
Hüllhorst. Kann in dieser Republik ein Mensch verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen? Nicht jemand vom Rand der Gesellschaft, sondern aus deren vermeintlicher Mitte. Mit Haus, Hund, gutem Auskommen und einer Lebensgefährtin. Und kann es sein, dass anschließend monatelang kaum etwas passiert, obwohl es vom ersten Tag an Ungereimtheiten gibt? "Es war ja nichts Konkretes da, außer das sein Haus ausgeräumt wurde", sagt ein Kriminalbeamter, der den Fall zuerst bearbeitete. Kennt man die mysteriösen Umstände um das Verschwinden von Karl Friedrich Meyer aus Hüllhorst, ist das ein denkwürdiger Satz. Es wird nicht der einzige bleiben.
Seit den Abendstunden des 21. Oktober 2012 fehlt von Meyer, damals 47 Jahre alt, jegliche Spur. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld glaubt, dass er eine Auseinandersetzung mit dem Geliebten seiner langjährigen Partnerin nicht überlebte. Ein Faustschlag von Jörg Z. (46) soll zum Tod geführt haben. Bis die Strafverfolger zu dieser Einschätzung kamen, verging mehr als ein Jahr. Ohne die Gier der Lebensgefährtin Christiane R. (40) und des mehrfach vorbestraften Jörg Z. hätte es womöglich überhaupt keine Anklage gegeben. Die Vermisstensache Meyer wäre in den Akten verschwunden.
Selten bedient ein Kriminalfall so viele Klischees: Käuflicher Sex, Schwarzgeld, Habgier, Eifersucht und immer wieder Rotlicht - all das hinter der schmucken Fassade eines bürgerlichen Daseins am Südhang des Wiehengebirges. Viel Unappetitliches ist in den letzten Monaten zu Tage gekommen. Doch über den eigentlichen Tod von Karl Friedrich Meyer gibt es nur Vermutungen.
Seit dem 21. Juli 2014 müht sich die zehnte Strafkammer am Bielefelder Landgericht die Tat aufzuklären. Jörg Z. ist wegen Totschlags angeklagt, Christiane R. wird versuchte Strafvereitelung vorgeworfen, weil sie ihrem Geliebten ein falsches Alibi verschafft haben soll. Mühsam ist der Indizienprozess aus mehreren Gründen: Weder die Leiche Meyers noch sein Wagen wurden jemals gefunden. Es gibt keine Zeugen für die Tat. Und beide Angeklagte schweigen beharrlich im Gerichtssaal. Nach 17 Prozesstagen ist ein teils schockierender Einblick ins Milieu gelungen, doch vieles davon wird am Ende juristisch kaum relevant sein.
Am 23. Oktober 2012 erscheint Christiane R. mit der Schwester ihres Lebensgefährten auf der Polizeiwache Lübbecke. Sie gibt an, Karl Friedrich Meyer habe zwei Tage zuvor das gemeinsam bewohnte Haus im Schnathorster Holz in Hüllhorst gegen 19 Uhr verlassen. "Ich muss noch mal weg", soll er gesagt haben - Ziel oder zeitliche Rückkehr unbekannt. Das sei öfters mal vorgekommen, sagt Christiane R., aber immer nur stundenweise und nie über Nacht. Sein Handy und die EC-Karte habe er zu Hause gelassen, führe aber circa 6.000 Euro Bargeld mit sich. Außerdem würde sich Meyer in der letzten Zeit sexuell zu Männern hin umorientieren.