Oerlinghausens Bürgermeister beendet seinen Kindheitstraum

Oerlinghausen . Wie oft kommt es wohl vor, dass jemand seinen beruflichen Kindheitstraum verwirklichen kann? Dirk Becker konnte es. Vor zehn Jahren ging der Traum in Erfüllung: Er wurde Bürgermeister seiner Heimatstadt. Damals war der Traum 40 Jahre her. Mit seinem Vater war er bei einer Bürgerversammlung, in der es um die Tunnelstraße ging. Moderiert wurde die Versammlung vom damaligen Bürgermeister Erich Diekhof. Damals habe er gedacht: Als Bürgermeister für deine Stadt arbeiten – das möchtest du auch einmal machen. Jetzt endet seine Zeit als Bürgermeister. Am heutigen Donnerstag übergibt er Amt und Rathausschlüssel an Peter Heepman. Und das wird emotional.

Es gab während der vergangenen zehn Jahre mehrere Momente, in denen bei Becker die Emotionen hochkochten: Die Einbruchserie während der Flüchtlingskrise war so etwas. Damals gab &bdquo;es fast jede Nacht in der Südstadt Einbrüche und die Bürger waren ziemlich verzweifelt. Da bin ich tatsächlich nachts umhergewandert, weil ich nicht schlafen konnte, so sehr hat mich das mitgenommen.“ Und natürlich die Corona-Krise. Auf so etwas sei man doch überhaupt nicht vorbereitet gewesen. &bdquo;Ich musste ja quasi die Bevölkerung einsperren – und das auch noch kontrollieren. Damals war mein Vater sehr krank und wir durften ihn nicht besuchen. Das nimmt einen schon mächtig mit.“

Emotional waren auch die Begegnungen mit den Franzosen aus unserer Partnerstadt Villers-lès-Nancy in Lothringen. &bdquo;Diese Begegnungen waren auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte wichtig und wir wurden immer sehr herzlich aufgenommen.“ Mit Osterburg und Augustusburg bestehen Städtefreundschaften, die nach der Wende gegründet worden sind. Zunächst, um Hilfe in Verwaltungsfragen zu leisten, aber &bdquo;das hat sich mittlerweile erledigt. Die Literaturtage in Osterburg hat Lothar Jaehn als langjähriger stellvertretender Bürgermeister oft besucht. Und im vergangenen Sommer war der Bürgermeister von Osterburg hier, weil das Germanenbuch von Karl Banghard für Aufsehen gesorgt hat. Wir haben über viele verwaltungstechnische Sachen geredet, aber er wollte auch das Museum sehen.“

Die schwierigste Entscheidung in seinem Amt als Bürgermeister sei die Entscheidung gewesen, den AfD-Kandidaten zur diesjährigen Kommunalwahl zuzulassen. &bdquo;Ich bin ein politischer Mensch und ich habe klare Vorstellungen, was diesem Land guttut. Aber als Bürgermeister bin ich dem Rechtsstaat verpflichtet und ich muss auch die schützen, die selbst auf den Rechtsstaat pfeifen. Ich hatte auch Zugriff auf den Verfassungsschutzbericht, aber ich hatte letztlich keine andere Möglichkeit, als ihn zuzulassen, weil alle Formalien erfüllt waren.“ Das Schlimmste wäre gewesen, wenn er ihn nicht zugelassen hätte und das AfD-Mitglied vor Gericht gezogen wäre. Dort hätte er wahrscheinlich Recht bekommen – und Oerlinghausen hätte die Wahl wiederholen müssen. &bdquo;Das wäre für die AfD ein Triumph gewesen. Das wäre schlimmer gewesen, als den Mann zur Wahl zuzulassen, zumal ich auch fest überzeugt war, dass er die Wahl nicht gewinnen wird“, sagt Becker.

