Familie mit elf Kindern flieht aus der Ukraine und startet neu in Löhne

Löhne. Anfang März haben sie es nicht mehr ausgehalten. Raus aus Pawlograd, nach Westen, nur darum ging es noch. "Wir wollten so schnell wie möglich weg. Ohne Ziel. Hauptsache raus", sagt Igor Korchak. Am 7. März verließ er mit Ehefrau Ludmilla und elf Kindern seine Heimat. Jetzt sind sie in Sicherheit in der städtischen Unterkunft an der Ellerbuscher Straße und richten sich in ihrem neuen Leben ein. Wie lange ihre zweite Heimat Löhne sein wird, ist ungewiss.

Vor der Flucht wuchs die Angst von Tag zu Tag, dass der Krieg auch in ihre Heimatstadt kommen könnte. Besonders schwer wiegt die Verantwortung des Ehepaars für die vielen Kinder. Vier Kinder sind die leiblichen Kinder von Igor und Ludmilla Korchak. Sieben Kinder leben als Pflegekinder in der Familie. "Wir betreiben in der Ukraine ein Kinderheim", sagt Igor Korchak. Es sei in der Ukraine üblich, dass Kinder, die nicht mehr bei ihren Familien leben können, in möglichst kleinen Einheiten betreut werden. Die Korchaks haben in einem Haus gelebt, das von einer kirchlichen Einrichtung finanziert wurde, die laufenden Kosten für die Betreuung der Kinder trägt der ukrainische Staat. "Wenn das Werk hochgeht, kommt es zur Katastrophe"

"Unsere Pflegekinder stammen von zwei verschiedenen Müttern, denen das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde", sagt Ludmilla Korchak. Die Mütter hätten Probleme mit Drogen und Alkohol gehabt. Drei Kinder sind chronisch krank. Zwei leiden an Epilepsie, einer ist Diabetiker, der regelmäßig Insulin braucht. Mit dieser großen Familie ist eine Flucht viel aufwendiger, so fiel die Entscheidung, das Land zu verlassen, bevor es in Pawlograd zu Gefechten gekommen ist. Allerdings spitzte sich die Lage in den Tagen vor der Flucht mehr und mehr zu. "Es sind nur 160 Kilometer bis zu den Separatistengebieten von Luhansk. Vor unserer Haustür waren immer wieder Militärfahrzeuge unterwegs", sagt Igor Korchak. Große Angst hat die Familie vor einem Angriff auf das Chemiewerk Pawlograd, einem bedeutenden Unternehmen der Rüstungsindustrie. Dort werden unter anderem Raketengranaten und Brennstoffe für Raketen hergestellt. "Da sind vor einigen Wochen schon zwei russische Raketen eingeschlagen. Wenn das Werk hochgeht, kann es zu einer Katastrophe kommen", sagt er.

Zerstörte Pkw und Panzer

In einem alten Transporter machten sich die Korchaks mit zwei Erwachsenen und elf Kindern auf den Weg. Eng wie in einer Sardinenbüchse ging die Fahrt nach Westen. Der Wagen hat nur acht Sitzplätze. Es musste improvisiert werden. "Als wir gefahren sind war es noch ruhig, auf der Fahrt nach Westen haben wir aber immer wieder aus der Ferne Schüsse gehört", sagt Igor Korchak. Auf der Fahrt haben sie zerstörte Pkw und Panzer gesehen. "Über unser Auto ist auch ein Düsenjet geknallt. Ich habe noch nie so viel gebetet", sagt Ludmilla Korchak.

Über Polen und Ungarn ging es in die tschechische Hauptstadt Prag. "Dort lebt ein Onkel von mir, wir konnten uns ein paar Tage erholen", sagt Igor Korchak. Bleiben konnten sie dort nicht. Eher durch einen Zufall, durch eine Bekannte, die auch aus der Ukraine nach Löhne geflohen ist, sind sie in der Werrestadt gelandet. Diese Bekannte wiederum hat hat Kontakt zu Helene und Johann Wins, die das Gespräch mit den Korchaks übersetzen.

