Münster. Es rauscht und piept. Der Kurzwellen-Empfänger scheint zu kollabieren. Plötzlich plärren ein paar Takte Musik aus dem Lautsprecher. "Achtung, Achtung! Spruch Nummer 8 – Gruppenzahl", sagt ein Mann. "Achtung, Spruch-che", fährt die Stimme fort und deklamiert mit seltsamem Akzent Fünfer-Zahlenkolonnen. "Acht, zechs, zvo, acht, zvo" rauscht es durch den Äther.
"Das ist G 20", sagt Daniel Stadermann, "ein ehemaliger Zahlensender, vermutlich aus der DDR." Eine von vielen historische Aufnahmen, die Stadermann auf seinem Computer gespeichert hat. Auch G03 hat die Wiedervereinigung nicht überlebt. Er schweigt seit 31. Mai 1990. Zum Sendeschluss schickten die Betreiber ein selbst gesungenes "Alle meine Entchen" über die Kurzwelle.
Stadermann, gelernter Datenverarbeitungs-Kaufmann aus Münster, ist einer von den Hardcore-Fans sogenannter "Zahlensender". Schon im Vorschulalter war er von den Geräuschen auf den Radio-Kurzwellen fasziniert. "In den 70er Jahren, konnte man es kaum vermeiden, über Zahlensender zu stolpern", sagt er.
Suche nach Gleichgesinnten
Die Suche nach dem Sinn der Zahlenkolonnen begann. 1980, nach seinem Abitur, schaffte er sich "endlich einen vernünftigen Kurzwellenempfänger" an und suchte weiter. "Jahrelang habe ich gedacht, ich sei ganz allein auf Zahlensender-Jagd", sagt er. Irgendwann forschte er dann im Internet nach Gleichgesinnten. "Ich habe meinen Augen nicht getraut, ich war nicht der einzige Irre, der sich dafür interessiert."Jochen Schäfer, Kopf der 2004 gegründeten deutschen "ENIGMA 2000"-Fraktion, beziffert die Zahl der registrierten und aktiven Mitglieder auf über 20. "Tendenz steigend" , sagt er. Insgesamt gebe es hierzulande etwas mehr als 50 aktive Zahlensender-Surfer. Weltweit, so schätzt er, seien es mehr als 700, die sich im Zahlen-Dschungel auf Kurzwelle auskennen. Und bestimmt gebe es "noch viel mehr Zahlensender-Hörer, die wir noch nicht kennen".
Es wird viel spekuliert in Kurzwellen-Kreisen. Klar scheint nur zu sein: Ein Großteil dieser Sender richtet sich an Agenten. Die Vorteile: Empfänger von Mitteilungen können, im Gegensatz zu Informationen über Brief, Telefon oder elektronische Datenverbindungen, nicht geortet werden. Zu entschlüsseln sind die geheimnisvollen Zahlen-Mitteilungen ebenfalls nicht, auch wenn klar ist, dass die Zahlen für Buchstaben stehen.
Der richtige Schlüssel
Wer die Botschaften verstehen will, braucht dazu einen Schlüssel. Der sogenannte "One-Time-Pad (OTP)" kann nur für die jeweilige Information benutzt werden. Er wird von den Führungs-Zentralen meist maschinell als zufällige Zahlenfolge produziert – einmal für den Absender, einmal für den Empfänger der Mitteilungen. Nur mit diesem "Schlüssel" lassen sich die Zahlen in Wörter wandeln. Nach der Aufschlüsselung wird der OTP vernichtet. Denn würde der Sender wiederholte Male denselben "Schlüssel" benutzt, könnte der Sinn der Botschaft auch von Dritten, vor allem gegnerischen Geheimdiensten, entschlüsselt werden.Kein Wunder, dass Stadermanns Hobby oft hinterfragt wird. "Warum hörst du dieses Zeug, wenn du sowieso nichts davon verstehen kannst?" wird er oft gefragt. Verstehen ist aber nicht alles.
Die Kurzwellen-Fans haben solide Klassifizierungen der verschiedenen Sender erarbeitet. So steht etwa ein "G" vor der Sendernummer für die Sendesprache "Deutsch", ein "E" für Englisch. Und auch die jeweiligen Sende-Länder konnten in den meisten Fällen identifiziert werden. Denn die Signalstärke ist im Herkunftsland am stärksten – wie etwa im Fall des inzwischen abgeschalteten israelischen "Mossad"-Senders E 10.
Geheimnisvolle Zielpersonen
Wenn es irgendwo eine Krise gibt, werden Zahlensender manchmal zu Seismographen. So sei etwa die russische Station S07 zur Zeit des Putsches der Altkommunisten gegen Gorbatschow 1991 dadurch aufgefallen, dass sie wiederholt nur "55555" gesendetet habe, sagt Daniel Stadermann.Manchmal sind die geheimnisvollen Zielpersonen von Zahlensendern aber auch ganz nah. Im Oktober 2011 schnappten GSG 9 und BKA ein mutmaßliches Spionage-Paar im hessischen Marburg. Die Ermittler überraschten die Frau beim Radiohören – Agentenfunk. Das Paar soll jahrelang Nachrichten, darunter Betriebsgeheimnisse eines Autozulieferers, nach Moskau übermittelt haben.