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Tauben-Tradition ohne Erben in Oerlinghausen

Nicole Hille-Priebe

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Als sei die Zeit stehen geblieben: Gilbert Kubus verbringt jeden Tag fünf bis sechs Stunden in seinem Taubenschlag.  - © Andreas Frücht
Als sei die Zeit stehen geblieben: Gilbert Kubus verbringt jeden Tag fünf bis sechs Stunden in seinem Taubenschlag.  (© Andreas Frücht)

Oerlinghausen. Die Entstehungsgeschichte des Opa-Enkelin-Gespanns ist untypisch. Der 75-jährige Erfolgszüchter ist in seiner Heimat in Schlesien mit Tauben groß geworden. „In unserem Dorf hatte jedes Haus einen Schlag. Meine erste Taube habe ich mir mit neun Jahren von meinem Kommunionsgeld gekauft."

Drei Jahrzehnte später kam er nach Deutschland, wo er zunächst weder den Platz noch die Zeit für sein aufwendiges Hobby hatte. „Aber die Sehnsucht nach meinen Tauben blieb." Erst, als seine Enkelkinder vor sieben Jahren eine verletzte Taube zu Hause anschleppten, nahm das Schicksal wieder seinen Lauf. Ein Comeback im doppelten Sinne, denn das Interesse der Enkeltochter blieb, auch als der Vogel wieder fliegen konnte. Seitdem waren sie ein erfolgreiches Team.

Im Ruhrgebiet, wo man die fliegenden Kraftpakete auch gerne als „Rennpferde des kleinen Mannes" bezeichnet, war der Brieftaubensport bis in die 1980er Jahre hinein besonders populär, nicht zuletzt wegen der Wetten, bei denen die Bergleute mitunter ihre gesamte Lohntüte setzten und verloren.

Auch in Ostwestfalen-Lippe gab es eine starke Szene. Damals war ein Habicht auf Beutejagd noch der einzige Feind der Tauben. Raubvögel sind zwar nach wie vor die größte Bedrohung auf Flugdistanzen von bis zu 700 Kilometern, aber vor Ort hat man heute mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Denn obwohl der Regionalverband OWL mit 952 Senioren und 58 Junioren der größte in Deutschland ist, geht der Trend auch hier eindeutig nach unten.

Wer sich heute einer Reisevereinigung (RV) anschließen möchte, muss unter Umständen zudem weite Wege auf sich nehmen, so wie Gilbert Kubus, dessen Schlag zwar in Oerlinghausen steht, der organisatorisch aber zur RV Friedrichsdorf-Senne gehört, wo er unter dem Namen „Kubus und Enkelin" startet und regelmäßig erste Plätze holt.

Ewald Johannhardt ist Vorsitzender der Reisevereinigung Friedrichsdorf-Senne. Der 79-Jährige kann den gesellschaftlichen und demografischen Wandel an seinen Mitgliederzahlen ablesen: „In meiner Jugend waren es 110 Züchter. Aktuell haben wir noch 32 Mitglieder, darunter nur zwei Jugendliche. Das Durchschnittsalter beträgt gut 70 Jahre."

Auch das Gespann „Kubus und Enkelin" wird gerade von der Realität eingeholt – für das junge Mädchen steht derzeit das Abitur im Fokus. Ob sie danach weiter dem Brieftaubensport frönen wird, ist offen.
„Jugendliche haben heute keine Zeit, kein Geld und keinen Platz für solch ein Hobby, das täglich mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Die jungen Leute können sich das auch gar nicht mehr leisten: Ein Sack Futter kostet inzwischen 25 Euro", sagt Ewald Johannhardt.

Dazu kommen noch Transport und Gebühren für ein gutes Dutzend Preisflüge pro Saison, die meist von Frankreich oder Luxemburg nach OWL führen. „Ich kann das von meinen Enkeln nicht verlangen", meint auch Gilbert Kubus. „Es gibt in der Freizeit heute so viel Ablenkung durch Computer und Smartphone. Für die Taubenzucht braucht man 365 Tage im Jahr Geduld und Ausdauer."

Information

Verblüffender Orientierungssinn

Warum Tauben den Weg nach Hause immer wieder zurück finden, können selbst Experten nicht erklären. „Das weiß keiner so richtig. Das ist einzigartig, das kann man nicht ergründen", sagt der Oerlinghauser Taubenzüchter Gilbert Kubus. Aber dass es so ist, weiß er ganz genau: „Die Vögel fliegen immer in den Stall, in dem sie geboren wurden." Ihr verblüffender Orientierungssinn bringt Brieftauben bei Wettflügen über hunderte Kilometer unbeirrt vom Start bis ins Ziel: den heimischen Schlag.

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