Nach einer Beinamputation im Rollstuhl

"Wir haben in einem Rundschreiben unserer Gemeinde davon erfahren, dass eine ukrainische Familie, die aus 14 Personen besteht, dringend eine Unterkunft braucht", sagt Johann Wins. Er und seine Frau sind in der kleinen "Gute-Nachricht-Gemeinde" in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen aktiv. Familie Wins hat sich gekümmert und die Familie vorübergehend aufgenommen. Unterdessen war auch Alla Korchak dazu gekommen, die Mutter von Igor. Sie sitzt nach einer Beinamputation wegen einer Diabetes-Erkrankung im Rollstuhl. "Da war Holland in Not", sagt Johann Wins.

Nach ein paar Tagen in großer Enge fand sich für die Familie eine vorübergehende Lösung. In der städtischen Unterkunft der Stadt Löhne an der Ellerbuscher Straße war eine Wohnung frei. Dort lebt die Familie jetzt seit Ende März. "Das ist für die Familie schon sehr eng. Die haben zwei Räume, eine Küche und ein Bad. Es wäre schön, wenn sich etwas Größeres für sie finden würde", sagt Helene Wins.

Spontanes Hilfsangebot

Das Ehepaar Wins unterstützt die Familie beim Start in der Heimat auf Zeit. So hat auch Melanie Kracht von der Familie erfahren. Die Bankkauffrau arbeitet bei der Filiale der Sparkasse Herford im Löhner Zentrum. "Ich bin mit Herrn Wins ins Gespräch gekommen, als er für die Familie bei uns einige Dinge erledigen wollte", sagt sie. Spontan bot Melanie Kracht Hilfe an. Sie hat für die Familie verschiedene Alltagsgegenstände wie Geschirr oder einen Brotbackautomaten besorgt. "Jetzt weiß ich, dass die Ukrainer zu jeder Mahlzeit Brot essen", sagt sie. Melanie Kracht unterstützt die Familie auch, wenn es um den Kontakt mit den Behörden geht. Und darum, die Stadt kennenzulernen. "Neulich waren wir an der Ulenburg", sagt sie. Sehr unkompliziert und hilfsbereit sei die Zusammenarbeit mit dem Löhner Sozialamt, sagen die Helfer. Die Mitarbeiter hätten in kurzer Zeit viel möglich gemacht. Schon vor den Ferien kamen die Kinder je nach Alter in unterschiedliche Löhner Schulen. "Der Kontakt zu den Mitschülern war ganz schnell da, völlig problemlos, wir waren positiv überrascht", sagt Ludmilla Korchak. Dazu kommt regelmäßiger Online-Unterricht, der durch die Schulen der Kinder in der Ukraine organisiert wird. "Darauf wird sehr großer Wert gelegt", sagt Helene Wins.

"Wir fühlen uns hier nicht wie Flüchtlinge"

Sie und ihr Mann betonen immer wieder, wie dankbar sie den Helfern sind und wie gut sie hier aufgenommen worden seien. "Wir fühlen uns nicht wie Flüchtlinge, es ist hier eher wie bei einer Kur", sagt Ludmilla Korchak.

Ziel sei jetzt, möglichst schnell eine größere Unterkunft zu finden. "Die haben von einem Rohbau gehört, der verfügbar wäre. Da wollten sie schon einziehen. Aber das geht natürlich nicht", sagt Johann Wins. Am besten wäre aus seiner Sicht ein freistehendes Haus. Wer einen Tipp für ein Haus oder eine größere Wohnung hat, kann sich bei Johann und Helene Wins unter Tel. (0 15 22) 1 64 69 00 oder bei Melanie Kracht unter Tel. (01 73) 3 80 26 55 melden.

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