Lemgoer Orgel-Legende: Bruno Gebauer (85) will die Gemeinde noch lange zum Singen bringen

Lemgo. Am Ende des Gesprächs in einer Kirchenbank der zur Mittagszeit leeren Heilig-Geist-Kirche erzählt Bruno Gebauer eine Anekdote, die auf den ersten Blick wenig zu tun hat mit seiner lebenslangen Leidenschaft für Musik ... Und dann wieder doch. Auf die Frage, ob er seinen ersten Beruf, den des Elektrikers, denn auch gemocht habe, nickt er eifrig. &bdquo;Sehr!“ Er besitze nach wie vor viel Material, &bdquo;und ich habe gerade erst versucht, im Haus meines Sohnes bei der Elektrikarbeit eine Hilfe zu leisten. Ich habe heute noch Fachzeitschriften abonniert, die lese ich beim Fernsehen - obwohl mir das gar nichts bringt, sozusagen.“ Gebauer lacht.

Durch seine Tätigkeit als Opernsänger sei er es gewohnt, zu lernen, zu lernen, zu lernen. Er berichtet von der Angst, ja Panik, auf der Bühne mitten in einer Arie etwas zu vergessen. Dass er an der Orgel weiterhin Musik macht - und zur Überraschung mancher Gottesdienstbesucher gern auch &bdquo;ein wenig herum jazzt“, wie er es nennt - hält seinen Geist ebenso auf Zack wie die Herausforderungen handwerklicher Natur. Wenngleich diese ihm zuletzt schwerer fallen, wie er einräumt.

&bdquo;Musst du das machen?“ Bruno Gebauer ist schwer erkrankt. Die letzte von zwei Operationen war keine vier Wochen her, als er vor Kurzem von der katholischen Gemeinde an der Pideritstraße für 60 Jahre Treue als ehrenamtlicher Organist geehrt wurde. 60 Jahre! Ans Aufhören denkt er nicht. Absolut nicht. Er fühle sich fast ein wenig überflüssig, wenn er mal für einen Gottesdienst nicht zuständig sei. &bdquo;Musst du das immer machen? Diesen Stress?“ Das würden zum Beispiel seine Geschwister sagen. &bdquo;Aber es ist kein Stress.“

Gebauer scheint mit dem Instrument und seiner Aufgabe verwachsen. Schon als 14-Jähriger wurde er erstmals an die Orgel beordert. Die Erinnerung daran ist bei ihm sehr klar, allerdings nicht unbedingt schön. Dank seiner strengen Mutter, die ihn und seine acht Geschwister stets zu Leistung animierte, entsprechende Möglichkeiten sah und wahrnahm, spielte er damals bereits Geige und Klavier. An einer Orgel hatte er allerdings noch nie gesessen, als der Pastor der Gemeinde, die Gebauers gläubige Familie besuchte, bei ihnen daheim vorstellig wurde. Ein Notfall! Der Organist war verstorben, er brauche dringend Ersatz für eine Trauerfeier.

Ein erschütterndes Erlebnis Und so saß Gebauer als Jugendlicher an der Orgel, sollte den Chor begleiten, alles, ohne überhaupt je geprobt zu haben. Dazu der Tote im offenen Sarg vor dem Altar - für den jungen Bruno alles in allem ein eher schreckliches Erlebnis, wie er sagt. Sein Auftritt jedoch überzeugte: &bdquo;Mach mal gleich am nächsten Sonntag weiter“, bestimmte der Geistliche.

Trotz des erschütternd plötzlichen Einstiegs: Etwas an dem Gefühl, die Orgel zu spielen und eine Gemeinde damit zum Singen zu bringen, ließ Bruno Gebauer seitdem nicht mehr los. Egal, was in seinem Leben sonst passierte - das Orgelspielen in Gottesdiensten blieb eine Konstante.

