„Schichtwechsel“: Darum tauschen Menschen mit und ohne Handicap in Lemgo den Arbeitsplatz

Lemgo. Die Idee ist so simpel wie bestechend: Am bundesweiten Aktionstag &bdquo;Schichtwechsel“ arbeiten Menschen aus zum Beispiel dem Handwerk, der Verwaltung oder der Politik einen Tag lang in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, während Werkstattbeschäftigte gleichzeitig reguläre Betriebe kennenlernen. Eben-Ezer ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei – im letzten fanden die Verantwortlichen kein einziges Unternehmen, das mitziehen wollte. Falls es an Vorbehalten gegenüber Menschen mit Handicap gelegen haben sollte, so sind es genau die, die &bdquo;Schichtwechsel“ abbauen will.

&bdquo;Es geht darum, woanders einen Schnuppertag zu machen und in den anderen Job hineinzuschnuppern“, erklärt Freyja Horstmann. Die 24-Jährige arbeitet in der Tischlerei der Eben-Ezer-Werkstatt eewerk. Und so, wie sie das Wort &bdquo;Schnuppertag“ betont, voller Vorfreude und Neugier, klingt es wie etwas, zu dem man kaum Nein sagen könnte. Auch Ida Marie Appel sagte Ja: Die 19 Jahre alte angehende Tischlerin im dritten Lehrjahr arbeitet normalerweise bei Kramp & Kramp in Lieme. Heute Morgen jedoch steht sie mit Freyja Horstmann an der Werkbank und klopft Dübel in die Beine kleiner Kinderstühle.

Kaum Berührungspunkte

Die jungen Frauen sind sich einig, dass es nach wie vor viele Vorurteile gibt, auch Ängste, und zu wenig Berührungspunkte. &bdquo;In meinem Freundes- und Bekanntenkreis habe ich niemanden mit Handicap“, sagt Ida Marie Appel. Daher habe sie den Ansatz sofort spannend gefunden. &bdquo;Wir sind alle Menschen“, sagt Freyja Horstmann. &bdquo;Ich fände es gut, wenn mehr Leute ihre Vorurteile fallenlassen gegenüber Menschen, die ein Handicap haben. Wir sind alle Brüder. Oder Schwestern, in diesem Falle“, sagt sie mit einem Seitenblick auf ihre heutige Kollegin Appel und lacht.

Freyja Horstmann erklärt ihr, worauf sie achten soll, wie fein die Möbel für Kindergärten und Privathaushalte geschliffen werden müssen. &bdquo;So glatt wie ein Babypo soll das sein“, sagt Horstmann. Sie ist stolz auf ihre Arbeit in der Tischlerei, sie liebt es, genau wie Appel, aus Holz etwas herzustellen – und sie hat Pläne.

Sie sei gespannt, am Nachmittag die Werkstatt von Kramp & Kramp in Lieme kennenzulernen, sagt die 24-Jährige, die als eine von 20 Menschen mit Beeinträchtigungen in der Tischlerei des eewerk arbeitet. &bdquo;Ich könnte mir schon vorstellen, bei denen mal ein längeres Praktikum zu machen.“ Im Internet habe sie sich über das Unternehmen informiert. &bdquo;Da geht es viel um Denkmalschutz, alte Fachwerkhäuser und so etwas. Da kann ich mein Wissen erweitern.“

Ida Appel gibt zu, im Vorhinein gar keine Vorstellung davon gehabt zu haben, wie es in einer Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen aussehen könnte. Davon, wie viel hier geschafft und produziert wird, ist sie beeindruckt. &bdquo;Meine Austauschpartnerin hat mir schon richtig viel gezeigt“, sagt sie. Am Nachmittag wird es umgekehrt sein.

Markus Toepffer ist Werkstattleiter der Stiftung Eben-Ezer. Dass &bdquo;seine“ Beschäftigte Freyja Horstmann sich vorstellen könnte, in einer Tischlerei des regulären Arbeitsmarktes Fuß zu fassen, findet er nicht per se unrealistisch – wenngleich es in seiner 26 Jahre währenden Laufbahn nur einen einzigen Fall gegeben habe, wo ein solcher Übergang geklappt habe.

