Gericht untersagt „Focus“-Ärztesiegel – doch in OWL wird weiter geworben

München/Bielefeld. Die Orientierung im deutschen Gesundheitssystem ist schwierig, weshalb sich Patienten nach Empfehlungen sehnen, die ihnen den Weg zu den besten Ärzten und Krankenhäusern weisen. Neben Zertifizierungen der medizinischen Fachgesellschaften gibt es immer mehr Verlage, die diesen Wunsch als Geschäftsmodell nutzen. Das bekannteste Beispiel dafür sind die Siegel des Magazins &bdquo;Focus“, das jedes Jahr Ärzte und Kliniken auszeichnet und an sie Siegel für die werbliche Nutzung verkauft. Auch in OWL wird damit geworben, auch von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft. Das Landgericht München wertet die Auszeichnungen als irreführend und untersagt dem Verlag das Siegel Ärzten anzubieten. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, weil der Verlag Rechtsmittel eingelegt hat.

Was steckt hinter den Focus-Ärztesiegeln? Seit den 1990er-Jahren empfiehlt das im Verlag Hubert Burda Media erscheinende Magazin seinen Lesern &bdquo;Ärzte und Kliniken, die auf ihrem Spezialgebiet führend sind“. Die Empfehlungen basieren den Angaben zufolge auf einer Erhebung des Rechercheinstituts Factfield, einem Tochterunternehmen des Verlags.

In die Recherche für die Ärzte-Siegel fließen laut Burda Media all jene der 400.000 Mediziner ein, die mindestens eines dieser Kriterien erfüllen: Weiterbildungsbefugnis, Habilitation, leitende Funktion in einem Krankenhaus, führende Rolle in einer Fachgesellschaft oder eine vorherige &bdquo;Focus“-Auszeichnung. Danach kommen weitere Kriterien hinzu, wie Facharztqualifikationen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Online-Bewertungen und Weiterbildungen. &bdquo;30.000 Mediziner erreichen die nächste Stufe. Sie erhalten einen Fragebogen zur Selbstauskunft, den die Redakteure mit Spezialisten des jeweiligen Fachbereichs jährlich neu entwickeln, um den aktuellsten Stand medizinischer Versorgung und Technik abzubilden.“

Am Ende dieses Prozesses stehen in der Ärzteliste 2023 dann 26.392 Ärzteempfehlungen. Allen empfohlenen Medizinern bietet der Verlag die kostenpflichtigen Siegel Top-Mediziner oder empfohlener Arzt in der Region an.

Ähnlich ist das Vorgehen bei den Empfehlungen für Kliniken. Nach Angaben des Verlags werden dafür folgende Kriterien genutzt: Medizin-Score als Maßstab für die medizinische Qualität, Experten-Empfehlungen, Pflege- und Hygienestandards, Patientenservice, Digitalangebote, Anzahl Fachärzte und Pflegekräfte sowie Bettenanzahl. Geprüft wurden laut Verlag 1.643 Krankenhäuser mit 14.447 Fachkliniken, davon wurden für 2023 1.860 Kliniken empfohlen. Allen Krankenhäusern werden danach die kostenpflichtigen Siegel Top-Krankenhaus regional oder national angeboten.

Können Ärzte oder Kliniken die Auszeichnungen und Siegel kaufen? Nach Angaben des Verlags können Ärzte und Kliniken die Aufnahme in die Empfehlungslisten nicht kaufen. &bdquo;Die in der Liste aufgeführten Ärzte und Kliniken erhalten kostenfrei eine Urkunde, um ihre herausstechende Leistung zu würdigen“, erklärt Verlagssprecher Berthold Heidbüchel. Über diese Auszeichnung sowie die Urkunde dürfen Ärzte und Kliniken kostenfrei berichten. &bdquo;Die so ausgezeichneten Ärzte und Kliniken haben dann die Möglichkeit, das Siegel für den gewerblichen Gebrauch zu nutzen, indem sie eine Lizenz erwerben. Nur in diesem Fall fällt eine Gebühr an.“

Zur Höhe der Gebühren macht der Verlag keine Angaben. Nach Informationen dieser Zeitung kostet die Lizenz für die einjährige Nutzung eines Siegels zwischen 2.000 und 10.000 Euro. In einem Angebot an ein Krankenhaus in OWL von November 2023, das dieser Redaktion vorliegt, bietet der Verlag die Siegel Top-Fachklinik national und Top-Krankenhaus regional für jeweils 3.400 Euro an. Die Siegel Top-Krankenhaus national und Top-Fachklinik für internationale Patienten gibt es für jeweils 4.500 Euro.

Worum geht es in dem Rechtsstreit? Die Wettbewerbszentrale kritisiert die &bdquo;Focus“-Ärzte-Siegel als irreführend und klagte gegen den Verlag auf Unterlassung. &bdquo;Wir hoffen auf ein Grundsatzurteil, weil inzwischen viele Verlage damit Geld verdienen, obwohl die Kriterien, die für die Auszeichnungen zugrunde gelegt werden, nicht den Siegelinhalten entsprechen“, erklärt Juristin Christiane Köber von der Wettbewerbszentrale.

