Bielefeld. Immer wieder klingelte das Telefon, die Gespräche dauerten teils mehrere Stunden: Im Februar dieses Jahrs war ein 73 Jahre alter Bielefelder auf so genannte Schockanrufer hereingefallen, die ihn schließlich dazu brachten, eine höhere Summe zu überweisen und einem Geldboten 2.600 Euro zu überreichen.
Bei einer weiteren Geldübergabe lag jedoch mittlerweile die Polizei auf der Lauer, die Boten wurden festgenommen. Das Amtsgericht verurteilte nun einen von ihnen, einen 34 Jahre alten Mann aus dem Sauerland, zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten.
Ein Haftbefehl sollte mit Geld aus der Welt geschafft werden
Im Februar erhielt der Bielefelder Falko C. (Namen aller Betroffenen geändert) mehrfach Anrufe von der Polizei. Oder besser gesagt: von Männern, die sich als Polizisten ausgaben. Denn die Anrufer saßen in Wirklichkeit in Callcentern in der Türkei, wo sie nach dem Zufallsprinzip zumeist betagte Menschen in Deutschland anriefen. So auch im Fall des 73-jährigen Bielefelders.
Die Anrufer gaukelten Falko C. vor, dass in der Türkei ein Haftbefehl gegen ihn vorliege, da er verdächtig sei, treibende Kraft hinter einem Kinderporno-Ring zu sein. Die Vollstreckung des Vollzugs des Haftbefehls könne C. jedoch mit Zahlung einer größeren Summe aus der Welt schaffen. So abstrus die Legende hinter den Anrufen auch war, so sehr war sie doch geeignet, den unter einer beginnenden Demenz leidenden Senior zu verwirren und zu verängstigen. Unwissentlich hatten die Täter mit ihrer perfiden Masche ein leichtes Opfer gefunden. So war Falko C. bereits zuvor auch schon einmal auf vermeintliche Lotteriegewinne hereingefallen und hatte Geld an Unbekannt überwiesen.
Im Umschlag war eine Attrappe
In diesem Fall überwies C. eine fünfstellige Summe in die Türkei. Nun witterten die dortigen Täter, dass noch mehr Geld zu holen sein müsse. Doch offenbar gab es Probleme bei der Geldüberweisung, weshalb die Anrufer nun ankündigten, einen Geldboten zur Anschrift des Manns aus Brackwede zu schicken.
Und hier kam nun der Angeklagte ins Spiel: Am 12. Februar fuhr der 34-jährige Lokman M. aus dem sauerländischen Neuenrade zur Anschrift von Falko C. in Bielefeld. In den Mittagsstunden nahm er dort 2.600 Euro Bargeld von dem 73-Jährigen entgegen, von denen er absprachegemäß 700 Euro selber behielt. Den Rest überwies er in die Türkei. Zwei Tage später das selbe Spiel. Dieses Mal sollte M., der nun in Begleitung eines Freunds anreiste, gar 15.000 Euro in Empfang nehmen. Und tatsächlich überreichte Falko C. dem im Auto auf dem Fahrersitz wartenden M. durch das Seitenfenster einen Umschlag mit 15.000 Euro. Bei diesen handelte es sich jedoch um eine Attrappe, lediglich die daraufhin in Erscheinung tretenden Polizisten waren echt: Sie nahmen Lokman M. und seinen Freund fest.
"Das schwarze Schaf der Familie"
Bei Lokman M. handelt es sich, wie sich bald herausstellen sollte, um einen bislang vollkommen unbescholtenen Mann. Der verheiratete Vater von drei Kindern ist bislang noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, hatte stets gearbeitet, seine gesamte Familie sei, so Verteidiger Carsten Keil, "grundanständig". Mit einer Ausnahme: Zarif M., der jüngere Bruder des Angeklagten, sei das "schwarze Schaf der Familie", sagte der Rechtsanwalt. Zarif sei kriminell und vor mehr als zehn Jahren in die Türkei abgeschoben worden.
Die Familie habe mit ihm mittlerweile auch gebrochen. Dennoch wendete sich Zarif M. an seinen Bruder, als es Schwierigkeiten mit der Überweisung des Gelds von Falko C. gab. Lokman M. wiederum mochte sich dem Wunsch seines Bruders nicht widersetzen. Sei es aus familiärer Verbundenheit, vielleicht auch aus Angst vor dem kriminellen Verwandten. Und vermutlich lockte auch die Aussicht auf schnell verdientes Geld.
Der Angeklagte nimmt das Urteil an
In der Verhandlung vor dem Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richterin Astrid Salewski legte Lokman M. ein umfassendes Geständnis ab. Er entschuldigte sich mehrfach bei der als Zeugin geladenen Nichte des Tatopfers und überreichte dieser 2.600 Euro - also jene Summe, die er bei der ersten Tat von C. erhalten hatte.
Die Vorgehensweise insbesondere der Hintermänner sei zwar unglaublich perfide, doch habe Lokman M. davon keine Kenntnis gehabt und sei in die Struktur nicht eingebunden gewesen, sagte Richterin Salewski in der Urteilsbegründung. Das Gericht verurteilte M. zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten. Darüber hinaus muss er eine Geldbuße von 1.000 Euro an "Ärzte ohne Grenzen" zahlen. Der Angeklagte sowie seine Verteidiger Susanne Renner und Carsten Keil nahmen das Urteil an.