Flucht aus der Zwangsprostitution: Ein neues, sicheres Leben in OWL

Herford. Als Nicola 2014 von Rumänien nach Deutschland zieht, hofft die 21-Jährige auf einen auskömmlichen Job in einem Hotel und ein sicheres Leben mit ihrem Partner. Doch schon am Tag der Ankunft zerplatzt dieser Traum. Denn ihr Freund zwingt sie in die Prostitution. Bordell statt Hotel. Gewalt statt Sicherheit.

Nicola wurde, wie schon Tausende Frauen vor ihr, mit falschen Versprechen nach Deutschland gelockt und bangt in den darauffolgenden Jahren immer wieder um ihr Leben. 2018 gelingt Nicola die Flucht, sie stellt Strafanzeige gegen ihren Ex-Partner und trägt vor Gericht zu seiner Verurteilung bei. Doch 2021, nach zwei Jahren Haft, wird der Menschenhändler wieder entlassen. Nicola muss erneut um ihr Leben bangen.

Zwangsprostitution in Bordellen von München bis Hamburg Nach der Ankunft in Deutschland beginnt für Nicola, die zum Schutz vor ihrem Ex-Partner anonym bleiben möchte, ein Leben in Todesangst. Zwischen 2014 und 2018 zwingt ihr Partner die junge Rumänin zur Prostitution in Bordellen in München, Frankfurt, Bonn, Hamburg und weiteren Städten. &bdquo;Wir sind ständig weitergezogen und nie lange in einer Stadt geblieben. Er hat mein gesamtes Leben bestimmt. Ich hatte kein Geld und keine Papiere."

Nicola wird von ihrem Partner misshandelt. &bdquo;Er zwang mich, Kokain zu nehmen, hat mich verprügelt und mit einem Messer verletzt." Die Narben dieser Taten trägt sie am gesamten Körper. &bdquo;Ich dachte bei jeder Prügelattacke und bei jedem Messerangriff, dass ich jetzt sterben werde."

In Bordellen trifft Nicola viele andere Opfer

In den Bordellen trifft Nicola immer wieder auf Frauen, denen es genauso geht wie ihr. &bdquo;Sie alle wurden mit falschen Versprechen nach Deutschland gelockt und dann in die Prostitution gezwungen. Wir wurden schlechter behandelt als Tiere." Den Bordellbetreibern war das laut Nicola egal. &bdquo;Auch wenn wir übersät mit Blutergüssen zur Arbeit kamen. Es hat einfach niemanden interessiert."

Mehrfach versucht Nicola ihrem Peiniger zu entfliehen, scheitert aber. &bdquo;Und jedes Mal wurde er noch gewalttätiger." Doch 2018 gelingt ihr die Flucht. Im Schlafanzug verlässt sie die Wohnung. Mit dabei hat sie nur eine Jacke und etwas Geld. &bdquo;Ich bin aus der Wohnung gerannt und habe mich in ein Taxi gesetzt." Die Fahrerin bringt Nicola von Frankfurt nach Mannheim und bucht auf ihren Namen ein Hotelzimmer. &bdquo;Dank der Taxifahrerin gelang meine Flucht." Nicola kauft sich ein Prepaid-Handy und ruft ihre Tante an, die in Deutschland lebt. Vier Jahre Zwangsprostitution liegen hinter ihr.

&bdquo;In Rumänien ist Gewalt gegen Frauen normal, auch für Polizisten"

&bdquo;Zu dieser Zeit wusste mein Ex-Partner noch nicht, wo meine Tante in Deutschland lebt. Inzwischen weiß er das, weshalb ich nicht mehr bei ihr leben kann." Mit Unterstützung der Tante erstattet sie Strafanzeige bei der Polizei. &bdquo;Ich hätte mich ohne sie niemals der Polizei anvertraut. In Rumänien ist Gewalt gegen Frauen normal, auch für Polizisten."