Das Landgericht München I hat der Unterlassungsklage im vergangenen Jahr stattgegeben. Laut Urteil verstößt der Verlag gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot. Mit den Ärzte-Siegeln werde in der Bevölkerung der Eindruck erweckt, ähnlich wie bei Prüfsiegeln der Stiftung Warentest, dass Ärzte aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung in ihrer Fachdisziplin einnehmen. Damit verlasse der Verlag in irreführender Weise den Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags und erwecke den Eindruck, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt, so das Gericht. Das sei wettbewerbswidrig.

Das Gericht hat dem Verlag das Werben mit den Siegeln untersagt. Das Urteil ist jedoch nicht rechtskräftig, weil der Verlag Rechtsmittel eingelegt hat. &bdquo;Wir verteidigen die hochwertige Methodik der Ärztelisten und die Zulässigkeit der darauf basierenden Siegel. Eine Irreführung findet nicht statt“, erklärt Heidbüchel. Am 10. Juli geht die Auseinandersetzung vor dem Oberlandesgericht München weiter. &bdquo;Wir sind zuversichtlich, dass in der zweiten Instanz das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage vollständig abgewiesen wird.“

Wie gehen Ärzte und Kliniken in OWL nach dem Urteil mit den Siegeln um? Bundesweit werben auch weiterhin sehr viele Kliniken und Ärzte damit, darunter auch Häuser in öffentlicher Trägerschaft. So wie das Klinikum Gütersloh, das nach Angaben des kaufmännischen Direktors Andreas Tyzak in den vergangenen Jahren Gelder gezahlt hat, um die Auszeichnung einzelner Mitarbeiter werblich verwenden zu können. &bdquo;Die Kriterien des Focus sind transparent und für jeden einsehbar und haben aus unserer Sicht durchaus eine gesundheitliche Relevanz und damit einen Nutzwert für die Patienten.“ Neben Zertifizierungen durch medizinische Fachgesellschaften wie die Deutsche Krebsgesellschaft habe sich das &bdquo;Focus“-Siegel als weiteres Gütesiegel für die Qualität von Ärzten etabliert. Einige niedergelassene Ärzte in OWL nutzen die Siegel ebenfalls weiterhin.

Auch das Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen, das Klinikum Lippe sowie die Katholische Hospitalvereinigung Weser-Egge (KHWE) haben nach eigenen Angaben in der Vergangenheit die Siegel für ausgezeichnete Ärzte und oder Kliniken gekauft, diese Praxis jedoch inzwischen eingestellt. &bdquo;Auch wir empfinden die Kriterien für die Vergabe der Siegel wissenschaftlich betrachtet als höchst fraglich“, erklärt KHWE-Sprecherin Isabell Waschkies. &bdquo;Seit Bekanntwerden eines möglicherweise vorliegenden Verstoßes gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot im Falle der Ärzte-Siegelvergabe bestehen unsererseits im Zusammenhang mit Focus-Zertifikaten keine Kontakte mehr zum Verlag oder Institut“, sagt HDZ-Sprecherin Anna Reiß.

Das evangelische Klinikum Bethel, das Klinikum Bielefeld, die Kreiskliniken Herford-Bünde, die St. Vincenz-Kliniken Paderborn sowie die Mühlenkreiskliniken haben in der Vergangenheit die Auszeichnungen ihrer Ärzte und Kliniken öffentlich kommuniziert, jedoch keine Siegel käuflich erworben. Auch diese Redaktion hat Meldungen dieser Art von den Krankenhäusern übernommen. Während die St. Vincenz-Kliniken Paderborn diese Praxis nach Angaben von Sprecherin Annekathrin Kronsbein beibehalten wollen, distanzieren sich die anderen Krankenhäuser vom &bdquo;Focus“.

&bdquo;Die Mühlenkreiskliniken teilen die Skepsis der Wettbewerbszentrale und des Landgerichts München gegenüber den Focus-Siegeln sowie mittlerweile zahlreicher Nachahmerprodukte anderer namhafter Verlagshäuser“, erklärt Sprecher Christian Busse. Die Mühlenkreiskliniken schließen sich dem Beschluss des Verbands &bdquo;Allianz kommunaler Großkrankenhäuser“ an, indem es heißt: &bdquo;Die Ergebnisse des Rankings sind nicht dazu geeignet, den Patienten einen sachgerechten Überblick über das für ihre Versorgung geeignete Krankenhaus zu geben.“

Busse weist zudem auf den Unterschied zwischen Siegeln und Zertifizierungen durch medizinische Fachgesellschaften, wie der deutschen Krebsgesellschaft, hin. &bdquo;Hier wird auf wissenschaftlicher Grundlage basierend den Patienten ein einheitlicher, qualitativ hochwertiger Versorgungsstandard garantiert.“

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