Die Demokratie ist in seinen beiden Amtszeiten schwieriger geworden. Und sie werde in der neuen Wahlperiode nicht einfacher, weil jetzt nicht wie bisher fünf Parteien und Vereinigungen, sondern sieben im Rat der Stadt vertreten sind. &bdquo;Das Wichtigste in der Kommunalpolitik ist, dass man verlässliche Mehrheiten bekommt. Ich hatte das Glück, dass ich in den vergangenen zehn Jahren immer stabile Mehrheiten gehabt habe. Wir hatten ja auch zuletzt wenig strittige Themen. Was mich total überrascht hat, war die Abstimmung über den letzten Haushalt, der einstimmig verabschiedet wurde, trotz aller Kritik. Ich glaube, wir haben jetzt ein gutes Fundament.“ Zum Ende seiner Amtszeit hat er sich wohl auch mit der Initiative Oerlinghausen ausgesöhnt, die ihn zu Beginn sehr hart und auch persönlich kritisiert hat. &bdquo;Anfangs war das nicht alles schön. Es gab ja zwei Anlässe für Kritik von der Initiative. Der erste war die Entscheidung über den Schulstandort. Und ich habe bei meinem Amtsantritt schon gesagt, ich werde nicht das entscheiden, was allen gefällt, sondern das, wovon ich überzeugt bin, dass es notwendig ist. Und deshalb ist die neue Grundschule an dem Platz gebaut worden, an dem sie jetzt steht.“

Der zweite Anlass war die Entscheidung zum Seniorenwohnen in Lipperreihe. &bdquo;Ich weiß noch, dass mir auf einer Bürgerversammlung jemand gesagt hat, dass ich mit Sicherheit Geld für meine Entscheidung bekommen hätte. Aber ganz ehrlich, wenn es mir ums Geld gegangen wäre, wäre ich aus Berlin nicht weggegangen. So etwas ärgert einen natürlich, aber ich weiß, von welchen Leuten das kommt. Aber es ist natürlich schwieriger auszuhalten, wenn die Leute ins Persönliche gehen.“ Er habe gelernt, mit politischen Angriffen umzugehen. Das mache er gerne, wenn die Kritik sachlich ist. &bdquo;Dann stehe ich auch zu meiner Meinung. Die Demokratie erfordert es, andere Meinungen auszuhalten.“

Auf Nachfrage, welches das wichtigste Projekt in den vergangenen zehn Jahren war, sagt er: &bdquo;Also nach meiner festen Überzeugung war es für die Südstadt in jedem Fall das wichtigste Projekt. Ich glaube, dass wir eine gute Schule haben. Wir haben den richtigen Standort und wir haben, davon bin ich überzeugt, zufriedene Kinder – trotz der baulichen Mängel, die dort zutage traten. Und wir haben eine gute Schulleitung.“

Und die Conle-Siedlung? &bdquo;Die Situation dort ärgert mich natürlich massiv. Ich will jetzt nicht die Geschichte neu erzählen, dass die Stadt vor unendlich vielen Jahren für relativ wenig Geld die Siedlung hätte kaufen können. Und dass daran gescheitert ist, weil eine kleine Gruppe, wenn es nicht nur zwei Menschen waren, gemeint hat, man könne die Siedlung noch günstiger kriegen.“ Seit anderthalb, zwei Jahren gibt es wieder einmal neue Eigentümer und eine neue Hausverwaltung. Mit der lief es zumindest anfänglich tatsächlich besser. Die Stadt hatte wieder Ansprechpartner, und wenn jetzt Mängel gemeldet werden, werden die im Regelfall auch abgestellt. &bdquo;Aber wir brauchen nicht um den heißen Brei herum zu reden. Befriedigend ist das nicht.“

Ein Projekt, dass er zwangsläufig seinem Nachfolger hinterlassen muss, ist die Situation der Schulen in Oerlinghausen. Besonders bei der Heinz-Sielmann-Schule müsse etwas passieren. &bdquo;Jetzt sind wir ja soweit zu sagen, dass wir über eine große Lösung nachdenken müssen, egal ob wir wenig finanziellen Spielraum haben oder nicht. Das wird teuer. Mit den Summen muss man mal schauen, aber es wird am Ende des Tages ähnlich sein wie damals bei der Schulentscheidung Süd. Man muss langfristig auch wirtschaftlich die beste Lösung wählen und nicht nur kurzfristig und von daher hat man sich jetzt auf den Weg gemacht.“

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