Als Schöffe vor Gericht: "Mit Emotionen geht das nicht"

Lemgo. Von ihrem Urteil hängen Schicksale ab, entscheidet sich bisweilen der Lebensweg. Als ehrenamtliche Richter sind Schöffen den Hauptamtlichen vor Gericht gleichgestellt. Eine große Verantwortung, die nicht für jeden leicht zu tragen und auch nicht an der Gerichtspforte abzugeben ist. Manches hängt nach: Bilder, Eindrücke, die sich nicht mehr abschütteln lassen - und doch, für Herbert Fischer, Michael Reimer und Frank Hoppe ist klar: Sie wären auch in der kommenden Amtszeit gerne wieder dabei.

Für fünf Jahre werden Schöffen gewählt, 2023 läuft die Amtszeit aus und quer durch NRW und auch ganz Lippe werden in den Kommunen bereits neue ehrenamtliche Richter gesucht . Denn das Verfahren ist aufwendig: So sucht allein Lemgo 60 potenzielle Schöffen, aus denen in einem ersten Schritt in den politischen Gremien eine Auswahl getroffen wird. Das letzte Wort hat dann der Wahlausschuss vor Gericht, der 30 Schöffen und Ersatzschöffen aus Lemgo für Amtsgericht, Landgericht Detmold oder auch Jugendschöffengericht bestellt.

Einer, der bereits in der dritten Amtszeit dabei ist, ist Herbert Fischer. Damals, erinnert sich der heute 70-Jährige, ist er über die Landes-Zeitung auf das Amt aufmerksam geworden. Für den engagierten Lemgoer war schnell klar, dass er sich bewerben wollte, "um meine Freizeit sinnvoll zu nutzen". Seitdem ist er als Schöffe am Amtsgericht Lemgo tätig, der Aufwand, sagt Fischer, halte sich durchaus in Grenzen, doch viele Eindrücke, die würden ihn wohl Zeit seines Lebens begleiten.

Gleich der erste Einsatz ist ihm noch nachhaltig in Erinnerung. Eine Frau stand damals vor Gericht, eine ungelernte Kraft, die ein Bekannter überredet hatte, als Geschäftsführerin einer vermeintlichen Firma für Duschabtrennungen zu fungieren. Die bestellten Waren wurden nie geliefert, die Frau wusste gar nicht, was in ihrem Namen geschah, erinnert sich Herbert Fischer. Und doch - aufgrund der Rechtslage musste sie des Betrugs schuldig gesprochen werden. "Das war richtig so. Und doch tat sie mir entsetzlich leid."

"Man muss sich erden" Emotionen aber, sagt auch Frank Hoppe, die darf man sich als Schöffe nicht leisten - auch wenn das mitunter sehr schwer fällt. Der hauptberufliche Feuerwehrmann war als Schöffe unter anderem bei einem Prozess dabei, in dem es um Kinder- und Jugendpornographie ging. 20.000 Dateien hatte der Angeklagte gespeichert, "da muss man sich erden, nicht gleich den Stempel drauf drücken", sagt der zweifache Familienvater - objektiv bleiben. Denn immer gelte: Besteht auch nur der Hauch eines Zweifels, müsse der Angeklagte frei gesprochen werden.

Am Amtsgericht stehen dem Richter zwei Schöffen zur Seite, mit gleichberechtigtem Stimmrecht. Sie sollen die zivile Gesellschaft, die Bürger vor Gericht vertreten, ohne juristische Kompetenz, dafür aber "mit normalem Menschenverstand und Lebenserfahrung", wie es Frank Hoppe formuliert. Und das ist auch nötig, denn die Schöffen erfahren erst im Gerichtssaal, um wen und was es sich bei der Verhandlung dreht.

