Bielefeld. Die Gesichter sind gelöst, es wird viel gelacht. Gespräche, wohin man seinen Blick auf den verschiedenen Ebenen der Bielefelder Laborschule auch schweifen lässt. In Reih und Glied sitzt hier niemand, die Arbeitsgruppen fügen sich locker zusammen, mal mit, mal ohne Tisch, mit oder ohne Tafel. Ein freundliches "Hallo" schallt jedem Besucher entgegen. Schulstress sucht man auf den ersten Blick vergeblich. Und doch wird auch hier konzentriert gearbeitet. Nur die Art und Weise unterscheidet sich vom Alltag an Regelschulen ganz gewaltig.
Munter hämmern Merlin, Noa und Noah drauflos. Ein neues Haus entsteht unter ihren Händen. "Wir bauen unsere Hütten weiter. Gerade sind wir beim Dach", sagt Merlin. Viele Häuschen reihen sich auf dem Gelände aneinander, allesamt von Laborschülern selbst errichtet. Der Bauspielplatz ist täglich mehrfach geöffnet, etwa in der Mittagspause.
"Hier wird jeden Tag eine Stadt gebaut", sagt Ulrich Bosse, Abteilungsleiter Primarstufe, beim Blick auf das muntere Treiben schmunzelnd. Die Pädagogik der Laborschule beginnt bereits außerhalb des eigentlichen Unterrichts. "Soziales spielt eine große Rolle", erläutert Bosse. Wie gestaltet man Nachbarschaft, wie baut man Wege, wie kommt man auf engem Raum miteinander aus? Das sind Dinge, die die Schüler hier aus eigener Erfahrung lernen.
Gemischte Lerngruppen aus Klassen 0 bis 2
Möglichst viel aus eigener Erfahrung statt aus Belehrung zu lernen, das ist eine der Säulen der Pädagogik Hartmut von Hentigs, auf die bis heute an der Laborschule gebaut wird.
Der Streifzug führt weiter durch den Schulgarten mit Hühnern und Kaninchen. "Man kann auch ein Beet mieten als Klasse", sagt Bosse. Wie man es bestellt, richtig mit Tieren und Pflanzen umgeht, lernen die Laborschüler hier. "Die Hütte vom Streichelzoo ist das Projekt einer Klasse." Hierfür gab es eine Beurteilung, natürlich nicht in Zensuren, sondern als Text.
Eine Trommel erklingt vor der Tür zum Gebäude des Hauses 1, wo die Schüler in gemischten Lerngruppen vom Vorschulalter (Klasse 0) bis Klasse 2 unterrichtet werden. Jede "Stammgruppe" hat 16 oder 17 Kinder. "Jede Gruppe wird von einer Lehrkraft betreut", so Bosse. "Auch hier haben wir das Prinzip der offenen Unterrichtsfläche." Im ganzen Schulgebäude gibt es keine Türen, nur zu den Toiletten oder ins Freie. Die Lernflächen liegen auf verschiedenen Ebenen.
Auch Kinder mit Behinderungen lernen hier mit
Die Kinder der Lerngruppen stammen aus Elternhäusern mit möglichst unterschiedlichen Bildungsabschlüssen; auch behinderte Kinder sind dabei. Bosse: "Jedes Kind wird entsprechend seiner Begabung gefördert. Das verstehen wir unter Inklusion." Besonders wichtig sei es, dass die Schüler miteinander, nicht bloß nebeneinander lernen. Und dass sie Futter für ihren unterschiedlichen Bildungshunger bekommen. "Neulich hatte ich einen Drittklässler, der wollte Potenzzahlen lernen", sagt Bosse.
Eine Ebene höher steht in einer Lerngruppe mit 22 Schülern der Klassen 3 bis 5 Englischunterricht an. Im Hintergrund sitzt eine Lehrerin an einem Schreibtisch und hört aufmerksam zu. Besonders achtet sie auf ein autistisches Kind, das in der Gruppe mitlernt. Die Lehrerin hält Bilder mit Dingen hoch, die für eine Urlaubsreise in den Koffer gepackt werden sollen. Die Schüler sollen die passenden englischen Vokabeln finden. Alle sind aufmerksam dabei.
Erst ab dem 6. Jahrgang gibt es einheitliche Jahrgangsgruppen. In einer wird gerade Mathematik unterrichtet. "Was ist ein Term?", fragt der Lehrer. In Zweierteams arbeiten die Schüler an der Antwort: "Ein Term ist eine Rechnung." Den Nachbarraum füllen 45.000 Bücher, die die Kinder jederzeit nutzen können.
Schulküche und Werkstatt für die Fantasie
Und dann gibt es sie doch, die klassische Sitzordnung in U-Form: im naturwissenschaftlichen Fachraum, wo etwa Physik und Chemie auf dem Stundenplan stehen. Nebenan aber wird die starre Ordnung gleich wieder aufgelöst: Die Schulküche und die Werkstatt für Holz- und Metallbearbeitung regen die Fantasie der Kinder an. "Jetzt sind sie gerade dabei, Holzmarionetten herzustellen", erläutert Bosse beim Blick durch die Tür. "Tragen Brillenträger auch eine Schutzbrille?", fragt der Lehrer und bekommt ein vielstimmiges "Jaaa!" zurück.
Dass Schüler Selbstvertrauen und Lebenskraft entwickeln, das ist das Ziel der Laborschule. Die wissenschaftliche Begleitung zeige, dass das klappe, sagt Bosse und betont: "Wir wollen anschlussfähig sein." Deshalb gibt es ab dem 9. Schuljahr Zensuren wie in anderen Schulen. Wie anders die individuelle Förderung hier funktioniert, erläutert Bosse am Beispiel eines Schülers. Der habe erst im 7. Schuljahr schreiben gelernt und ist später Architekt geworden. "Die Laborschule ist moderner denn je", sagt Schulleiter Rainer Devantié.