Streit um Überstunden: Benteler-Betriebsratschef gewinnt vor Gericht

Bielefeld. Zwei Jahre Kampf um Ruf, Arbeitsplatz und Existenz liegen hinter Guido Heyer. Im Frühjahr 2023 beginnt für den Bielefelder Betriebsratsvorsitzenden beim Automobilzulieferer Benteler die schlimmste Zeit seines Lebens, als ihm sein Arbeitgeber Arbeitszeitbetrug vorwirft und die Rückzahlung von 112.000 Euro fordert. Heyer streitet die Vorwürfe ab und kämpft. Mit Erfolg, denn mit letztinstanzlichen Gerichtsentscheidungen ist die arbeitsrechtliche Aufarbeitung der Auseinandersetzung nun in weiten Teilen zugunsten des 54-Jährigen zum Abschluss gekommen.

Hintergrund des Konflikts sind Überstunden, die Heyer über drei Jahren in der Arbeitszeiterfassung dokumentiert und für die er einen Ausgleich erhalten hat. Nach Angaben des Unternehmens hätte Heyer diese Überstunden jedoch gar nicht erfassen und auch keinen finanziellen Ausgleich dafür erhalten dürfen. Aus diesem Grund forderte das Unternehmen 112.000 Euro zurück.

Und tatsächlich dürfen freigestellte Betriebsratsvorsitzende wie Heyer nach Angaben seines Anwalts Stefan Chatziparaskewas für Überstunden grundsätzlich keinen finanziellen Ausgleich erhalten, sondern vorrangig nur Freizeit. Doch das war offenbar beiden Seiten nicht bekannt. Heyer ist nach eigenen Angaben davon ausgegangen, dass ihm der Ausgleich, wie seinen Kollegen auch, zusteht und hat deshalb einen Antrag gestellt. Dieser Antrag wurde vom Unternehmen genehmigt, das daraufhin einen Ausgleich für die Überstunden ausgezahlt hat.

Anstelle von 112.000 Euro muss der Betriebsrat nur 5.300 Euro zurückzahlen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm sieht deshalb Fehler auf beiden Seiten. Arbeitszeitbetrug oder eine unzulässige Begünstigung von Heyer jedoch nicht, da er die Überstunden korrekt erfasst und Benteler die Auszahlungen selbst vorgenommen habe. Das Unternehmen unterliege damit den Verfallsfristen des Tarifvertrages, weshalb Heyer laut LAG von den geforderten 112.000 Euro lediglich 5.300 Euro zurückzahlen muss. Heyer verbucht diese Entscheidung als Erfolg: &bdquo;Damit bestätigt das Gericht, dass der schwere Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs falsch war.“

Zwei weitere Verfahren wegen der Verdachts- und der Tatkündigung gegen Heyer entscheidet das LAG ohne Einschränkungen für den Betriebsratsvorsitzenden, da es keine Gründe für eine Kündigung sieht. Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Urteile. Auch das Verfahren wegen des Hausverbots gegen Heyer entscheidet das LAG für den Betriebsratsvorsitzenden und wertet das Vorgehen als Störung der Betriebsratsarbeit.

Betriebsratsvorsitzender will sich 2026 wieder zur Wahl stellen

Heyer ist erleichtert, dass die Verfahren abgeschlossen sind. &bdquo;Die schlaflosen Nächte und Ängste um meine Existenz sind endlich vorbei und die Urteile lassen keine Zweifel mehr daran, dass ich kein Betrüger bin.“ Der 54-Jährige hofft, dass nun Ruhe einkehrt und er sich wieder zu 100 Prozent auf seine Arbeit konzentrieren kann. &bdquo;Ich möchte mich weiter für meine Kollegen einsetzen. Deshalb werde ich bei der Betriebsratswahl im kommenden Jahr wieder kandidieren.“

Auch für Benteler sind die arbeitsrechtlichen Verfahren damit nach Angaben eines Sprechers abgeschlossen. Das Unternehmen sieht in der Entscheidung des LAG, dass Heyer anstatt der geforderten 112.000 Euro lediglich 4,4 Prozent der Summe zurückzahlen muss, einen Erfolg. &bdquo;Auch wenn das Gericht hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Konsequenzen eine andere Einschätzung getroffen hat, sehen wir unsere Sichtweise inhaltlich bestätigt“, erklärt der Sprecher. &bdquo;Unsere Compliance-Grundsätze lassen bei derartigen Pflichtverletzungen, wie sie im Raum standen, keinen Handlungsspielraum.“ Deshalb sei eine juristische Aufarbeitung notwendig gewesen.

