdem haben wir und seine Mitbewohner große Angst, denn wir müssen ja jeder Zeit mit weiteren Angriffen rechnen. Schon in der Nacht ging es weiter und am Freitagmorgen musste die Polizei erneut anrücken", sagt die Vermieterin. Die Familie fragt sich nun, wie es weitergehen soll: &bdquo;Was muss denn noch passieren, bis wir vor diesem Mann beschützt werden?"

Grundsätzlich gilt nach Angaben des Innenministeriums in NRW, dass Polizisten unter bestimmten, rechtlich eng begrenzten Voraussetzungen Menschen in Gewahrsam nehmen dürfen. &bdquo;Auch dann, wenn noch gar keine Straftat begangen worden ist", heißt es aus dem Ministerium. Dazu zähle die Abwehr von Gefahren und die Verhinderung von Straftaten. &bdquo;Wenn die Dauer des Gewahrsams 48 Stunden überschreitet, muss immer ein Richter hinzugezogen werden, der dann entscheidet, ob und wie lange der Gewahrsam fortgesetzt wird." Dabei gelte immer der sogenannte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Polizisten müssen jeden Fall individuell prüfen Dieser Grundsatz gilt nach Angaben der Polizei im Kreis Lippe auch bei der Entscheidung, ob Polizisten jemanden in Gewahrsam nehmen, erklärt Sprecher Lars Ridderbusch. &bdquo;Bei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie bei dem Verdacht darauf, dürfen Polizisten Verdächtige in Gewahrsam nehmen oder Platzverweise aussprechen, um Situationen zu entschärfen und damit Gefahren abzuwehren." Grundsätzlich müssen Beamte jedoch jeden Fall individuell prüfen. &bdquo;Dazu gehört auch das Gespräch mit Verdächtigen. Kündigen sie weitere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an, dann ist der Fall klar. Doch wenn sie zugänglich und friedlich sind, sind Platzverweis oder Gewahrsam nicht immer die Mittel der Wahl."

Auch bei dem Einsatz in Lemgo sind die Beamten laut Ridderbusch zu der Einschätzung gekommen, dass beides nicht nötig ist. &bdquo;Nachdem der Mieter gesehen hat, dass die Sachen aus seinem Zimmer lediglich in einem Lagerraum untergebracht wurden, hat er sich beruhigt und versichert, sich friedlich zu verhalten." Zudem habe der Mieter versichert, dass sein Mietvertrag nicht gekündigt worden sei. &bdquo;Die Prüfung, ob eine Kündigung vorliegt und diese rechtens ist, ist nicht Aufgabe der Polizei. Zudem kann die Polizei nicht einfach jemanden auf die Straße setzen, Platzverweise aussprechen oder Menschen in Gewahrsam nehmen."

Mieter muss sich wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung verantworten Trotzdem kann Ridderbusch auch die Sorgen von Vermietern und Mitbewohnern in solchen Fällen nachvollziehen. &bdquo;Aufgrund der räumlichen Nähe sind das sehr schwierige Situationen, doch in der Regel müssen Probleme dieser Art zivilrechtlich geklärt werden. Vermieter können in solchen Fällen zum Beispiel eine außerordentliche Kündigung des Mietvertrags prüfen." Ridderbusch weist zudem drauf hin, dass Polizisten bei Einsätzen dieser Art nur den Moment beurteilen können und nicht die mitunter schon monatelange Vorgeschichte.

Konsequenzen drohen dem Mieter laut Ridderbusch trotzdem. &bdquo;Es liegen Anzeigen wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Dafür muss er sich verantworten." Zudem habe der Mieter eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen unbekannt gestellt, weil sein Zimmer ausgeräumt wurde.

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