Essen. Er liegt quasi auf seinem Stuhl und nickt zufrieden mit dem Kopf, während die Halle um ihn herum tobt. Friedrich Merz hat noch kein Wort gesagt, da erntet er schon stehenden Applaus. Es passt zur Stimmung an diesem Tag in Essen: Noch bevor der Wahlkampf so richtig startet, wähnt sich die CDU im Kanzleramt - und feiert sich selbst.
Rund 300 Delegierte sind in der Messehalle zusammengekommen, um die Landesliste der NRW-CDU für die Bundestagswahl zu verabschieden. Das aber ist reine Formsache. So wurde der Sauerländer Merz erwartungsgemäß auf den ersten Listenplatz gewählt - mit nahezu 100 Prozent. Merz erhielt 99,6 Prozent der Stimmen - bei nur einer Enthaltung und einer Nein-Stimme. Viel interessanter wirkt an diesem Tag aber, wie die Stimmung im größten und mächtigsten Landesverband der CDU kurz vor dem Winterwahlkampf ist.
Die Reden von Merz und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst werden immer wieder von Applaus unterbrochen. In den Gesichtern der Delegierten glänzt eine Mischung aus Vorfreude, Selbstgewissheit und auch ein Stück weit Hohn - immer dann, wenn von der früheren Ampel die Rede ist.
Wirtschaft als Wahlkampfthema der CDU

„Wir werden am Ende dieser Fortschrittskoalition mindestens 300.000, eher 400.000 Arbeitsplätze in der Industrie in Deutschland verloren haben“, sagt Merz. „Wir verlieren täglich Arbeitsplätze in der Industrie.“ Man sei „hart am Rande“ einer „ernsthaften“ Energieversorgungskrise - mit der Folge, dass gerade sämtliche Kraftwerke wieder hochgefahren werden müssten, so Merz.
Es wird schnell deutlich, dass der CDU-Chef den größten Handlungsbedarf derzeit in der Wirtschaft sieht - und dass dieses Thema den Wahlkampf der Union prägen dürfte. Merz kündigt einen „Paradigmenwechsel“ in der Energieversorgung an. „Wir werden nicht mehr nur einseitig auf Wind und Sonne setzen, sondern wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen.“ Das Wort Bürgergeld werde „verschwinden“. Wer arbeiten könne, solle ermutigt und ermuntert werden, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, sagt Merz. Das aktuelle Bürgergeld sei „mehr oder weniger“ ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Lob für Generalsekretär Carsten Linnemann
Einen Ritterschlag erhält an diesem Tag ein Politiker aus Paderborn. „Du trägst Verantwortung für das Grundsatzprogramm und du bist maßgeblich an der Erstellung des Wahlprogramms beteiligt“, lobt Merz seinen Generalsekretär Carsten Linnemann. „Lieber Carsten, ohne dich und dein Engagement, 16 Stunden am Tag, ständen wir nicht da, wo wir heute sind. Ohne dich könnte ich nicht hier stehen und darüber sprechen, was wir mit diesem Land vor haben“, sagt Merz unter lautem Applaus für seine rechte Hand aus dem Paderborner Land.
Dann knöpft sich Merz Olaf Scholz vor. Das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt sei „so schlecht“ wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Kanzler Scholz sei „isoliert“. Deutschland müsse wieder ein kooperativer Partner in Europa sein. Die Partner in Europa warteten auf Deutschland, weil sie wüssten: „Ohne Deutschland oder gar gegen Deutschland geht es nicht.“
Merz glaubt an „Angstwahlkampf“
Deutlich wird Merz auch mit Blick auf die SPD: „Die Sozialdemokraten stehen mit dem Rücken zur Wand und mit den Füßen am Abgrund.“ Immer dann werde es „umso aggressiver und persönlicher“, meint Merz. „Ich gehe davon aus, dass wir einen der härtesten Wahlkämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik vor uns haben.“ Es werde einen „Angstwahlkampf“ geben - nach innen wie nach außen.
Wüst sieht das ähnlich. Da Scholz im Wahlkampf keine Erfolge verkaufen könne, setze er „jetzt auf Angst“ - unter anderem vor einem Atomkrieg mit Russland, so Wüst. „Mit der Angst der Menschen vor Krieg Stimmung zu machen, ist eines Bundeskanzlers unwürdig.“
Ein zweites Beispiel für die „Trickserei“ des Kanzlers sei dessen Kurs bei den kommunalen Altschulden, für die Bund und das Land NRW eine gemeinsame Lösung suchen wollen. Scholz habe sich da aber „keinen Millimeter bewegt“, sagt Wüst. Der Kanzler habe weder eine Mehrheit noch einen Haushalt. „Der Kanzler kommt mit leeren Taschen und mit leeren Versprechen. Das ist respektlos.“
In den Augen Wüsts sind vor allem drei Punkte nötig, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen: Sicherheit nach innen und nach außen, Wohlstand für alle, sowie Aufstieg durch Bildung für jedes Kind. Diese Fundamente müssten „repariert“ werden. Am Ende seiner Rede stärkt Wüst dem Kanzlerkandidaten Merz, den er im vergangenen Jahr durch gezielte Nadelstiche immer mal wieder auf die Palme gebracht hatte, demonstrativ den Rücken: „Lieber Friedrich, die CDU NRW steht geschlossen hinter dir.“