Es kommt zum Prozess gegen den Ex-Partner. Nicola sagt gegen ihn aus: &bdquo;Er wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, doch nach zwei Jahren kam er schon wieder raus und arbeitet nun weiter als Menschenhändler."

Täter bedroht die Familie, um herauszufinden, wo Nicola ist Davon erfährt Nicola von anderen Frauen, die er ebenfalls in die Prostitution zwingt. &bdquo;Außerdem bedroht er meine Familie in Rumänien, um herauszufinden, wo ich lebe." Um das zu verhindern, lebt Nicola inzwischen an einem geheimen Ort in OWL. Dank der Frauenberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel &bdquo;Nadeschda" in Herford hat die 28-Jährige inzwischen eine sichere Zuflucht erhalten.

Über die Polizei erfährt Nicola von dem Hilfsangebot. Sozialpädagogin Mira von Mach betreut Nicola. &bdquo;Ich war am Ende, doch durch die Hilfe von Mira änderte sich das. Ich konnte ihr vertrauen und mich dadurch endlich sicher fühlen. Sie hat mir das Leben gerettet."

Nicola lächelt, wenn sie an ihr neues Leben denkt Nicola lächelt, wenn sie über ihr neues Leben spricht, obwohl sie aufgrund der Freilassung ihres Ex-Partners wieder in Gefahr ist. &bdquo;Ich fühle mich trotzdem sicher, weil mich die Beratungsstelle unterstützt. Ich führe trotz der Bedrohung ein selbstbestimmtes Leben."

Die junge Frau wird Deutschland in diesem Jahr verlassen. &bdquo;Ich habe inzwischen einen neuen Partner. Wir haben ein Kind bekommen und werden künftig in Großbritannien leben, sobald ich die nötigen Visa erhalte." Eine Entscheidung, mit der Nicola nicht nur ein neues Leben beginnen möchte, sondern ihr altes in Deutschland vergessen möchte. &bdquo;Ich möchte nicht mehr an die Vergangenheit denken."

Opfer helfen als Alltagslotsinnen anderen Frauen

Opfer von Menschenhandel, die wie Nicola mit falschen Versprechen nach Deutschland gelockt wurde, betreut das Team von Nadeschda jeden Tag. 2020 waren 83 Frauen in der Betreuung, die von alltäglicher Hilfe und psychologischer Beratung bis zur Begleitung in Asylverfahren oder Gerichtsverhandlungen reicht. Zuständig ist die Beratungsstelle in Trägerschaft der evangelischen Frauenhilfe in Westfalen für die gesamte Region Ostwestfalen-Lippe. &bdquo;Wir schulen auch das Personal in Flüchtlingsunterkünften, um die Mitarbeiter für das Thema Menschenhandel zu sensibilisieren", erklärt Sozialarbeiterin Lisa Dockhorn.

Die meisten Opfer stammen aus Nigeria und anderen westafrikanischen Ländern und erfahren über andere Hilfsorganisationen von der Beratungsstelle Nadeschda, die inzwischen auch ehemalige Klientinnen in einem Peer-to-Peer-Projekt schult. &bdquo;Wir haben inzwischen elf Frauen als Alltagslotsinnen ausgebildet. Sie helfen neuen Klientinnen im Alltag, beraten in der Muttersprache und sind Vertrauenspersonen, weil sie ähnliche Erfahrungen machen mussten", sagt Dockhorn.

Unterstützer fordern mehr Beratungsstellen für Opfer Zur besseren Unterstützung der Opfer wünscht sich das Team von Nadeschda mehr Aufmerksamkeit für das Thema Menschenhandel. &bdquo;Am 18. Oktober wurde europaweit der Tag gegen Menschenhandel begangen, doch wichtig ist, dass wir als Gesellschaft jeden Tag hinschauen", sagt von Mach. &bdquo;Zudem benötigen wir mehr unabhängige Beratungsstellen für Opfer und mehr Kontrollen durch die Polizei, denn Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt."

Darauf hofft auch Nicola, denn sie ist sich sicher: &bdquo;Ohne die Hilfe von Nadeschda wäre ich längst tot."

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