Lemgoer Experten: Das Zwiebelprinzip schützt vor Cyber-Kriminellen

Lemgo. Die jüngsten Hacker-Angriffe auf das Klinikum Lippe und Firmen wie Weidmüller in Detmold zeigen: Übers Internet sind Firmen und Infrastruktur potenziell verwundbar. Erst recht, wenn IT-Kriminelle von heute auf Computertechnik der 90er Jahre treffen. Höchste Zeit, dass sich kleine wie große Firmen mit dem Thema Cyber-Sicherheit auseinandersetzen, meinen die Fachleute des Lemgoer Fraunhofer-Instituts und der TH OWL. Und es gebe gute Möglichkeiten, sich gegen Internet-Kriminelle zu schützen.

Technik der 90er Jahre? Tatsächlich sei es keine Seltenheit, dass in der Produktion noch Computertechnik läuft, die 20 Jahre oder älter ist, sagt TH-Professor Dr. Henning Trsek. Denn: "Die Maschinen, die von den Computern gesteuert werden, werden oft sogar länger als 20 Jahre abgeschrieben." Ein Steuerrechner, der mit Windows 95 läuft, lasse sich aber nicht ohne Weiteres updaten, sagt Lemgos Fraunhofer-Chef Professor Dr. Jürgen Jasperneite. "Denn ich muss gucken: Läuft der Fertigungsroboter, den ich zum Beispiel damit steuere, überhaupt noch, wenn ich den Rechner auf eine aktuelle Windows-Version update?" Früher liefen die Systeme im "Inselbetrieb", sagt Trsek. "Heute ist alles vernetzt und standardisiert und hat einen Internetzugang. Da wird die Angriffsfläche größer." Die Diskrepanz zwischen dem Lebenszyklus der Maschinen in der Industrie und der Schnelllebigkeit der IT sei ein Problem, weiß Jasperneite.

Aber keines, das sich nicht lösen ließe, meinen die Fachleute. Denn wenn die Möglichkeiten begrenzt seien, die veraltete und verwundbare Steuer-IT auszutauschen, dann müsse eben ein Schutzwall her. "Man braucht mehrere Schutzschichten, die sich wie eine Zwiebel um das System legen", sagt Felix Specht vom Fraunhofer-Institut. Dass der Schutz funktioniert, zeigen die Fraunhofer-Mitarbeiter in Firmen mit einem "IT-Sicherheits-Lernkoffer". Außerdem seien geschulte Mitarbeiter enorm wichtig. Los geht es bei dem immer wiederholten Mantra, nicht auf jeden Link zu klicken und beim Öffnen von E-Mail-Anhängen größte Vorsicht walten zu lassen. Denn so können Schadprogramme von außen in Firmennetzwerke eindringen.

Welche Fragen bei der Cyber-Sicherheit zurzeit virulent sind, haben die Forscher kürzlich bei der "KommA"-Tagung ("Kommunikation in der Automation") in der "Smart Factory OWL" auf dem Lemgoer Campus erörtert. Auch wenn es dabei um die Industrievernetzung ging, sind nach Trseks Worten alle, auch kleinere, Unternehmen aufgefordert, etwas zu tun. Doch nicht immer sei das Bewusstsein da, dass Investitionen hier gut angelegtes Geld seien - gerade bei produzierenden Unternehmen. Denn es komme deutlich teurer, wenn die Produktion lahmgelegt sei, die Mitarbeiter nach Hause geschickt werden müssten und im Zweifel sogar Lösegeld an Cyberkriminelle gezahlt werden müsse.

Apropos: Muss es gezahlt werden? Bleibt für Firmen wirklich kein anderer Ausweg? Bin ich den Kriminellen ausgeliefert, wenn ein Trojaner in mein System eingedrungen ist und alle meine Daten verschlüsselt, die ganze IT lahmgelegt hat? "Kommt auf meine Backup-Stratege an", meint Dr. Jens Otto, Gruppenleiter der Fraunhofer-AG "Cybersicherheit". Soll heißen: Wenn ich auf so einen Angriff vorbereitet bin, habe ich die Möglichkeit, meine Daten zurückzuholen.

Zwei Netze müssen her Die Fraunhofer-Mitarbeiter bieten den Firmen einen Check an, bei dem der Betreiber des Netzwerks sehen kann, wo Nachbesserungen bei der Cyber-Sicherheit notwendig sind. Das Grundprinzip, wie es TH-Professor Dr. Volker Lohweg, Leiter des Instituts für industrielle Informationstechnik (InIT), formuliert: "Ich brauche zwei Netze, eines intern, eines extern, die strikt voneinander getrennt sind."

Was sind das für Gruppen, die die IT angreifen? Trsek spricht davon, dass die organisierte Kriminalität am Werk sei. Manche wollten Wissen ausspähen, andere gezielt Firmen schaden, Dritte schließlich Geld erpressen. Ob es nun "private" oder von Staaten finanzierte Kriminelle sind, sei letzten Endes egal, sagt Lohweg und fügt hinzu, dass man für Cyber-Verbrechen "viel, viel Expertenwissen" brauche. Wer die Kapazitäten dafür hat, könne man sich dann selbst ausrechnen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die IT-Kriminellen oft schon Monate, bevor sie endgültig zuschlagen, in die Computernetze eingedrungen seien.

Von Firmen - aber auch von Staaten? Insbesondere um die "kritische Infrastruktur" vom Wasser- bis zum Kraftwerk gibt es Sorgen. Doch aufgrund staatlicher Vorgaben sei auf diesem Sektor schon viel passiert, sagt Trsek. Und Otto weist darauf hin, dass Fraunhofer auch Software entwickelt hat, die Windkraft- und Produktionsanlagen überwachen und so vor Cyber-Angriffen schützen könne.

Kontakt zu Fraunhofer-Ansprechpartner Jens Otto per E-Mail an jens.otto@iosb-ina.fraunhofer.de und unter Tel. (05261) 94290-44.

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