Die arbeitsrechtliche Aufarbeitung stand laut Sprecher jedoch in keinem Zusammenhang mit der Betriebsratsfunktion. &bdquo;Eine konstruktive Zusammenarbeit mit unseren Sozialpartnern ist im Interesse unseres Unternehmens. Wir wertschätzen die engagierte Arbeit, die Betriebsräte in unserem Konzern leisten, sehr.“

Strafrechtlich ist die Aufarbeitung des Falls noch nicht beendet

Komplett abschließen kann Heyer dieses dunkle Kapitel jedoch noch nicht. Zum einen wünscht sich der Bielefelder eine Entschuldigung seines Arbeitgebers. &bdquo;Das ist mir wichtig für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“, sagt Heyer. Zum anderen dauert die strafrechtliche Aufarbeitung der Auseinandersetzung noch an. Benteler hat wegen Arbeitszeitbetrugs Strafanzeige gegen Heyer gestellt und Heyer wegen der Behinderung der Betriebsratsarbeit und der überhöhten Forderung von 112.000 Euro gegen Benteler.

Das Verfahren gegen Heyer und das Verfahren gegen Benteler wegen der Rückzahlungsforderung laufen noch. Das Verfahren gegen Benteler wegen der Behinderung der Betriebsratsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld eingestellt. Die Entscheidung wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Hamm bestätigt. Für Heyers Anwalt Chatzisparaskewas ist das nicht nachvollziehbar: &bdquo;Das LAG wertet das Hausverbot klar als Behinderung der Betriebsratsarbeit und die ist laut Betriebsverfassungsgesetz strafbar.“

Staatsanwaltschaft ist nicht an Entscheidung des Arbeitsgerichts gebunden

Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist sie jedoch nicht an Feststellungen des LAG gebunden. Vielmehr müsse sie eigenständig ermitteln, erklärt Sprecher Elmar Pleus. Dabei sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass kein hinreichender Verdacht dafür bestehe, dass die Arbeit des Betriebsrates durch das Hausverbot vorsätzlich behindert wurde.

Laut Pleus wurde lediglich die Amtsausübung eines Mitglieds des Betriebsrates beeinträchtigt, woraus sich nicht ohne Weiteres ableiten lässt, dass die verbleibenden Betriebsräte sich nicht mehr hätten organisieren können. Zudem soll Heyers Stellvertreter das Angebot einer Freistellung erhalten haben, um Heyers Aufgaben übernehmen zu können. Die Aussage Bentelers, dass sie mit dem Hausverbot nicht die Betriebsratsarbeit behindern, sondern nur verhindern wollten, dass Heyer Beweismittel manipuliert, ist laut Pleus deshalb nicht zu widerlegen. Außerdem hält die Staatsanwaltschaft Benteler zugute, dass sie von einem erfahrenen Rechtsanwalt beraten wurde.

Anwalt will Entscheidung der Staatsanwaltschaft anfechten

Chatziparaskewas sieht das anders: &bdquo;Ohne seinen Vorsitzenden ist ein Betriebsrat nicht beschlussfähig und ein Unternehmen kann nicht einfach bestimmen, wer den Vorsitz übernimmt.“ Zudem hätte Benteler vor dem Hausverbot ein Gutachten einholen müssen, sagt Chatziparaskewas. &bdquo;Dazu gibt es bereits mehrere Urteile, die ich bei den Staatsanwaltschaften eingereicht habe.“

Am meisten ärgert sich der Rechtsanwalt jedoch über die Behauptung, dass Benteler mit dem Hausverbot verhindern wollte, dass Heyer Beweise manipuliert. &bdquo;Guido Heyer hat keinerlei Zugriff auf die digitale Arbeitszeiterfassung. Er kann, wie jeder andere Angestellte auch, lediglich seine Arbeitszeit eintragen, aber nicht nachträglich ändern.“ Für Chatziparaskewas steht deshalb fest, dass sie gegen die Entscheidung vorgehen werden. Benteler äußert sich zur strafrechtlichen Aufarbeitung des Falls nicht.

Gewerkschaft wirft Benteler &bdquo;Union Busting“ vor

Für die IG Metall Bielefeld zeigt das Vorgehen der Staatsanwaltschaften, das in Deutschland Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften eingesetzt werden müssen. &bdquo;Das LAG hat keinen Zweifel daran, dass die Betriebsratsarbeit durch Benteler behindert wurde, doch die Staatsanwaltschaften stellen sich über diese Entscheidungen“, moniert IG Metall-Gewerkschaftssekretär Jens Engelbrecht. Die Gewerkschaft wirft Benteler &bdquo;Union Busting“ vor, die systematische Bekämpfung von Arbeitnehmervertretungen. &bdquo;Viele Unternehmen, so auch Benteler, engagieren spezialisierte Kanzleien, um gegen ihre Betriebsräte vorzugehen, indem haltlose Vorwürfe erhoben werden.“

Das Perfide dabei ist nach Angaben Engelbrechts, dass sie damit ein Bild erzeugen, das hängen bleibt, auch dann, wenn sie vor Gericht verlieren. So sei Heyer als raffgieriger Betriebsrat dargestellt worden, damit er die Unterstützung in der Belegschaft verliere. &bdquo;Das ist Benteler in diesem Fall nicht gelungen, aber solche Verfahren führen immer zu Verunsicherungen im Betriebsrat und in der Belegschaft“, sagt Engelbrecht. &bdquo;Guido Heyer hat das durchgehalten, doch die meisten schaffen das nicht.“

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