Sechs Frühchen-Zentren in OWL und Lippstadt: "Kinder werden unnötig gefährdet"

Bielefeld/Düsseldorf. Um mehr Leben von Frühchen zu retten und das Risiko bleibender Schäden zu reduzieren, gilt in Deutschland ab 2024 eine neue Mindestmenge für Kliniken, die Frühgeborene mit einem Gewicht von unter 1.250 Gramm versorgen. Behandelt werden dürfen diese extremen Frühchen dann nur noch in Level-1-Perinatalzentren, die 25 solcher Patienten pro Jahr versorgen. Eigentlich, denn die Krankenkassen stellen die Leistungsberechtigungen für das kommende Jahr erneut auch für Zentren aus, die die Vorgaben nicht erfüllen, darunter auch mehrere in OWL. Ärzte und Eltern sind besorgt, weil sie Kinder dadurch einer unnötigen Gefahr ausgesetzt sehen.

Bundesweit dürfen in diesem Jahr noch an 157 Level-1-Perinatalzentren extreme Frühchen versorgt werden. 2024 wird das nach Angaben der AOK nur noch an 144 Standorten möglich sein. In NRW wird die Zahl der Zentren von 39 auf 37 sinken, obwohl nicht nur zwei, sondern acht Kliniken die neue Mindestmenge von 25 Kindern im vergangenen Jahr und zum Teil auch schon 2021 nicht erreicht haben. Darunter das Klinikum Herford, das Johannes-Wesling-Klinikum Minden und das Klinikum Lippe in Detmold.

Möglich ist das nach Angaben der AOK aufgrund von Ausnahmeregelungen, wenn Krankenhäuser beispielsweise glaubhaft versichern können, dass die Mindestmenge nur vorübergehend nicht erreicht werden konnte. Tatsächlich erklärten die Krankenhäuser in Herford, Minden und Detmold bereits im September, dass sie davon ausgehen, die Mindestmenge 2024 wieder erreichen zu können.

Zahl extremer Frühchen sinkt Doch die Zahl der Kinder, die als extreme Frühchen zur Welt kommen, sinkt in Folge des demografischen Wandels sowie der Verbesserungen in der Geburtshilfe, die das Ziel hat, die Entbindung so lange wie möglich hinauszuzögern. &bdquo;Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass die Zahl der extremen Frühchen steigen wird“, erklärt der ärztliche Direktor des Kinderzentrums Bethel, Eckard Hamelmann.

Damit alle Level-1-Perinatalzentren in OWL in Bielefeld, Paderborn, Detmold, Minden und Herford sowie in Lippstadt die Mindestmenge von 25 Kindern pro Jahr erfüllen können, müsste laut Hamelmann die Zahl der aktuell etwa 180 extremen Frühchen um 20 bis 30 pro Jahr steigen. &bdquo;Sollte es tatsächlich einen Zuwachs geben, müsste genau untersucht werden, wie es zu diesem Anstieg gekommen ist, denn die neue Mindestmenge darf nicht zu dem Fehlanreiz kommen, Kinder früher als nötig auf die Welt zu holen“, sagt Hamelmann.

Drei statt sechs Zentren in der Region Nach Angaben des Kinderarztes reichen für OWL und Lippstadt drei Zentren aus. &bdquo;Trotzdem würde die flächendeckende Versorgung bestehen bleiben.“ Dabei gehe es in den übriggebliebenen Level-1-Perinatalzentren nur um die Erstversorgung der wenigen extremen Frühchen und nur um die erste kritische Phase. &bdquo;Danach erfolgt, sobald dies möglich ist, die Verlegung in die Klinik, die näher am Wohnort liegt.“ Größere Frühgeborene und normale Neugeborene sollen laut Hamelmann auch weiterhin in den bestehenden Zentren mit Kinderklinik versorgt werden. &bdquo;Die Vorteile dieser Versorgung sind klar belegt und retten Leben.“

Hamelmann kann deshalb nicht nachvollziehen, warum die Krankenkassen erneut auch Kliniken die Versorgung erlauben, die die Vorgaben mitunter schon seit mehreren Jahren nicht erfüllen. &bdquo;Die Kinder werden unnötig gefährdet, weil man durch fehlende Routine eine schlechtere Versorgung riskiert. Es gibt keinen Grund diese Zentren aufrecht zu erhalten.“ Trotzdem passiert genau das, und zwar schon seit Jahren. &bdquo;Wir warten seit 15 Jahren darauf, dass die Mindestmengen scharf gestellt werden, doch es passiert nicht. Das ist absolut unverständlich.“

Frühchen-Eltern fordern Umsetzung der Mindestmenge Verärgert sind auch viele Eltern von Frühchen, die sich im Verband &bdquo;Das frühgeborene Kind“ engagieren. &bdquo;Wir brauchen dringend eine grundlegende Reform der Versorgungsstrukturen“, fordert die Vorsitzende Barbara Mitschdörfer. &bdquo;Studien belegen, dass die Qualität der Versorgung von Hochrisikokindern wächst, wenn ein spezialisiertes Zentrum viele Kinder pro Jahr behandelt.“ Derzeit stehe die Versorgungspyramide jedoch auf dem Kopf, weil viele Perinatalzentren der höchsten Versorgungsstufe einer geringen Zahl an besonders kleinen Frühgeborenen gegenüberstehen.

&bdquo;Das mag im Einzelfall mit längeren Anfahrten für betroffene Familien verbunden sein. Diese Probleme sind aber nichts, was sich nicht ebenfalls adäquat lösen lässt“, sagt Mitschdörfer. Der Verband fordert deshalb schon seit Langen folgende Entlastungen für betroffene Familien: langfristige Mitaufnahme der Mutter, Einrichtung eines Elternrefugiums in Kliniknähe, Haushaltshilfe und Familienpflege für ältere Geschwister und Sonderurlaub für den Vater.

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