Youtube-Fans fliegen auf Salzkottener Gleitschirm-Piloten

Salzkotten . Alles begann mit einem gebrauchten Gleitschirm für 60 Euro. Durch ein Youtube-Video hatte sich Marlon Jonat vor sieben Jahren zufällig auf eine Idee bringen lassen. Daraus wurde für den Salzkottener sein großes Hobby: das Paragliden.

Mittlerweile fliegt er bis zu fünf Mal pro Woche und wurde nebenbei zum erfolgreichsten deutschen Gleitschirm-Youtuber. Doch der Kanal erhielt zehn Monate lang keinen Nachschub. Jonat stand nach einem Extrem-Flug im vergangenen Jahr an der Schwelle zum Tod.

Am 19. Juli feiert er mit seiner Freundin Anni nun erstmals den zweiten Geburtstag. Im letzten Jahr hat dieser Tag sein Leben verändert. Bei einem geplanten Akrobatik-Flug hatten Kräfte von bis zum achtfachen des Körpergewichts an ihm gezogen. "Monate hatte ich dafür geübt und war stolz", sagt er heute. Doch schon bei der Landung spürt er Schmerzen in der Brust. Im Krankenhaus kommt nach der Untersuchung bei den Ärzten Hektik auf: Riss der Hauptschlagader oberhalb des Herzens.

Sofort Not-OP im Spezialkrankenhaus in Bad Rothenfelde. "Von drei Hautschichten hielt nur noch eine", sagt Jonat heute. "Manche Ärzte haben danach von einem Wunder gesprochen." Es kam raus, der Sozialarbeiter hatte eine genetische Veranlagung, sein Onkel war an einem Aortenriss gestorben: "Die Flugmanöver an diesem Tag haben den Riss wohl beschleunigt, aber es hätte mich sonst später damit erwischt." Jonats herausragende Fitness hilft ihm, nach der Not-OP auch in der Reha wieder den Anschluss ans Leben zu finden. Sieben Wochen nach der Operation hebt er schon wieder mit seinem Gleitschirm ab und horcht seitdem noch aufmerksamer in seinen Körper.

"Das sollte heute niemand mehr machen" Jonat ist heute äußerlich nichts anzumerken. Die lange Narbe auf der Brust liegt versteckt unter dem Pulli. Der 32-Jährige wirkt nicht wie einer, der unüberlegt ins Risiko geht. Er ist ein ruhiger Typ, drahtig, mit Hipster-Bart und rasiertem Schädel. Der Flieger baut gerade seine Yoga-Schule an der B 1 um, im Obergeschoss zieht er mit seiner Freundin ein. Doch neben Heim und Garten braucht er immer wieder den Kick.

Früher Skateboard und Motorrad, heute Gleitschirm. Zum Fliegen zieht es ihn oft ins Sauerland. An Hügeln gibt es Startplattformen für Paraglider. Aber den Beginn seiner Gleitschirmkarriere erlebte Jonat in der Heimat. Mit dem gebrauchten 60-Euro-Schirm und einem Klettergeschirr lässt er sich vor sieben Jahren auf Wiesen zwischen Salzkotten und Tudorf in die Höhe ziehen. "Das sollte heute niemand mehr machen", warnt er und erinnert sich an manche unsanfte Landung.

Weil es ihn aber in immer größere Höhen zieht und er das Schwebegefühl intensiver auskosten will, folgt die Ausbildung zur A-Lizenz. Grundkurs im Willingen, Höhenausbildung in Norditalien. Für Jonat erfüllt sich ein Traum: "Schon als Kind habe ich mir vorgestellt, zu fliegen". Später macht er den B-Schein und die Tandem-Lizenz. Heute ist es mal die Akrobatik, die ihn in der Luft reizt, mal sind es Flüge "auf Strecke". Der weiteste führt ihn 237 Kilometer nach Westen bis kurz vor Belgien. "Sechseinhalb Stunden in der Luft und ich war mit dem letzten Zug sogar nachts wieder in Salzkotten", erinnert sich Jonat an den Überflug von Ostwestfalen ins Rheinland.

So schätzt der Pilot die Risiken ein

Ein Streckenflug war zuvor auch der Durchbruch auf Youtube: "Ich war das erste Mal über 100 Kilometer weit gekommen. Das Video holte dann bis zu 10.000 Abrufe an einem Tag. Bei anderen Clips waren es höchstens mal acht." Für Jonat ist es von da an Ansporn genug, weiter zu filmen. Drei Kameras hat er im Flug um sich herum, auch der Ton muss passen. Verkabelungen, Akkus, Halterungen - alles sitzt rund ums Gleitschirm-Geschirr. Der Lohn sind Fliegerbilder aus der Adlerperspektive. Manche Touren führen über den Kreis Paderborn, auch eine Außenlandung in Sande ist zu sehen.

"Ich habe gemerkt, dass es den Leuten gefällt, wenn ich meine Flüge kommentiere", sagt der Sälzer, der als Sozialarbeiter im Hövelhofer Salvator-Kolleg arbeitet. Er will vor allem die Schönheiten seines Sports zeigen und gleichzeitig Vorbild sein in einem Hobby, bei dem Fehler das Leben kosten können. "Die größten Risiken entstehen, wenn Menschen sich selbst, ihr Material oder das Wetter falsch einschätzen. Wer vernünftig bleibt, dem kann ich das Paragliden nur empfehlen." Der Weg zur A-Lizenz kostet etwa 1.500 Euro. In etwa genauso viel sei für einen guten gebrauchten Schirm fällig, sagt Jonat. Jede Menge Ausrüstung kommt noch obendrauf.

Für Marlon Jonat haben sich die Investitionen in den Sport gelohnt. Er genießt die Flüge und die stetige Jagd nach der Thermik. Sein Ziel: Mit einem Freund will er in Zukunft noch bessere Videos bei Youtube abliefern. Schon jetzt stecke in jedem Clip etwa 40 Stunden PC-Arbeit, sagt der Yoga-Lehrer. Immerhin beginne sich die Mühe langsam auszuzahlen, die Videoplattform lässt Anteile der Werbeeinnahmen springen.

Youtube könnte zum Nebenverdienst werden. Der Film über den Aortenriss und seine Folgen erreichte in knapp zwei Monaten rund 380.000 Klicks, der Kanal hat knapp 30.000 Abonnenten. Die wichtigste Nachricht für alle Fans: Der Operateur erlaubt Jonat die Fortsetzung der Fliegerei. Genau wie er seine fünf Schirme regelmäßig überprüft, lässt er aber auch seinen Körper nun zweimal im Jahr checken.

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