Es gibt eine Jahresplanung, anhand der die Schöffen die möglichen Termine sehen, zwei Wochen vorher gibt es dann die konkrete Einladung, "doch erst im Gerichtssaal mit dem Plädoyer des Staatsanwaltes erfahren wir, um welchen Strafbestand es geht", erklärt Michael Reimer, der seit gut vier Jahren als Ersatzschöffe dabei ist. Überfordert fühlt er sich damit nicht, vielmehr gelte es, die Aussagen genau zu verfolgen und kritisch zu hinterfragen. Denn der Angeklagte, ergänzt Frank Hoppe, "darf Lügen, bis sich die Balken biegen", für die Zeugen aber sieht das anders aus und aus Angst vor Falschaussagen halten sich viele daher deutlich zurück.

Alle drei Männer haben im Fragebogen als Wunsch das Amtsgericht angegeben. "Weniger zeitaufwendig und auch weniger emotional belastende Fälle", begründet der 52-jährige Frank Hoppe seine Präferenz gegenüber dem Detmolder Landgericht. Auf etwa 15 Verhandlungstage sei er bislang gekommen. Manche mit schnellem Ausgang, manche aber dauern durchaus auch mehrere Stunden. Vor dem Amtsantritt gab es noch eine Führung durch die JVA Detmold - auch das war nachdrücklich, erinnert sich Michael Reimer, führte es ihnen doch vor Augen, was ihr Urteil für den Angeklagten bedeuten kann.

Vor Gericht fühlen sich die drei Männer gut aufgehoben, auch dank der Zusammenarbeit mit ihren Richtern. Jedes Jahr würden sie einem Rechtsvertreter zugeteilt und bei der Urteilsfindung im Gerichtszimmer als gleichwertige Partner wahrgenommen. Dann gibt der Richter noch juristische Hinweise, erkläre Details und im Zweifelsfall werde auch kontrovers diskutiert - einmal erinnert sich Michael Reimer "haben wir das Strafmaß mit den zwei Schöffenstimmen sogar abgemildert".

Ein herausforderndes Amt, das tiefe Einblicke in unsere Gesellschaft gewährt - doch für die drei Lemgoer Schöffen bleibt vor allem eins: das gute Gefühl, etwas zurückzugeben oder, wie es Frank Hoppe formuliert, "seinen Anteil dafür zu leisten, dass sich das Rechtssystem in Deutschland weiterhin als eines der besten der Welt bewährt".

Bewerbung um das Schöffenamt Schöffen und Jugendschöffen werden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Lemgoer Bürger nehmen so am Amtsgericht Lemgo oder am Landgericht Detmold als Vertreter des Volkes an der Rechtsprechung in Strafsachen teil. Dabei sind sie dem Berufsrichter gleichgestellt. Wer sich als Schöffe in Lemgo einbringen möchte, muss vor Ort wohnen, zwischen 25 bis 69 Jahre alt sein und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Im Fragebogen werden weitere Kriterien wie etwa Vorstrafen oder Überschuldung abgefragt. Auch hauptamtlich für die Justiz Tätige (Richter, Polizeibeamte oder auch Bewährungshelfer) und Religionsdiener sind vom Schöffenamt ausgeschlossen. Aus den Bewerbungen legen Rat und Jugendhilfeausschuss dem Schöffenwahlausschuss eine Vorschlagsliste mit 60 Namen vor, aus der 30 Lemgoer Schöffen ausgewählt werden . Ist ein Schöffe bestellt, so muss der Arbeitgeber ihn für die Verhandlungen freistellen und erhält einen Verdienstausfall, der auch Freiberuflern zusteht. Zudem hat der Schöffe Anspruch auf Entschädigung für Zeitaufwand oder Fahrtkosten.

Die nächste Schöffenwahl findet für die Jahre 2024 bis 2028 statt. Bewerbungen sind bis zum 28. April möglich. Weitere Informationen gibt es auf https ://www.ehrenamt-lemgo.de/engagementvielfalt/oeffentliches-ehrenamt/schoeffen/

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