Er stellt klar: Es sei nicht Hauptaufgabe der Werkstätten, in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln oder gar das Problem des Fachkräftemangels zu lösen. So sei der theoretische Teil klassischer Ausbildungen für die meisten seiner Beschäftigten, unabhängig von ihrer handwerklichen Versiertheit, kognitiv nicht zu schaffen – selbst die theoriegeminderte Alternative für den &bdquo;Fachpraktiker“ nicht. So hätten von 480 behinderten Kolleginnen und Kollegen 40 Prozent bei Eben-Ezer einen sehr hohen Unterstützungsbedarf – ganz anders als die selbstständige Freyja Horstmann, die für das Projekt ausgewählt wurde.

Soziale Komponente im Team

&bdquo;Die wenigsten Firmen bieten Arbeitsplätze an, die inklusiv sind“, erklärt Toepffer, das heißt, an die Fähigkeiten des Mitarbeitenden angepasst. Nicht nur in fachlicher, auch in sozialer Hinsicht. Dabei könne ein Arbeitnehmer mit Handicap im Team ja auch so viel mehr bewirken, als bloß sein Pensum gut zu schaffen. &bdquo;Da sind spannende Dynamiken zu erleben – ein Mensch mit Beeinträchtigung kann eine Belegschaft zum Beispiel näher zusammenrücken lassen“, hat Toepffer beobachtet. Insofern wäre es wünschenswert, dass auch am Arbeitsplatz mehr Barrieren abgebaut würden, um das Potenzial bisheriger Werkstattmitarbeiter besser integrieren zu können.

Für die kommenden Jahre wünscht Toepffer sich, dass der &bdquo;Schichtwechsel“ mehr Zuspruch findet – in diesem Jahr war neben Kramp & Kramp auch der Büromöbelhersteller StolComfort aus Lieme dabei. Claudia Schröer, Personalreferentin bei Kramp & Kramp, steht kurz vor 16 Uhr jedenfalls mehr denn je hinter dem Konzept. &bdquo;Natürlich lebt es auch von dem Zwischenmenschlichen der beiden beteiligten Personen“, sagt sie in der großen Tischlerwerkstatt ihres Unternehmens, während Appel und Horstmann in den Zusammenbau eines modifizierten Vogelhauses vertieft sind.

Appel sagt später als Fazit des Tages, dass das Verbindende im Vordergrund gestanden habe. &bdquo;Jeder hat ja seine Stärken und Schwächen“, sagt die 19-Jährige. Horstmann fand, &bdquo;es war ein cooler Tag. Einfach mal etwas anderes machen.“ Allerdings sei es hier aufgrund der vielen großen Maschinen noch deutlich lauter als in ihrer Tischlerei. Sie habe das Feedback erhalten, dass sie &bdquo;gut arbeiten“ und auch in einem regulären Betrieb mithalten könne, auch wenn das Tempo höher sei – womöglich ein Knackpunkt. &bdquo;Wer weiß, vielleicht sehen wir uns wieder“, sagt sie optimistisch zu Appel. Dann steigt sie zu der Kollegin, die sie zurück zum eewerk bringt, ins Auto. Zwei junge Frauen, die gemeinsam in den Feierabend fahren.

„Schichtwechsel“: Darum tauschen Menschen mit und ohne Handicap in Lemgo den Arbeitsplatz

Bundestagskandidaten diskutieren bei eeWerk in Lemgo barrierefreie Demokratie

Eine Lemgoer Stiftung bringt Jobs und Aufträge in die Region

Horner Kita punktet mit alten Eichenbalken und viel Licht

«Ich bin glücklich» - AKK nach ihrem Rückzug

Künstliche Intelligenz im Handwerk: Wie zwei Betriebe aus Lippe sie nutzen

Firma aus Wesel hilft Stiftung Eben-Ezer am sozialen Tag

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

LZplus Herbst-Deal

1 € pro Woche

Weiterlesen mit LZplus