„Überlastet und ineffizient“: Ein Mitarbeiter einer Ausländerbehörde in OWL berichtet

Bielefeld. Stefan S. spürt jeden Tag, was in der Asylpolitik falsch läuft. Der 41-Jährige ist Mitarbeiter einer Ausländerbehörde in OWL – und entscheidet über Existenzen. Seine Aufgabe ist es, Asylentscheidungen umzusetzen, im Zweifel auch per Abschiebung, die er persönlich durchführt. Doch so langsam verliert der Ostwestfale die Energie – und den Glauben ans System.

Eigentlich mag Stefan S. (Name geändert) seinen Beruf. Die Tätigkeit in der Ausländerbehörde sei vielschichtig, sinnstiftend – und auf seine Kollegen sei Verlass. &bdquo;Mein Auftrag ist es, das Gesetz zu vollziehen und darauf zu achten, dass es eingehalten wird“, sagt der junge Mann im Gespräch mit dieser Redaktion. Doch &bdquo;äußere Einflüsse“ führten immer mehr dazu, dass Stefan S., der ein höflicher und ruhiger Mensch ist, seine Tätigkeit inzwischen vor allem als &bdquo;undankbar“ beschreibt – und mit seiner beruflichen Zukunft hadert.

In der Behörde hat er verschiedene Bereiche durchlaufen, seit einiger Zeit kümmert er sich vor allem um Rückführungen. Das heißt: Wenn Stefan S. in seinem Arbeitsalltag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mitgeteilt bekommt, dass eine Person die Voraussetzungen für einen Schutzstatus nicht erfüllt, um in Deutschland bleiben zu dürfen, dann ist es seine Aufgabe, für diese Person die Rückführung in das Herkunftsland zu organisieren. Das ist eine Aufgabe von vielen. &bdquo;Rückführungen machen bei uns nicht den Großteil der Arbeit aus; oft können wir auch Anerkennungen aussprechen.“ Doch eben nicht immer.

&bdquo;Wir schieben nicht ab, wenn es 50 zu 50 steht“ Bis es zur Abschiebung kommt, habe die Ausländerbehörde die Gesetzeslage umfangreich geprüft, ob nicht doch ein Bleiberecht erteilt werden kann. Stefan S. nennt ein Beispiel: &bdquo;Wenn ein leibliches Kind bereits hier lebt, dann überwiegt das Recht auf Familie, was im Grundgesetz verankert ist – und dann wird die Person nicht abgeschoben.“ Manchmal werde genau dieses Recht aber missbraucht, indem Vaterschaften anerkannt werden, um einer Abschiebung zu entgehen, sagt Stefan. S. Grundsätzlich gelte: &bdquo;Wir schieben nicht ab, wenn es 50 zu 50 steht.“ Nicht Gefühle seien entscheidend, sondern objektive rechtliche Kriterien, die eingehalten werden müssten. &bdquo;Wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Danach richten wir unsere Arbeit aus“, sagt Stefan S.

Im Laufe der Jahre hat er viele unterschiedliche Beteiligte erlebt, vom engagierten Antragsteller bis hin zum Totalverweigerer. &bdquo;Manchmal sitzt ein Mensch 40-mal im Jahr vor mir und wir prüfen, ob er die Ausbildung, die er im Asylverfahren bereits begonnen hat, fortsetzen darf, was meist auch gelingt. Nur in wenigen Fällen ist das nicht möglich.“ Solange eine Perspektive ersichtlich ist, sind die meisten Menschen auch trotz Ablehnung höflich, motiviert und kooperativ, schildert Stefan S.

Dem gegenüber erlebt der Ostwestfale auch Asylbewerber, die schwere Straftaten verübt haben, die im Gespräch nicht mitarbeiten und sich total verweigern würden. &bdquo;Die lächeln mich dann hämisch an und versuchen, das Verfahren so lang wie möglich hinauszuzögern.“ Andere, wie zum Beispiel &bdquo;Heiratsschwindler“, würden im Verlauf einfach abtauchen – oft nach Frankreich – und nicht mehr zu Terminen erscheinen.

Polizeibeamte begleiten die Mitarbeiter bei einer Abschiebung Wenn Stefan S. und seine Behörde den Asylantrag bearbeiten und die wiederholte Aufforderung einer freiwilligen Ausreise, die vom Staat finanziell unterstützt wird, folgenlos bleibt, ist es die Aufgabe von Stefan S., die Menschen abzuschieben. Diese Situation nimmt der 41-Jährige als aufwühlend und belastend wahr. Oft klopfen er und seine Mitarbeiter in den frühen Morgenstunden in der Unterkunft an, um die Menschen abzuholen – wenn sie denn auffindbar sind. &bdquo;Meist kommunizieren wir dann mit dem ältesten Sohn oder der ältesten Tochter, weil nur sie die Sprache beherrschen“, schildert S.

