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Kirchen schimpfen über frühen Verkauf von Weihnachtsgebäck

Benedikt Alberternst

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Printen, Spekulatius und Dominosteine türmen sich schon jetzt in den Supermärkten. - © dpa
Printen, Spekulatius und Dominosteine türmen sich schon jetzt in den Supermärkten. (© dpa)

Hannover. Es ist noch Badehosen-Wetter, und die ersten Printen und Spekulatius liegen bereits im Regal. Am Verkaufsstart von Weihnachtsgebäck knapp vier Monate vor dem Fest stößt sich gerade an diesem noch sommerlichen Herbstbeginn so mancher. Die Kirche schimpft: Mit Weihnachten habe das alles nichts mehr zu tun.

Der Handel hat Zimtsterne, Dominosteine und Lebkuchen unterdessen schon seit einiger Zeit schlicht in Herbstgebäck umgetauft – und ist sich sicher: Die Leute greifen zu. Fristen, ab wann welche Süßwaren verkauft werden dürfen, gibt es nicht. Das bestimmt allein der Handel.

„Die durchgängige Kommerzialisierung der christlichen Feste ist uns nicht recht", meint der Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach. Sowohl der Zeitpunkt des Verkaufs als auch die Bezeichnung „Herbstgebäck" sind ihm ein Dorn im Auge.

"Der Sinn der Leckereien geht verloren"

Die Herkunft werde damit bewusst unsichtbar gemacht. Der Advent, für den das Gebäck wie Spekulatius eigentlich gebacken wurde, sei eine Bußzeit – eine Zeit der Bescheidenheit. Früher hätten die Menschen sogar gefastet und sich daher mit dem etwas trockeneren Gebäck begnügt. All das, um sich auf Weihnachten vorzubereiten. Ohne dieses Bewusstsein gehe der Sinn der Leckereien verloren. „Dann können Sie auch normalen Kuchen essen", sagt Gundlach.

„Von Weihnachten haben wir das Gebäck schon lange gelöst, indem wir es mit dem Herbst verbunden haben", sagt der Inhaber des Printen-, Stollen- und Lebkuchenherstellers Lambertz, Hermann Bühlbecker. Die Diskussion, wann das Gebäck in die Läden darf, ist für ihn belanglos. In Russland oder in Südamerika verkaufe er Printen und Lebkuchen das ganze Jahr über. Das ist in Deutschland nur in Städten wie Aachen, Nürnberg und Dresden der Fall.

Jeder Deutsche nascht 900 Gramm Weihnachtsgebäck

Ob Herbst- oder Adventsgebäck: Die Verbraucher futtern tüchtig. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Verbrauch laut Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) jährlich bei rund 900 Gramm. Deutsche Hersteller produzierten im vergangenen Jahr etwa 81.000 Tonnen. Insbesondere zu Saisonbeginn beobachtet der Sprecher der Handelskette Real, Markus Jablonski, eine sehr große Nachfrage: „Die Leute haben wirklich darauf gewartet."

„Das Herbstgebäck lebt davon, dass es lange Zeit nicht am Markt ist. Die ersten schmecken eben am besten", meint Lambertz-Inhaber Bühlbecker. Zumindest sei das die Wahrnehmung vieler Kunden. Die Vorfreude spiele dabei die entscheidende Rolle. „Knappheit ist der älteste Marketingtrick der Welt", sagt auch Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU. Das Gebäck profitiere auch davon, dass Kunden emotional auf Weihnachten reagieren. Dennoch ist es bei Temperaturen jenseits der 25 Grad kaum verwunderlich, dass viele kopfschüttelnd an den Paletten im Supermarkt vorübergehen.

Zunächst Gebäck, später auch Weihnachtsmänner

„Ist denn schon Weihnachten?", ist von einem Kunden in Hannover zu hören. Andere greifen beherzt zu. „Dass das Gebäck immer früher verkauft wird, ist aber eine Mär", sagt der Sprecher des Handelsverbands Deutschland, Stefan Hertel. Seit mehr als zehn Jahren komme es Anfang September in die Regale. Um mit dem Verkauf von Adventsgebäck schon jetzt zu beginnen, müssen die Händler andere Produkte aus den Regalen nehmen. Später wird das Sortiment dann palettenweise erweitert.

Ab Mitte Oktober, wenn es kühler ist, halten auch Weihnachtsmänner aus Schokolade Einzug in den Läden. Diese seien für die meisten Verbraucher – anders als Spekulatius oder Lebkuchen – fest an die Weihnachtstage gekoppelt, erklärt BDSI-Geschäftsführer Torben Erbrath. Dass allmählich immer Neues hinzukommt, sei sehr geschickt, sagt Marketingexperte Fassnacht. Dann träten „Lerneffekte" auf. Die Kunden würden auf den Konsum weiterer Artikel vorbereitet.

Kommentar: "Her mit dem Gebäck"

von Dirk-Ulrich Brüggemann

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in kurzer Hose Lebkuchen-Oblaten, Zimtsterne, Dominosteine und Spekulatius eingekauft zu haben. Aber einmal ist immer das erste Mal – und in diesem Jahr ist es passiert. Liegt das daran, dass das Weihnachtsgebäck früher in die Händlerregale gekommen ist als sonst?

„Nein" sagen die Hersteller und versichern, dass der Verkauf der Naschereien für den bunten Teller unter dem Weihnachtsbaum schon immer etwa vier Monate vor dem Fest beginnt. Nichts Ungewöhnliches also. Oder doch?

Mittlerweile leben wir in einer Zeit, in der Erdbeeren ganzjährig verfügbar sind. Exotische Früchte werden mit dem Flieger um die halbe Welt transportiert, um unsere verwöhnten Gaumen zufriedenzustellen. Das wird oft kritisiert – aber wenn wir ehrlich sind: Wir genießen es.

Ein Spekulatius ist zwar in Deutschland ein typisches Weihnachtsgebäck. Aber in Belgien und in den Niederlanden wird er ganzjährig gegessen. Auch in Indonesien gibt es ihn, denn das Land war früher eine niederländische Kolonie. Also, wo ist das Problem?

Ich freue mich jedes Jahr auf die Dominosteine und Oblaten mit Schokoüberzug und Zuckerguss. Warum nicht die erste Packung an einem der letzten Freibadtage in Badehose genießen? Frisch schmeckt es doch immer am Besten.

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