Die Bücherfrauen von Lemgo

Lemgo. Die Zettel sind schmal, die Liste dafür umso länger. Datum für Datum hat Jette Bauer notiert. Für jeden Samstag, den die Bücherfrauen ihre Tische in der Altstadt aufbauten. Seit 20 Jahren.

Wie viele Samstage sie vor dem heutigen &bdquo;Rümpelgold“ in der Haferstraße verbrachten? Die beiden Frauen müssten nachzählen, wohl aber haben sie die Summe parat, die sie über die zwei Jahrzehnte eingenommen haben: stattliche 19.000 Euro, die sie für den jährlichen Sommertreff auf dem Marktplatz spendeten. Dafür verkaufen sie Bücher, manchmal drei Mal im Monat, wenn das Wetter zu garstig ist, lassen sie es auch mal ausfallen. &bdquo;Das entscheiden wir eigentlich immer nach Lust und Laune“, erzählt Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn gut gelaunt, die den Büchertisch zusammen mit Jette Bauer vor 20 Jahren auf die Beine stellte.

Sommertreff musste ausfallen Damals, erinnern sich die beiden Frauen, musste der Sommertreff aus Kostengründen ausfallen. Das dreiwöchige Sommerevent, zu dem die Stadt mit Hilfe von Sponsoren jedes Jahr die Bürger zu Musik, Comedy und Theater auf den Marktplatz einlädt. Die beiden Lemgoerinnen wollten helfen, ihren Beitrag leisten, um die lieb gewonnene Veranstaltungsreihe zu erhalten - was also tun? &bdquo;Wir sind beide begeisterte Leserinnen“, erzählt Jette Bauer, warum also Bücher nicht für den guten Zweck verkaufen. Schnell hatten sie viele Spenden beisammen und fingen an, die Lektüre an Mann und Frau zu bringen. Ein bis zwei Euro kostet das gebrauchte Exemplar und viele Lemgoer haben über die Jahre zugegriffen. Jährlich kamen so durchschnittlich über 1000 Euro zusammen, 2022 schafften es die beiden Frauen gar, 2760 Euro an den Sommertreff zu überweisen.

Viele Stammkunden sind mittlerweile dabei, auch wenn der Standort über die Jahre immer wieder wechseln musste, wie Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn erzählt. Los ging es in der Kramerstraße auf Höhe des Marktplatzes, dann zogen die Frauen an die Neue Straße, die Bücher wurden vorübergehend in einer Eisdiele untergestellt, bevor ihnen ein Geschäftsmann leere Räume in der Haferstraße anbot, wo sie noch heute einen Nebenraum als Lager nutzen dürfen.

Engagement liegt in der DNA In Kartons türmt sich dort die Lektüre, so viel, dass die beiden Lemgoerinnen zwischendurch immer wieder aussortieren müssen. Sachbücher und Bildbände werden gar nicht mehr angenommen. &bdquo;Ladenhüter, die werden wir nicht mehr los“, sagt Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn bedauernd.

Der Büchertisch der beiden Lemgoerinnen gehört mittlerweile am Samstag in der Haferstraße dazu. &bdquo;Wir haben so viele gute Gespräche“, erzählt Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn zufrieden, und das mit älteren, aber auch vielen jüngeren Menschen. Über Bücher, aber auch über ganz andere Themen, da komme man einfach ins Gespräch - ob zu Politik, Familie oder Kultur. Viele bringen ihre gekauften Bücher nach dem Lesen auch als Spende wieder zurück. &bdquo;Da fragen wir dann gleich nach dem Inhalt, wie es gefallen hat, und können den nächsten Käufer entsprechend beraten.“

Engagement, das ihnen Spaß macht und fast ein wenig in ihrer DNA verwurzelt scheint. Beide Frauen kommen aus sozialdemokratischen Familien, soziales Engagement gehörte dabei stets dazu. &bdquo;Meine Mutter hat als Mitarbeiterin von Felix Fechenbach gearbeitet, musste dann ihren Beruf im Nationalsozialismus aufgeben“, erzählt Jette Bauer, die es selbst zum Architekturstudium nach Berlin zog, um später im Architekturbüro mit ihrem Mann den Umbau der Lemgoer Innenstadt zu begleiten.

Zuhause die Zigarren gerollt Lemgo, seine Geschichte und Architektur liegen beiden Frauen am Herzen: Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn ist als Stadt-, Museums- und Kirchenführerin unterwegs und setzt dabei mit eigenen Themen wie Hexenverfolgung, jüdischem Leben oder Lemgoer Frauen immer wieder Akzente. In der Altstadt von Lemgo wuchs sie auf, die Mutter Zigarrenmacherin in Heimarbeit. Am offenen Fenster habe sie oft gearbeitet, noch heute hat Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn das Bild vor Augen, den Geruch in der Nase und spürt die feinen Blätter unter den Fingern, so wie damals, als sie mit ihrem Bruder half, die Tabak-Deckblätter auseinander zu zupfen.

Das alles ist für sie Lemgo, mit all seiner Vielfalt und eben das versuchen sie, weiterzugeben: In Fördervereinen der Museen, bei St. Marien, Jette Bauer in der Freiwilligenagentur, in der Hansekommission, Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn im Stolperstein-Vorstand oder auch als Lesepatin an der Südschule und als Frauen, die sich seit Jahrzehnten in der Politik engagieren. &bdquo;Das Bewusstsein schärfen für das, was Lemgo alles zu bieten hat“, begründen sie ihr Engagement, das Ausdruck ihrer tiefen Verbundenheit mit der Heimatstadt ist. Ein Gefühl, das sich kaum besser beschreiben lässt, als es Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn in Worte fasst: &bdquo;Wenn ich die Kirchtürme von Lemgo sehe, dann ist alles gut.“

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