Angst vor Überforderung – Gütersloher Schule bekommt plötzlich neue Aufgabe

Gütersloh. Das Städtische Gymnasium (SG) steht vor einer Herausforderung. Gegen den eigenen Willen wird es zu einer &bdquo;Schule des gemeinsamen Lernens“ ernannt. Damit verbunden ist die Aufgabe, ab kommendem Schuljahr auch Schüler, die sonderpädagogischen Förderbedarf haben, zu einem Abschluss zu führen. Das SG sieht sich dafür weder personell noch räumlich noch fachlich gewappnet. Außerdem sieht es sich gegenüber dem Evangelisch Stiftischen Gymnasium benachteiligt.

Das ESG bekommt in dieser Hinsicht mutmaßlich ein Jahr Aufschub. Auch dort stößt die Ausweisung als &bdquo;Schule des gemeinsamen Lernens“ auf Bedenken. Dennoch kommen die beiden Gymnasien um eine solche Ausweisung kaum herum. Denn: Die drei Gesamt- und zwei Realschulen sind bereits als solche Einrichtung ausgewiesen. Und die sind nach Aussage der Stadt an ihre Kapazitätsgrenzen angelangt. 69 Plätze stellen sie aktuell bereit. Da die Zahl der Kinder mit festgestelltem Förderbedarf stetig steigt, werden ab Sommer jedoch 89 Plätze benötigt.

Die Ratsfraktionen äußerten in ihrer jüngsten Sitzung maximales Verständnis. Dennoch gebe es keinen Ausweg. Es gehe nicht an, den fünf anderen weiterführenden Schulen die zusätzlichen Schüler aufzubürden, sagte etwa Martin Goecke (SPD). &bdquo;Ich sehe da auch die beiden Gymnasien in der Pflicht.“

Ärgerlich sei aber der kurze Vorlauf. Erst Mitte November hatte die Bezirksregierung die Stadt informiert, dass sie das SG zu einer solchen Schule deklarieren wolle. Der dadurch kurzfristig erforderliche Beschluss hatte die Fraktionen überrascht. Die Eile ist geboten, weil vor Beginn der Schulanmeldungen im Februar das Thema geklärt sein soll.

&bdquo;Wir hätten uns das durchaus anders gewünscht“, sagte auch Bildungsdezernent Henning Matthes. Die Stadt, genauer: Die Ratsfraktionen, müssten jetzt unter hohem zeitlichen Druck entscheiden. Täten sie es nicht, würden die 20 zusätzlichen Förderschüler denselben fünf Schulen zugeteilt. Das sei aus seiner Sicht nicht vertretbar.

Heiner Kollmeyer (CDU), Sara Perez de Siles Fernandez (Grüne), Martin Goecke: Sie alle bestätigten diese Sichtweise, drückten aber über Situation und Eile ihr Missfallen aus. &bdquo;Man setzt uns die Pistole auf die Brust“, so Goecke. Die CDU stellte einen Vertagungsantrag, zog ihn aber zurück, als klar wurde, dass ein Beschluss im nächsten Jahr zu spät wäre.

Städtisches Gymnasium erbringt schon hohe Integrationsleistung

Goecke schlug stattdessen vor, zusätzliche Formulierungen aufzunehmen. Zum einen bitte man Land/Bezirksregierung/Kreis, bei der Zuweisung der Förderschüler den kurzen Vorlauf zu berücksichtigen, zum anderen erteile man der Stadtverwaltung den Auftrag, jene Voraussetzungen zu prüfen, die ab 2026/27 am ESG zu erfüllen seien und wie die Finanzierung des Landes dafür aussehen werde. Die Fraktionen nickten und beschlossen es genau so.

Über die Bedeutung des Themas hatte sie zuvor das SG in Kenntnis gesetzt. Den Ratsfraktionen lag ein Beschluss vor, den die Schulkonferenz des SG vor anderthalb Wochen einstimmig gefasst hatte. Darin heißt es, dass die Schule &bdquo;in Kenntnis ihrer limitierten professionellen Möglichkeiten“ die Bestimmung zur Schule des gemeinsamen Lernens und damit die &bdquo;zieldifferente“ Förderung ablehne.

