Gafferfotos im Netz - eine Witwe spricht über die Angst

Schieder-Schwalenberg. Es sind die Bilder, die im Netz kursieren könnten, vor denen Heike Bert (Name geändert) Angst hat. Gaffer haben ihrem Mann und ihrem Schwiegervater beim Sterben zugesehen und fotografiert, wie Rettungskräfte und Ersthelfer vergeblich um das Leben der Männer kämpften. &bdquo;Ich wünschte mir, dass die Menschen, die das gemacht haben, an meiner Stelle wären", sagt die 39-Jährige.

Der Unfall auf der B1 liegt Monate zurück, am 31. Mai verunglückten ein 71- und ein 37-Jähriger auf dem Weg zurück nach Schieder. Heike Bert, die anonym bleiben möchte, verliert an diesem Tag ein Stück ihres Lebens und die Chance, irgendwie damit fertig zu werden. &bdquo;Es ist wie ein Damoklesschwert, das über mir hängt. Ich lebe in der Angst, dass meine Tochter irgendwann im Netz Bilder von dem Unfall findet", sagt sie.

Entwürdigendes Verhalten An jenem Freitag ist sie in Kassel bei ihren Eltern, ihr Mann hatte seinen Vater am Flughafen abgeholt. Der Senior setzt sich ans Steuer, später wird vermutet, dass körperliches Versagen dazu führt, dass er in einen Lastwagen fährt. Das Chaos an der Unfallstelle ist groß, denn um 13.30 Uhr sind viele unterwegs. Zwei Motorradfahrer und ein Lkw-Fahrer leisten Ersthilfe, später sagt einer von ihnen bei der Polizei aus, dass an der Unfallstelle gefilmt und fotografiert wurde, dass er das furchtbar findet, entwürdigend.

Wenn Feuerwehr und Polizei die Verantwortung an einem Einsatzort übernehmen, kümmern sie sich auch um die Ersthelfer, denn die Bilder sind schrecklich. Bei dem Unfall im Mai ist der Audi ein Wrack. Notfallseelsorger sind vor Ort. Es müssen diverse Entscheidungen getroffen werden, der Verkehr staut sich weit, großräumige Absperrungen müssen eingerichtet werden, die Retter brauchen Platz – da ist es Zufall, wenn Gaffer auffallen, die Fotos machen. &bdquo;Und bis wir vor Ort sind, dauert es auch etwas. Das heißt, in der Zeit können schon diverse Bilder gemacht worden sein", sagt Polizistin Verena Kersting.

Polizei kann sich nicht nur um Gaffer kümmern Das Wichtigste für die Polizei ist immer, die Angehörigen zu informieren. Erst am Abend erreichen die Beamten Heike Bert. &bdquo;Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nichts von den Fotos. Wir sind nach der Aussage eines Zeugen noch einmal nach Schieder gefahren, um darüber zu reden", so Kersting. Denn schließlich sei nicht auszuschließen, dass die Fotos im Netz auftauchen. Was das mit den Angehörigen macht oder den Opfern, die überleben? &bdquo;Es sollte sich jeder in die Situation versetzen, dass er da hilflos liegt – es kann jedem passieren", sagt die Polizistin. Auch für die Ersthelfer sei es sehr schwierig, damit umzugehen. &bdquo;Das sind traumatische Bilder, die Sie nicht aus dem Kopf kriegen. Während Sie helfen, merken Sie das nicht, aber später. Deshalb gehört es dazu, dass die Notfallseelsorger sich um alle Unfallbeteiligten kümmern", sagt Kersting. Finde ein Ersthelfer Bilder des Unfalls im Netz, durchlebe er alles noch einmal.

Die Linse schaffe eine Distanz zu der Realität, die Empathie werde ausgeschaltet. Zückt ein Gaffer das Handy, dann folgen weitere. &bdquo;Das Unfallopfer kann sich nicht wehren", sagt Polizeihauptkommissar Stefan Römisch. Und zu all dem, was Angehörige durchmachen, gibt es da das Netz, &bdquo;und das vergisst nichts."

Hohe Strafen wären gut Heike Bert möchte, dass die Polizei diejenigen findet, die die Fotos gemacht haben. Dass so etwas schärfer bestraft werden soll, findet sie sehr gut. Aber eigentlich wäre es noch besser, wenn so etwas gar nicht erst passiert. &bdquo;Es fehlt die Zivilcourage. Wer so etwas in einer solchen Situation bemerkt, sollte reagieren und andere darauf ansprechen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist", sagt die 39-Jährige. Dass Menschen aufmerksam werden, sich Unfälle anschauen, das sei schon immer so gewesen, sagt Römisch. Aber es habe früher eben keine Möglichkeit gegeben, so etwas so einfach zu verbreiten. &bdquo;Man macht doch Fotos, weil man sich an schönen Dingen erfreuen will. Wie krank sind die, die sich so etwas Schreckliches immer wieder ansehen wollen oder damit angeben", sagt Heike Bert.

Erste Hilfe ist Pflicht Polizei und Feuerwehr in Lippe berichten übereinstimmend, dass Schaulustige zunehmend zum Problem werden, weil sie fotografieren oder filmen und die Arbeit der Helfer behindern. Wird die Polizei darauf aufmerksam, zieht sie Handys auch ein. Gemäß § 323c Strafgesetzbuch gibt es eine Pflicht zur Ersten Hilfe, vorausgesetzt, sie ist zumutbar und erforderlich. Wer dies unterlässt, begeht eine Straftat. Auch das Fotografieren oder Filmen einer Person in einer Notsituation ist strafwürdig. Es drohen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder auch Geldstrafen, die Spannbreite fürs Gaffen liegt zwischen 20 und 1000 Euro.

Einfach Gaffer fotografieren Ein Kommentar von Astrid Sewing

Die LZ verzichtet nicht auf Unfallfotos, auch nicht auf Videos. Und mir ist schon gesagt worden, dass da ja wohl gleiches Recht für alle gelte. Doch das ist falsch. Die Berichterstattung ist an klare Vorgaben geknüpft, wir sind auch nicht anonym, sondern könnten haftbar gemacht werden.

Und es gibt klare Regeln: Kein Mitarbeiter steht den Rettungskräften im Weg, kein Foto zeigt Verletzte oder gar Tote, und es wird in besonders schweren Fällen darauf geachtet, dass die Angehörigen erst durch die Polizei benachrichtigt und nicht online über LZ.de mit der Nachricht konfrontiert werden. Denn was bitte muss den Verkehrsteilnehmer interessieren? Das Wichtigste und die schnellste Information muss sein, ob die Straße gesperrt ist, wo man fahren kann oder ob weitere Gefahren drohen. Diese Informationen geben wir auch, so schnell es geht, aber dann, wenn wir es verantworten können.

Vielleicht sollte man die Handy-Gaffer am Unfallort als Beiwerk fotografieren – natürlich nur für den privaten Gebrauch. Alles andere wäre ja eine Unverschämtheit, oder?

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