Während er seine Lehre als Elektriker machte und bis Mitte 20 in diesem Beruf arbeitete, spielte Gebauer Orgel. Er suchte sich Lehrerinnen und Lehrer, nahm Unterricht, übte im Winter bei minus 10 Grad in der eiskalten Kirche, &bdquo;das war normal“, reiste mit dem Pfarrer von Kirche zu Kirche über Land, spielte bis zu fünf Messen. Er kam mit seiner Schwester in einen Chor, wo seine besondere Stimme auffiel. Sein, wie er heute sagt, größtes Talent, das er später am Landestheater Detmold als Tenor zum Hauptberuf machte. Seine Mutter drängte zu Gesangsunterricht bei einer renommierten Opernsängerin. Die Geige gab er nicht auf, er spielte sehr gut. &bdquo;Doch der Klang der Orgel hat mir mehr gegeben.“ Die Orgel blieb.

Auf Irrwegen nach Lemgo Elfeinhalb Jahre spielte er in der damaligen Tschechoslowakei. Dann zog es seine Familie, die eigentlich aus Niederschlesien stammt und bei Kriegsende in die Tschechei fliehen musste, 1965 zurück nach Deutschland. &bdquo;Die Behörden erlaubten die Ausreise, und wir landeten auf Um- und Irrwegen bei meiner Tante in Lüerdissen.“ Gebauer fand schnell Anschluss an die Heilig-Geist-Gemeinde in Lemgo, wieder verschaffte ihm ein plötzlicher Krankheitsfall den ersten Einsatz als Organist. Über den Pastoralverbund Lippe-Detmold betreute er jeden Sonntag auch St. Marien in Hohenhausen mit - &bdquo;hin und zurück sind das 60 Kilometer“, rechnet der in Detmold-Diestelbruch lebende Gebauer vor.

Zwei Mal sei es in all den Jahren passiert, dass er einen kirchlichen Termin verpennte, einmal im wahrsten Sinne des Wortes. &bdquo;Ach du Schande“, sei es ihm entfahren, ausgerechnet eine Hochzeit! Zum Glück sprang eine Kollegin, die in Brake in der Nähe wohnte, sofort aufs Fahrrad und für ihn ein.

Zwischen Theater und Kirche Wie gelang es ihm bloß, all diese Termine mit seiner Theaterlaufbahn zu koordinieren? Nicht einfach, manchmal &bdquo;eine Katastrophe“, räumt Gebauer mit dem für ihn typischen, feinen Humor ein. Um den Abendgottesdienst in Lemgo um 18 Uhr spielen zu können und gleichzeitig für die Samstagsvorstellung im Theater um 19 Uhr rechtzeitig in der Maske zu sitzen, habe er die Geschwindigkeitsbegrenzungen mit dem Auto leicht überschreiten müssen.

&bdquo;Bei den 14 Vikaren und fünf Pfarrern, die ich allein hier in Lemgo erlebt habe, waren doch einige dabei, die etwas längere Predigten mochten“, erzählt er. &bdquo;Währenddessen guckte ich immer auf die Uhr, dachte, ,das schaffst du niemals!“ Dass er in all den Jahren nur zwei Strafzettel kassiert habe, grenze an ein Wunder. Ohne die Unterstützung und die Geduld seiner Frau Marie und seiner Kinder hätte er das Pensum nicht geschafft.

Motivation per Mikro Wie lange er die Gemeinde noch zum Singen bringen will - für Gebauer das &bdquo;Gotteslob“ schlechthin? &bdquo;So lange ich kann“, sagt er. Manchmal greife er sogar zum Mikrofon, um die Anwesenden zu motivieren. Ob es bei einer Beerdigung ein schönes Stück zur Erinnerung sei oder das &bdquo;Ave Maria“ bei einer Trauung: &bdquo;Das ist auch für mich erfüllend“, so der 85-Jährige. &bdquo;Manchmal“, sagt er, &bdquo;habe ich selbst dabei geweint.“

Er sei kein Konzertorganist, habe das Instrument auch, anders als das Klavier, an der Hochschule nicht studiert. &bdquo;Das war in der Kombination mit Gesang, den ich fünf Jahre lang studierte, an der damaligen Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold leider nicht möglich.“ Dafür sei sein Markenzeichen, in ein Kirchenlied mal eine Schlagerzeile einzuweben, eine Melodie aus einer Operette ... &bdquo;Diese Freiheit“, sagt er mit verschmitztem Lächeln, &bdquo;nehme ich mir“.

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