Mit seinen drei internationalen Klassen, seiner Ukraine-Willkommensklasse und der Aufnahme von Kindern mit Lernproblemen oder Schwierigkeiten im Sozialverhalten erbringe das SG schon jetzt eine hohe Integrationsleistung. Nun noch Schüler zu übernehmen, die &bdquo;zieldifferent“ unterrichtet werden müssten, werde die Schule überfordern. &bdquo;Das wird weder den Regelschülern noch den Kindern mit Lernschwierigkeiten gerecht.“

Personelle und zeitliche Ressourcen nicht vorhanden

Als Schule des gemeinsamen Lernens muss das SG – und perspektivisch das ESG – davon ausgehen, dass es auch Schüler mit den beiden Förderschwerpunkten Lernen und Geistige Entwicklung aufzunehmen hat. &bdquo;Die aber sollten nach gesonderten Lehrplänen unterrichtet werden“, sagt Britta Jünemann, Vertreterin der Schulleitung.

Sie bräuchten anderes Material und andere Ansprache, sie bräuchten Fächer wie Arbeitslehre, Werklehre, Hauswirtschaft. Erfahrungsgemäß erreiche von diesen Schülern kaum jemand das Abitur, selbst ein Abschluss bis zur zehnten Klasse sei schwierig.

&bdquo;Die Förderung dieser Kinder macht personelle und zeitliche Ressourcen notwendig, die an unserer Schulform und an unserer Schule nicht vorhanden sind“, heißt es in der schriftlichen Begründung des Schulkonferenz-Beschlusses. Es gebe weder Differenzierungsräume noch Fachräume für Werkunterricht.

Unter- und Überforderung der Schüler ist vorprogrammiert

Die Lehrer seien für eine zeitgleich stattfindende sonderpädagogische Förderung nicht ausgebildet, so das SG. &bdquo;Zudem bedeutet die Beschulung dieser Schüler in gymnasialen Regelklassen eine völlige Überforderung dieser Kinder.“

Letztlich werde die Integration von Kindern mit zieldifferenter Förderung in gymnasialen Regelklassen niemandem gerecht. &bdquo;Die Schere geht auseinander“, sagt Carsten Briest, Mitglied der erweiterten Schulleitung. Am Ende seien die einen über-, die anderen unterfordert.

Das SG erkenne die Not der Stadt Gütersloh an, Schüler mit Förderbedarf, die eine Beschulung im Regelsystem wünschten, auf alle weiterführenden Schulen zu verteilen. &bdquo;Wir möchten keineswegs eine Lösung zu Lasten der anderen Schulen“, betont Britta Jünemann. &bdquo;Das ist uns wichtig. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Aber: Wenn man Inklusion gut machen will, braucht man Personal.“ Daran hake es.

Reguläre Gymnasialplätze gehen verloren

Jünemann macht es konkret: Bei 15 Förderschülern und sieben Klassen im fünften Jahrgang ergebe das mindestens zwei zieldifferent zu fördernde Schüler pro Klasse. Vom Land abgeordnet werde aber nur eine Förderschullehrkraft. Zudem sei zu erwarten, dass sich in den Folgejahren die Zahl der Förderkinder erhöhe – eine Aussage, die auch Henning Matthes tätigte.

Zu berücksichtigen sei beim SG zudem der hohe Anmeldedruck. Durch die Bestimmung zu einer Schule des gemeinsamen Lernens gingen bis zu fünf Gymnasialplätze pro Klasse für Schüler verloren, die das Abitur erreichen möchten. Bei sieben Klassen seien das 35 Plätze für gymnasiale Regelkinder, bei den relevanten Jahrgangsstufen fünf bis zehn perspektivisch 210 Plätze. &bdquo;Und das, wo wir doch schon jetzt viele Kinder ablehnen müssen“, sagt Jünemann.

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