Der Kriminalbeamte stuft die Faktenlage als "grenzwertig" ein und will keine Vermisstenanzeige aufnehmen. "Ich rechnete damit, dass die Person in den kommenden Tagen wieder auftaucht", sagt der Beamte als Zeuge im Prozess. Nur auf Bitten der Schwester Meyers, die "aufgeregt, besorgt, fast hysterisch" im Büro des Kommissars sitzt, wird die Anzeige schließlich geschrieben.
Seit zwei Tagen verschwunden, kein Handy, keine Bank- oder Kreditkarte bei sich, aber 6.000 Euro in der Hosentasche - hätten diese Umstände stutzig machen müssen? Polizeibeamte können Dutzende Geschichten von Menschen erzählen, die nach kurzer Zeit wieder wohlbehalten auftauchen. "Ich hatte den Eindruck, Karl Friedrich Meyer wollte ein neues Leben beginnen", sagt der Kommissar vor Gericht. Und so nimmt die Verwaltungsroutine ihren Lauf.
Eine Woche nach der Vermisstenanzeige werden die Daten Meyers in das bundesweite Informationssystem INPOL eingegeben. Alle Polizeibehörden haben darauf Zugriff. Allerdings sind die Angaben nur deutschlandweit ausgeschrieben, nicht international. Auf Nachfrage von Holger Rostek, einer der Verteidiger von Jörg Z., räumt der Beamte sein Versäumnis ein, dass passende "Häkchen" auf dem INPOL-Formular nicht gesetzt zu haben. Zumindest anfangs gibt es auch kein Foto Meyers in der Polizeidatenbank.
Dann passiert zwei Monate lang kaum etwas. Von Meyer fehlt weiterhin jede Spur, es gibt keine Abhebungen auf seinen Konten. Drei Wochen nach dem Verschwinden erscheint der Kriminalbeamte in Begleitung einer Polizeischülerin am 13. November am Haus des Vermissten im Schnathorster Holz, doch das Gespräch mit Christiane R. bringt keinerlei Erkenntnisse. Sie spricht davon, nur noch 800 Euro Bargeld zu haben. Tatsächlich hatte ihr Geliebter Jörg Z. am 2. November eine Rolex-Armbanduhr, die Meyer bei seinem Verschwinden trug, für etwa 2.500 Euro an einen Händler in Herford verkauft. Dazu später mehr.
Kurz vor Weihnachten 2012, also acht Wochen nach der Vermisstenanzeige, startet die Polizei einen Aufruf in den Medien, der über die Jahreswende sieben Hinweise zu dem auffälligen Jeep Wrangler einbringt, den Meyer am 21. Oktober fuhr. Die Sichtungen deuten auf den Raum Bünde und Porta Westfalica hin, "immer in der Nähe von Bordellen", wie der Kriminaler im Prozess sagt. Eine Zeugin will Meyer außerdem in Begleitung von Frau und Kind an einem Spaßbad in Herford gesehen haben. "Die Hinweise passten zuerst darauf, dass er sich abgesetzt hatte", so der Beamte weiter. Doch dann ermittelt er einen örtlichen Jagdpächter mit baugleichem Fahrzeug, der offenbar gesehen wurde. "Die Hinweise haben sich alle zerschlagen", sagt der Kommissar. Zu diesem Zeitpunkt - Ende Januar 2013 - ist Karl Friedrich Meyer seit einem Vierteljahr verschwunden.