Früherer Paderborner Erzbischof soll Missbrauch im Erzbistum heruntergespielt haben

Paderborn. Jahrzehntelang galt Kardinal Lorenz Jaeger (1892 bis 1975) als prägende Figur des Erzbistums Paderborn. Doch der am Dienstag veröffentlichte dritte Jahresbericht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) wirft ein anderes Licht auf den einstigen Kirchenmann. Nach Einschätzung der Fachleute soll Jaeger Täter gedeckt und den Missbrauch heruntergespielt haben, während Betroffene weitgehend ungehört blieben.

Das Gremium unter Leitung der früheren leitenden Staatsanwältin Birgit Cirullies hat Aktenbestände bis zurück in das Jahr 1941 gesichtet. Darin geht es um rund 80 dokumentierte Fälle sexualisierter Gewalt durch geistliche und kirchliche Mitarbeiter.

Drei Fälle beschreiben sie exemplarisch besonders detailliert. Aus Sicht der Kommission zeigen sie, wie das Erzbistum Paderborn lange Zeit Täter schützte – und Opfer im Stich ließ.

Paderborner Kardinal soll Missbrauch verharmlost haben Im ersten Fall geht es um einen &bdquo;hohen kirchlichen Würdenträger“, der bis 1959 mehrere Jungen missbraucht haben soll. Die Vorwürfe reichen von Übergriffen bis hin zu schweren Verletzungen im Intimbereich. Obwohl Erzbischof Jaeger und sein Generalvikar damals informiert wurden, geschah nichts. Als der Täter starb, führte Jaeger sogar den Trauerzug an. Konsequenzen für den beschuldigten Geistlichen hatte es nie gegeben.

Jaeger war von 1941 bis 1973 Erzbischof von Paderborn und wurde 1965 zum Kardinal ernannt. Am 1. Januar 1956 wurde ihm aufgrund eines einstimmigen Ratsbeschlusses die Ehrenbürgerwürde verliehen. Vor zehn Jahren war in Paderborn der erste Versuch gescheitert, Jaeger aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen. Gestellt wurde der Antrag damals von der Demokratischen Initiative Paderborn, Vorgänger der heutigen Linken-Fraktion. Auch eine Straße ist nach ihm benannt.

Domchordirektor trotz Strafe wieder im Dienst Ein zweiter Fall betrifft einen ehemaligen Domchordirektor. Ihm werden Übergriffe an mindestens 15 Jungen in Paderborn, Detmold, im Kreis Olpe und in Hamm zugeschrieben. Ein Betroffener berichtete, als Kind unter großen Schmerzen immer wieder vergewaltigt worden zu sein.

1968 verurteilte das Paderborner Landgericht den Domchordirektor zu einer Bewährungsstrafe. Kardinal Jaeger suspendierte ihn formal, jedoch mit &bdquo;wertschätzenden, tröstenden Äußerungen“, wie es im Jahresbericht heißt. Empathiebekundungen gegenüber Opfern gab es hingegen nicht.

Konsequenteres Handeln erst ab 2002 Wenig später durfte der ehemalige Domchordirektor wieder als Priester und Chorleiter arbeiten – und missbrauchte dabei erneut Kinder. 1988 folgte eine zweite Bewährungsstrafe durch das Landgericht Siegen. Die Kommission bewertet das Verhalten des damaligen Erzbischofs als &bdquo;verantwortungslos“.

Anders verlief ein dritter dokumentierter Fall: 2002 meldete ein ehemaliger Schüler Missbrauchsvorwürfe gegen den Leiter des erzbischöflichen Jungeninternats in Werl. Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt reagierte sofort. Er suspendierte den Mann, informierte Staatsanwaltschaft sowie den Vatikan und verhängte eine Geldbuße von 5.000 Euro. Außerdem wurde der Geistliche in einen Frauenorden versetzt. Nach Einschätzung der Kommission verhinderte dieses Vorgehen weitere Taten.

Polizei und Justiz ebenfalls lange untätig Doch auch staatliche Stellen sahen in den 1950er-Jahren häufiger weg. Damals kam ein Chorknabe nach Übergriffen verletzt und blutend nach Hause. Seine Mutter ging umgehend mit ihm zur Polizei nach Paderborn, um Anzeige zu erstatten – ein Schritt, der in jener Zeit alles andere als selbstverständlich war. Doch anstatt Unterstützung zu erfahren, wurden sie zurückgewiesen.

Bei der Vernehmung durfte die Mutter nicht anwesend sein. Ihr Sohn wurde allein befragt und bedroht, wenn er &bdquo;weiter so lüge, werde man dafür Sorge tragen, dass er seinen erziehungsunfähigen Eltern weggenommen und in einem Heim erzogen werde“, heißt es im Bericht der Kommission. Von Ermittlungen gegen den beschuldigten Geistlichen ist nichts überliefert.

Menschen trauten Geistlichen keine Straftaten zu Die Kommission bewertet diesen Umgang als Zeichen einer damaligen &bdquo;Unterwürfigkeit der Strafverfolgungsbehörden“ gegenüber der katholischen Kirche. Hintergrund sei die starke gesellschaftliche Stellung der Geistlichen, denen viele Menschen schlicht keine Straftaten zutrauten.

Die Fachleute betonen, dass es sich um einen Zwischenbericht handelt. Noch seien längst nicht alle Akten ausgewertet. Erst nach vollständiger Sichtung könne ein abschließendes Bild gezeichnet werden. Gleichwohl stehe fest: Für viele Opfer bedeutete das Verhalten des damaligen Erzbistums eine doppelte Belastung – sie litten unter dem Missbrauch selbst und zugleich unter fehlender Anerkennung ihres Leids.

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