Tierschützer in Sorge: Veterinäramt gibt 90 verwahrloste Tiere in den Handel

Kreis Höxter . Die Tapete an den Wänden ist zerfetzt, der Teppich auf dem Boden schlägt Wellen und ist mit Dreck übersät. Eine Tür geht auf, das Gequieke los. Ein halbes Dutzend Meerschweinchen läuft der geöffneten Tür entgegen. Was wie Keller oder Stall anmutet, ist ein Raum in einer Wohnung im dritten Stock.

Der Hochflorteppich entpuppt sich auf den zweiten Blick als Meerschweinchentraube. Zwischen ihnen blitzt hier und da der Fliesenboden durch. Im Hintergrund steht ein Käfig, der vor Meerschweinchen überzuquillen scheint. Kurzer Kameraschwenk nach oben an die Decke, von der dicke Spinnen- und Staubnetze hängen. Dann wieder Blick auf die Tiere. Alles begleitet von vielstimmigem Quieken und Fiepen. An den Wänden stehen Schränke und Kommoden, teilweise sind die mit Heu bedeckt. Die Tür wird unter leichtem Knarren geschlossen, das Video endet nach 17 Sekunden.

Mareike F. (Name geändert) hat den Film nicht selbst gedreht, ihn aber zugeschickt bekommen und dann gehandelt. Sie hat den Halter der vielen Nager beim Veterinäramt des Kreises Höxter gemeldet. Dieses wurde auch tätig und nahm 90 Meerschweinchen mit. Allerdings brachte der zuständige Mitarbeiter die Tiere nicht in ein Tierheim, sondern brachte sie anderweitig unter. &bdquo;Ich befürchte, die Tiere sind nun vom Regen in die Traufe gekommen", sagt Mareike F. im Gespräch mit nw.de.

Paderborner Tierheim ist bereit Als Mareike F. das 17-sekündige Video in der vergangenen Woche sieht, ist sie schockiert. &bdquo;Ich war sehr erschüttert, dass es sich dabei um eine Wohnung handelte", berichtet sie. &bdquo;Im Video war auch ein Käfig zu sehen, in den die Meerschweinchen reingestopft waren wie Presswürste und ich hatte den Eindruck, als könnten sie da nicht raus."

Sie ruft beim Veterinäramt des Kreises an. Dort, sagt sie, sei der Meerschweinchenhalter bereits bekannt gewesen. Auf Hinweis des Jugendamts habe ein Mitarbeiter den Halter bereits aufgesucht, sei aber wieder unverrichteter Dinge weggeschickt worden. Mareike F. insistiert und erreicht schließlich, dass der Mitarbeiter noch einmal hinfährt.

Direkt im Anschluss sucht F. Kontakt zum Paderborner Tierheim, denn 90 Meerschweinchen müssen ja auch irgendwo untergebracht werden. Und im Kreis Höxter gibt es kein Tierheim. Gabriele Votsmeier vom Tierheim in Paderborn bestätigt das. Sie habe am Mittwochabend einen Anruf erhalten und sofort nach einer Lösung gesucht. Denn so viele Tiere kann auch der Tierschutz ad hoc nicht ohne Weiteres händeln. Die Tierheime in der Region seien jedoch gut vernetzt, sagt Votsmeier. Nach zwei Stunden ist dann klar: &bdquo;Wir könnten dicke mehr als 100 Tiere unterbringen."

Die vermeintlich frohe Kunde teilt Mareike F. dem Mitarbeiter des Kreises Höxter am Donnerstagmorgen mit. Gegen Abend des selben Tages werden die Meerschweinchen aus der Wohnung geholt, aber nicht auf die vorbereiteten Tierheime verteilt.

Tierschützer sind skeptisch &bdquo;Die vermittelbaren Tiere wurden an Zoofachhandlungen in der Region abgegeben, darunter auch einige trächtige Tiere", teilt der Kreis Höxter auf Anfrage von nw.de mit. Auf die Nachfrage, wie viele Tiere nicht vermittelbar waren und was mit ihnen geschah, antwortete der Kreis bis Redaktionsschluss nicht.

Mareike F. hat recherchiert, dass 40 Tiere an eine Frau gegangen seien, die Meerschweinchen züchte und bei einem Zoogeschäft im Kreis Höxter arbeite. nw.de kann das bisher nicht verifizieren. &bdquo;Ob das die beste Lösung für die Tiere ist, weiß ich nicht", sagt F. skeptisch.

&bdquo;Die Tiere waren in keinem guten Zustand, einige mussten eingeschläfert werden, weil es Inzuchttiere waren oder sie Verletzungen hatten, das hat der Amtsveterinär mir selbst erzählt – wie ist das da mit der Versorgung? Kann eine Privatperson es sich leisten, mit 40 Tieren zum Tierarzt zu gehen?" Solche Tiere zum Tierschutz zu geben, sagt F., sei immer sinnvoller. &bdquo;Die sind da ganz anders aufgestellt, auch finanziell."

Tiere müssen durchgecheckt werden Gabriele Votsmeier erklärt, dass es nicht unüblich sei, dass es Anfragen von Veterinärämtern aus anderen Landkreisen gebe. Sie betont aber, dass es in diesem Fall keinen Kontakt mit dem Kreis Höxter gegeben habe. &bdquo;Für uns ist das etwas komisch, wer ad hoc diese Masse an Tieren artgerecht aufnehmen kann, ist mir schleierhaft."

Zu den Meerschweinchen aus dem Kreis Höxter kann sie nun nichts sagen, generell erklärt die Expertin jedoch, wie mit Tieren verfahren wird, von denen bekannt ist, dass sie zuvor nicht adäquat gehalten wurden. &bdquo;Die muss man durchchecken. Wenn ein Halter den Überblick verloren hat, dann hat er auch den Überblick über die Gesundheit der Tiere verloren."

Männlein und Weiblein würden sofort getrennt, Tiere erst einmal optisch begutachtet und in Gruppen je nach Gesundheitszustand eingeteilt. Um andere Tiere nicht anzustecken, müssten die Neuzugänge in Quarantäne. &bdquo;Da ist dann auch der Vorteil, wenn man mehrere Tierheime hat, die aufnehmen, dann kann man die Quarantäne leisten." Und dann müssten die Tiere zum Tierarzt. &bdquo;Die notwendigen Untersuchungen der Tiere sind erfolgt", heißt es dazu aus der Pressestelle des Kreises Höxter. Die Frage, warum das Angebot der Tierheime nicht angenommen wurde, blieb unbeantwortet.

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