Kirgisische Kinder können dank Hilfe aus Lippe wieder hören

Leopoldshöhe . Unsere Sinne verbinden uns mit der Welt. Wir sehen, riechen, schmecken, fühlen – und hören. Doch was, wenn einer dieser Sinne versagt? Wenn Musik, Stimmen und Geräusche verstummen – oder man sie nie kennengelernt hat?

Wolfgang Schade, Hörakustiker aus Leopoldshöhe, schenkt Kindern genau diesen Sinn: das Hören. Er macht möglich, was für viele selbstverständlich ist – dass Kinder die Welt der Klänge entdecken. Dafür reist er regelmäßig ins ferne Kirgisistan, ein Land mit rund sieben Millionen Einwohnern, um dort hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen zu helfen.

Vor zwei Jahren hat sich der 38-Jährige mit seinem eigenen Fachgeschäft an der Hauptstraße in Leopoldshöhe selbstständig gemacht. Seine Ausbildung absolvierte er in Bielefeld bei Sönke Diemann Hörsysteme, arbeitete in Düsseldorf und kehrte schließlich zurück in seine Heimat. Heute verbindet Schade sein Handwerk mit einem großen Herzen für Kinder, die Hilfe brauchen. Und Hilfe wird dringend gebraucht: Laut der Hilfsorganisation &bdquo;Aktion Deutschland Hilft“ lebt rund ein Viertel der Bevölkerung in Kirgisistan in Armut. Jedes fünfte Kind dort stirbt im frühen Alter an den Folgen von Hunger, Krankheit oder Armut.

Über die Kollegin Jennifer Penner, selbst Hörakustikermeisterin aus Lippe, erfuhr Schade vom Projekt &bdquo;Ganz Ohr“. Die Initiative wird in Deutschland durch den Verein &bdquo;Hoffnungsstrahl“ unterstützt. &bdquo;Ganz Ohr“ hilft hörgeschädigten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Kirgisistan mit Hörtests, Beratung und Anpassung geeigneter, hochwertiger Hörgeräte. Seitdem ist Schade Teil des Teams – und reist alle drei Jahre in die Hauptstadt Bischkek, um dort Kinder mit Hörgeräten auszustatten, deren Eltern sich die teuren Systeme nicht leisten können.

&bdquo;Ich war sofort begeistert“, erzählt Schade im Gespräch mit dieser Zeitung. &bdquo;Ich wollte nicht einfach Geld spenden, ohne zu wissen, ob die Hilfe ankommt. Ich wollte selbst etwas tun.“ 2019 reiste er das erste Mal, 2022 das zweite Mal – und in diesem Jahr ist er bereits zum dritten Mal dabei.

Der Einsatzort ist eine Schule für hörgeschädigte und spätertaubte sowie mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche in Bischkek. &bdquo;Viele verständigen sich mit der Gebärdensprache, einige können gar nicht sprechen“, berichtet Schade von den Hürden der Verständigung. Mit ihrer Arbeit schaffen Schade und das Team einen Zugang zu Sprache, Bildung und sozialer Teilhabe. Und sie legen die Grundlagen dafür, dass die Kinder langfristig &bdquo;besser durchs Leben kommen“. In den Klassen für schwerhörige Kinder lernen bis zu zehn Schüler, in den Klassen mit mehrfachbehinderten meist nur fünf oder sechs.

Insgesamt kamen rund 250 Hörgeräte zusammen. Interessierte konnten in Schades Geschäft Hörgeräte abgeben – alte Geräte, Hörhilfen von Verstorbenen oder auch neue Systeme. Neben vielen Privatpersonen und Kunden beteiligten sich auch befreundete Fachgeschäfte an der Sammelaktion. Zusätzlich stellte Schade 40 eigene, neue Hörgeräte zur Verfügung. Am 25. Oktober startete die Reise – von Hannover über Istanbul nach Bischkek.

Vor Ort wohnen Schade und Penner bei der deutschen Familie Wendel, die das Projekt unterstützt und dolmetscht. In der Schule arbeiten die beiden täglich von 9 bis 17 Uhr. Bei allen Erstklässlern testet Schade zunächst das Hörvermögen der Kinder. Parallel nimmt Penner die Abformungen – also Ohrabdrücke – und fertigt daraus die sogenannten Otoplastiken, die passgenauen Ohrstücke, an. &bdquo;Die Kinder bekommen robuste Hinter-dem-Ohr-Geräte“, erklärt Schade.&bdquo;Sie sind langlebig und können angepasst werden, wenn die Ohren wachsen.“

Gerade bei den Jüngsten sei die Arbeit besonders emotional, denn viele bekommen ihr Erstgerät und hören zum ersten Mal in ihrem Leben. Eine Szene werde Schade nie vergessen: Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, sitzt mit ihren Eltern vor ihm. Als sie plötzlich die Stimme ihrer Mutter hört, lächelt sie. Die Mutter beginnt zu weinen. &bdquo;Solche Momente sind unbeschreiblich“, sagt Schade. Er schüttelt den Kopf und fügt hinzu: &bdquo;Man spürt die Dankbarkeit. Es kommt schon mal vor, dass man eine Umarmung oder sogar einen Kuss bekommt. Das macht was mit einem.“

Auch ältere Schüler werden regelmäßig betreut. Schade und Penner prüfen die Geräte, reparieren oder ersetzen sie, wenn nötig. &bdquo;Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln, wenn sie besser hören können“, sagt Schade. Manche sprächen plötzlich deutlicher, andere würden offener, selbstbewusster. &bdquo;Da ist der Deutsche wieder“, rufen sie, wenn er erneut zu Besuch kommt.

Die Kinder lernen in der Schule, wie sie ihre Hörgeräte pflegen. Etwa 60 Batterien braucht jedes Kind pro Jahr. Vorräte werden in der Schule gelagert – und bei den nächsten Besuchen bringen Schade und Penner neue mit.

Freizeit bleibt kaum. Zwar sei Kirgisistan mit seiner beeindruckenden, gebirgigen Landschaft ein echtes Naturparadies, doch Zeit, das Land wirklich zu erkunden, bleibe kaum. Die Arbeit sei intensiv und emotional fordernd. Doch Schade weiß: Spätestens 2028 will er wieder nach Bischkek reisen – mit einer neuen Ladung Hörgeräte. Seine Kollegin fliegt schon im kommenden Jahr erneut.

Altgeräte nimmt Schade jederzeit entgegen, prüft und bereitet sie auf. Wer helfen möchte, kann einfach vorbeikommen, ganz ohne Termin, oder sich melden unter Tel. (05202) 7014985.

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