Lemgo-Brake. Um 17.53 Uhr am Freitagabend läuten die Glocken der Kirche in Brake. Gleich beginnt hier eine Zusammenkunft für den am Montag in einem Supermarkt in Brake getöteten 16-jährigen Lemgoer. Die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde möchte einen Raum für Gedenken und Gebet geben. Denn die Tat erschüttere und verunsichere die Menschen. 40 Trauernde sind gekommen, darunter viele Frauen und junge Menschen, Freunde des Getöteten, die auch jeden Tag an der Gedenkstelle vor dem Markt zu sehen sind. Außerdem sind sechs Seelsorger vor Ort, stehen für Gespräche bereit und zeigen ihre Anteilnahme. Es ist still in der Kirche. „Ein Raum für unser Entsetzen“ Nach dem Geläut treten Pfarrerin Iris Brendler und Pfarrer Michael Brendler nach vorne. „Wir sind zusammengekommen, weil wir einen Ort brauchen, in dem Raum ist für unser Entsetzen, für unsere Angst, für unsere Wut, unsere Verunsicherung und Hilflosigkeit, unsere Trauer“, sagt die Pfarrerin. Über dem ganzen Ort hänge die schreckliche Tat wie eine dunkle Wolke. „Wir können nicht fassen, was passiert ist vor unserer Haustür und mitten in unserem Alltag. Ein so junger Mensch, ein Jugendlicher - das Leben noch vor sich. Sein Leben abgebrochen aus dem Nichts, in einem Moment sinnlos zerstört in blinder Wut und durch furchtbare Gewalt“, sagt der Pfarrer und fragt: „Wie kann man das ertragen?“ „Wir haben keine Antwort“ Die Pfarrer erinnern in ihrer Rede an die Familie, Freunde, Klassenkameraden, Lehrer und Augenzeugen, die mit dem Geschehenen nun lernen müssen umzugehen. Außerdem sagen sie zu allen Anwesenden: „Da sind wir. Sie ist so nah gerückt, die sinnlose, willkürliche Gewalt. Es gibt sie überall, überall auf der Welt. Und jetzt hier, plötzlich und wo niemand sie erwartet hätte. Es hätte auch mich treffen können. Doch es hat nicht mich getroffen. Und irgendwie doch. Wir sind betroffen. Sind vorsichtig geworden, verhalten, leise, bedrückt. Und über allem die Frage: Warum? Wir haben keine Antwort.“ Trotzdem gehe das Leben weiter. Dann lädt die Gemeinde alle ein, die möchten, nach vorne zu kommen und ein Teelicht anzuzünden. Alle folgen. Währenddessen läuft Sakralmusik im Hintergrund. Einige treten alleine vor, andere zusammen. Manche stehen länger vorne, andere kürzer. Schluchzen und Schniefen sind zu hören. Manche Trauernde müssen weinen. Im Anschluss spricht Pfarrerin Brendler die Seligpreisungen aus Matthäus 5. Dann stehen die Anwesenden zum Gebet auf. Unter anderem heißt es: „Der Junge hat an dich Gott geglaubt, hat in der Hoffnung auf dich gelebt. Lass ihn schauen, was er geglaubt hat. Sein Leben war so kurz. Alles, was unvollendet geblieben ist, das vollende du in deinem Reich, auf das wir als Christen hoffen.“ Die Trauergemeinde bittet um Trost für die Familie, um jemanden, der Freunden und Augenzeugen zuhört, um die richtigen Worte und um Zuversicht. Sie dankt außerdem allen Menschen, die am Montag geholfen haben. Zum Schluss sprechen alle gemeinsam das Vaterunser. Pfarrer Brendler spricht den Segen. Dann sagt Iris Brendler nach dem offiziellen Teil: „Die Kirche bleibt offen. Sie können so lange bleiben, wie sie möchten.“ Viele Besucher gehen, sind sichtlich angefasst. Andere kommen jetzt erst und setzen sich still in die Reihen. Vorne erleuchten die kleinen Flammen der Teelichter den Raum. Jeder kann Ereignisse erleben, die ihn oder sie aus der Bahn werfen können. Wer Unterstützung braucht, kann sich als erste Anlaufstelle an das evangelische Beratungszentrum unter Tel. (05231) 99280 wenden.