&bdquo;Wir versuchen das so menschlich, wie möglich zu halten.“ Kolleginnen würden zum Beispiel die jüngsten Kinder auf dem Arm halten, während Stefan S. mit den Eltern die Taschen packt. Wenn es sich um abzuschiebende Straftäter handelt, werden Stefan S. und seine Kollegen von Polizeibeamten begleitet. In diesen Situationen &bdquo;funktioniert“ der 41-Jährige – Gefühle versuche er diesen Momenten nicht an sich heranzulassen. &bdquo;Manchmal muss ich ja Menschen begleiten, die über Jahre vor meinem Schreibtisch saßen.“ Doch er sei sich während einer Abschiebung stets im Klaren: &bdquo;Hier stehen gerade Menschen vor mir, deren Existenz in diesem Moment kaputtgeht.“

Die Menschen bringen Stefan S. und sein Team dann, wenn es sich um volljährige Einzelpersonen handelt, in das Abschiebegefängnis – und allen anderen direkt zum Flughafen. Doch selbst dann ist die Angelegenheit nicht immer automatisch beendet, sondern bleibe Glückssache. &bdquo;Es ist schon vorgekommen, dass die Gerichte in letzter Instanz kurz vor der Landung im Herkunftsland Eilanträgen aufgrund minimaler Formfehler stattgegeben haben oder dass der jeweilige Staatschef eine Stunde vor Ankunft die Landeerlaubnis entzieht. Dann werden die Menschen wieder in den Flieger gesetzt und kehren zurück nach Deutschland“, berichtet Stefan S. &bdquo;Am nächsten Tag sitzen sie wieder vor meinem Schreibtisch oder sie tauchen ab.“

Externe Einflüsse überlagern die Arbeit in der Behörde Dann seien Wochen der Vorbereitung umsonst gewesen – und Kosten in Höhe von bis zu 80.000 Euro. In vielen Fällen werden die Menschen sogar in dem Land auf freien Fuß gesetzt, da sie selber das Misslingen der Abschiebung nicht verursacht haben. Dann besteht kein weiterer Haftgrund mehr, obwohl der Grund für die Abschiebung ja weiterhin besteht. &bdquo;Das System der Rückführungen funktioniert nicht. Das muss man einfach so sagen.“

Im Laufe der Jahre hat Stefan S. an Motivation verloren. &bdquo;Mich stört vor allem, dass wir es in unserem Beruf eigentlich niemandem recht machen können.“ Menschen aus dem rechten Spektrum machten ihn dafür verantwortlich, dass &bdquo;zu viele Asylanten ins Land gelassen“ würden; während ihm das linke Spektrum vorwerfen würde, eben diese Menschen rauszuschmeißen. &bdquo;Und die Firmen beklagen sich, keine Fachkräfte zu finden.“ Die externen Einflüsse würden seine Arbeit inzwischen überlagern.

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Verfahren dauern oft mehrere Jahre Die Zahl der Asylantragsteller und die damit verbundenen Verfahren könne seine Behörde inzwischen kaum noch managen. Es fehle an Haftplätzen, Vollzugskräften und Richtern. Einige Verfahren liefen über Jahre. Stefan S. hofft jetzt, dass es in der Asylpolitik zu einem Umdenken kommen wird, und zu Änderungen auf allen vier Ebenen – auf Europa-, Bundes-, Landesebene und in den Kommunen. Dazu zählt auch, dass mit allen Herkunftsländern Rücknahmeabkommen geschlossen werden müssen.

Auch ihm persönlich macht die Situation zu schaffen, sagt Stefan S. &bdquo;Ich frage mich schon inzwischen häufiger, wie sinnvoll meine Tätigkeit noch ist, wenn in mir das Gefühl aufkommt, täglich gegen ein überlastetes und ineffizientes System anzuarbeiten.“

Stefan S. vergleicht die Lage und seine berufliche Tätigkeit mit der Situation in einer Diskothek, auch wenn man dies nicht eins zu eins übertragen könne: &bdquo;Welcher Betreiber würde denn schon zwei Stunden vor Einlass viele Menschen ohne Überprüfung in seinen Laden lassen – und dann erst auf der Tanzfläche mühsam überprüfen, wer diese Menschen sind, wie alt sie sind und ob sie Ausweise dabei haben, um sie dann im Zweifel mit Bargeld in einem Taxi zurückzuschicken. So etwas kann ja nicht funktionieren.“

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