Große Angst vor weiterem Massensterben von Schafen im Kreis Höxter

Kreis Höxter. Das Entsetzen im Herbst war groß – auch bei den Menschen, die mit Schafen sonst wenig am Hut hatten: Mit der Rückkehr der Blauzungenkrankheit erstickten und verdursteten auch im Kreis Höxter unzählige Schafe nach unvorstellbaren Qualen. Auch Kühe und Wildtiere sind betroffen. Die Gefahr, dass mit dem Frühling das Leid in noch größerem Ausmaß zurückkehrt, ist groß.

&bdquo;Es hilft nur impfen, beten und hoffen – in dieser Reihenfolge“, sagt Ortrun Humpert, passionierte Schäferin aus Marienmünster-Löwendorf und zugleich Vorsitzende des NRW-Schafzuchtverbandes. Doch da beginnen bereits die Probleme: Dem wirksamsten der drei Impfstoffe gegen die aktuelle Virusvariante fehlt noch die Notfallzulassung in der EU. &bdquo;Sie ist zugesagt, liegt aber noch auf irgendwelchen Schreibtischen herum“, berichtet die Löwendorferin im Gespräch mit der &bdquo;NW“.

Nur ohne Zulassung wird der Impfstoff gar nicht erst in produziert. Doch den Rinder- und Schafhaltern rennt die Zeit davon. &bdquo;Wir brauchen den Impfstoff jetzt sofort“, sagt Humpert. Denn spätestens im April werden die weiblichen Bartmücken – Gnitzen genannt – wieder ausschwärmen, Blut aus den Tieren saugen und die Blauzungenkrankheit weitertragen. Haben Schafe, Rinder und andere Wiederkäuer dann keinen Immunschutz, droht ihnen großes Leid, oft der Tod.

Viele Tiere leiden immer noch unter den Folgen Anders als im vergangenen Jahr kommt das Virus nicht langsam über den Sommer aus den Niederlanden immer näher. &bdquo;Es ist schon da und steckt in vielen Tieren“, sagt Humpert. In Mutterkühen könne es beispielsweise sechs Monate überleben mit der Folge, dass jetzt viele Kälber mit Entwicklungsverzögerungen oder mit Missbildungen geboren werden. Inzwischen würden viele Rinderhalter auf den Impfschutz setzen. Zu groß waren auch die wirtschaftlichen Verluste durch kranke Tiere und mangelnde Milchleistung.

Doch es hakt nicht allein am mangelnden Impfstoff – es gibt auch nicht genügend Tierärzte, die ihn verimpfen, berichtet die Bio-Schäferin. Bisweilen würden auch extreme Preise fürs Impfen verlangt, die Not der Tierhalter ausgenutzt.

Kaum Hilfe für Schafzüchter im Kreis Höxter Neben dem Schmerz der Tiere seien die wirtschaftlichen Herausforderungen – vor allem für Schafhalter – das größte Problem dieser Krankheit. Um 50 Cent auf 1,50 Euro wurde die Impfbeihilfe durch die Tierseuchenkasse erhöht, berichtet Humpert. Freuen kann sie sich darüber nicht, denn damit steigen auf der anderen Seite die Beiträge. Wirkliche Entlastung ist das also nicht.

Zumal NRW, anders als andere Bundesländer, nicht mal die Kosten für die Beseitigung der durch die Seuche getöteten Tiere übernimmt. Mit etwas Neid blickt sie ins Nachbarland Frankreich. Dort wurde zur Bekämpfung der Blauzungenkrankheit eine Pflichtimpfung eingeführt – die Kosten übernimmt der Staat. Die Impfpflicht gab es in Deutschland übrigens auch mal – beim letzten großen Ausbruch 2008.

Für neuen Virus-Typ gibt es keinen Impfstoff Doch selbst wenn jetzt alle Halter von Wiederkäuern ihre Herden durchimpfen könnten und würden, gäbe es keinerlei Entwarnung. Das ist der Teil, den die Löwendorferin eingangs mit &bdquo;beten und hoffen“ beschrieb. Denn in den Niederlanden ist bereits eine neue Virusvariante aufgetaucht. Genannt BTV-12.

Noch beschränkt er sich auf wenige Ausbruchsherde und die Behörden hoffen, dass er sich nicht weiter in Europa verbreitet – auf allen anderen Kontinenten grassiert er schon länger. Gegen diesen Typen gibt es bisher keinerlei Impfstoff. Zugleich deutet sich an, dass andere bekannte Virustypen aggressiver werden.

Dabei leiden viele Tiere, die irgendwie den Herbst überlebt haben, immer noch unter den Folgen. Sie scheinen gesund, sterben aber plötzlich an Entkräftung. Nach der Schlachtung zeigt sich dann, dass die Lunge und oft auch der Herzbeutel schwer geschädigt sind. Dann können sie auch nicht mehr vermarktet werden – und taugen nur noch zum Hundefutter.

Schätzung: Eine viertel Million Tiere dahingerafft Deshalb weiß Ortrun Humpert auch nicht, wie die weiblichen Mutterschafe, die bei ihr natürlich alle geimpft sind, die Schwangerschaft vertragen. Haben sie überhaupt die Kraft, die Lämmchen auszutragen? All das wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.

Sollte in ihrem Betrieb die Blauzungenkrankheit nochmals in größerem Maße ausbrechen, wird sie ihn schließen. &bdquo;Das stehe ich nicht noch einmal durch“, sagt die Frau, die ihr Leben den Schafen und einigen bedrohten Rassen gewidmet hat. 170 ihrer rund 500 Tiere hat sie im vergangenen Herbst verloren. Viele qualvoll, nachdem sie alles versucht hat, um die Schafe zu retten. Deutschlandweit, so lauten vorsichtige Schätzungen, hat die Seuche eine viertel Million Tiere dahingerafft. Das Problem: Bei Wildtieren weiß das keiner genau.

Arbeit von Jahrzehnten zerstört 30 Jahre werde es dauern, so schätzt Humpert, bis die Tierbestände sich auf den Stand vor der Seuche erholt haben. Manches sei aber auch unwiederbringlich verloren. Wie wichtige genetische Linien der Weißen Gehörnten Heidschnucke, einer besonders bedrohten Art in Deutschland, von der es vor dem Ausbruch der Krankheit nur noch 1.400 Mutterschafe gab. Fast 40 Jahre lang hat die Löwendorferin alles daran gesetzt, die Rasse zu retten. Die Blauzungenkrankheit hat fast alles zunichtegemacht.

Und doch will sie am Ende auch etwas Positives erzählen. Am Tag, als sie ihre Herden gegen die Seuche impfen ließ, kam ein gesundes Moorschnuckenlamm zur Welt. Und am Dreikönigstag wurde ein seltenes schwarzes Skuddenlamm geboren. &bdquo;Es muss mitten in der Seuche gezeugt worden sein“, rechnet Humpert nach und muss selbst lachen. Sie hat es wegen der Farbe Melchior getauft. &bdquo;Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

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