Vor einigen Tagen stand ich mit dem Auto im Stau an der Schildsker Kreuzung, einem berüchtigten Verkehrsknotenpunkt in Bielefeld. Mehr als 20 Minuten ging es nur im Schneckentempo vorwärts – für eine Strecke, für die man normalerweise zwei oder drei Minuten benötigt. Als der Wagen so dahin rollte, dachte ich, es wäre doch schön, wenn man jetzt kurzerhand eine neue Straße herbeizaubern könnte, um den stockenden Verkehr aufzulösen. Oder wenn man eine eigene Busspur einrichten könnte, um wenigstens den ÖPNV schneller werden zu lassen.
Doch während meine Gedanken lediglich Luftschlösser bleiben werden, macht „Cities: Skylines 2“ diese Träume möglich – zumindest virtuell. Denn in der neuen Städtebau-Simulation des finnischen Entwicklerstudios Colossal Order errichten wir eine völlig neue Stadt von Grund auf. Wir haben uns für euch weit vor dem Release am 24. Oktober an das virtuelle Reißbrett begeben.
We built this City

Bei „Cities: Skyline 2“ schlüpfen wir, wie bereits im erfolgreichen ersten Teil, in gleich mehrere Rollen. Wir sind Stadtplaner, Bürgermeister, Stadtrat, Stadtwerke-CEO, Pressesprecher, Kämmerer und vieles mehr. Wir legen Straßen an, weisen Bauplätze für Wohnhäuser, Gewerbe- und Industriegebäude aus und teilen die Gebiete in verschiedene Bezirke ein. Wir sorgen dafür, dass der Nahverkehr reibungslos durch die Stadt läuft. Wir müssen Mülldeponien errichten und die Müllentsorgung regeln. Wir errichten Kraftwerke und sorgen für (grünen) Strom – kurzum: Wir kümmern uns um alles, was zum guten Gelingen einer Stadt beiträgt.
Dabei steht nicht nur das stete Wachstum unserer Siedlung im Fokus. Damit daraus eine pulsierende und florierende Metropole wird, müssen wir immer einen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung, die Kriminalität, den Verkehrsfluss, die Bildung und natürlich die Finanzen haben. Im Vergleich zum ersten Teil wartet der Nachfolger dabei mit einem deutlich größeren bespielbaren Bereich auf. Insgesamt besteht jede Karte aus 441 Abschnitten, so genannten Kacheln, mit einer Größe von knapp 160 Quadratkilometern, die bebaut werden können. Das entspricht ungefähr der Größe von Aachen und ist im Bezug auf die Fläche fünfmal größer als im ersten Teil. Zudem bietet der zweite Teil nun mehr Realismus, der sich unter anderem in Naturkatastrophen, wie Hagelstürmen äußert.
Rom ist ja auch nicht an einem Tag erbaut worden

Dieser Realismus und die Details sind es, die es uns in der Testphase des Spiels schwer gemacht haben, den PC auszumachen. Wenn wir ein neues Wohngebiet ausweisen, dann wird ein Sichtschutz aufgebaut und Baukräne schwingen ihre Arme von links nach rechts. Wenn auf unserem Autobahnzubringer ein Unfall passiert, bildet sich ein langer Stau, der sich erst auflöst, wenn die Straßenmeisterei die Unfallstelle wieder freigegeben hat. Wir bauen nicht irgendeine Stadt, sondern eine lebendige Stadt, die uns nach und nach ans Herz wächst.
Mit der Zeit spielen wir uns dabei neue Gebäude frei. Denn freilich starten wir ganz zu Anfang erst einmal bei null. Da liegt es auf der Hand, dass wir zunächst nur eine begrenzte Auswahl an Gebäuden haben. So stehen uns zu Beginn etwa nur das Kohlekraftwerk und das Windrad zur Stromerzeugung zur Verfügung, im späteren Verlauf kommen ein Solarpark, ein Atomkraftwerk oder ein hochmodernes Geothermiekraftwerk hinzu.
Wächst unsere Stadt, erhalten wir Erfahrungspunkte. Diese wiederum schalten Meilensteine frei. Damit leiht uns zum Beispiel die Bank mehr Geld, wenn wir knapp bei Kasse sind, oder es gibt Entwicklungspunkte. Diese können wir für neue Gebäude ausgeben, unsere Straßen, den Nahverkehr oder den Katastrophenschutz verbessern.
Dieses Belohnungssystem hat uns gut gefallen und spielt sich weitaus motivierender als eine Stadt, in der wir von Beginn an mit unendlich viel Geld spielen und sämtliche Gebäude und Bonusgebäude, die wir ebenfalls als Belohnungen erhalten können und mit denen wir unsere Stadt aufwerten, bereits freigeschaltet sind.
Eine Lektion, die wir in dem Spiel gelernt haben: baue nie eine Wasseraufbereitungsanlage neben einer Grundwasserpumpstation. Denn die Verschmutzung der Anlage kontaminierte das Trinkwasser der Pumpstation, Verunreinigungen in Teilen der Stadt waren die Folge. Darüber wurden wir mit einer Art Radiomeldung informiert, die die stimmungsvolle Spielmusik unterbrach. Über andere Missstände in der Stadt erfahren die Spielerinnen und Spieler zudem über den implementierten aber virtuellen Kurznachrichtendienst Cipher, bei dem sich Bürgerinnen und Bürger über die schwache Internetverbindung oder das schlechte Bildungssystem beschweren. Beheben wir diese Probleme, zum Beispiel durch den Bau entsprechender Gebäude, schlägt die Kritik in Lob um.
Ehrlich währt am längsten – oder?

Der Realismus hat allerdings auch seine Grenzen. So simuliert das Spiel Tag- und Nacht-Wechsel. Allerdings haben wir diese eher als störend empfunden. Zwar wird die Stadt mithilfe von Straßenlaternen etwas erhellt, dennoch bleibt ein großer Teil der Karte sehr düster. In der nächtlichen Dunkelheit lässt sich so deutlich schlechter planen und bauen, was den Spielfluss insgesamt abbremst.
Große Sorgen bereitet uns aktuell allerdings ein viel größeres Thema. Der schwedische Publisher Paradox Interactive informierte gemeinsam mit dem Entwicklerstudio in den vergangenen Tagen darüber, dass zum Release am 24. Oktober mit zum Teil massiven Performance-Problemen zu rechnen sei. In einem offiziellen Statement fordern die beiden Firmen die Fans auf, ihre Erwartungen an das Spiel zum Erscheinungsdatum nach unten zu schrauben.
Zuvor wurden die Hardware-Standardvoraussetzungen für das Spiel nach oben korrigiert. Mittlerweile empfehlen die Entwickler für eine gute Darstellung folgendes: einen Core i5-12600K beziehungsweise AMD Ryzen 7 5800X, 16 GB RAM und eine Geforce RTX 3080 (10 GB) oder eine vergleichbare AMD-Grafikkarte. Zum Vergleich: Noch im Juni wurden noch ein Core i7-9700K beziehungsweise Ryzen 5 5600X, sowie Geforce RTX 2080 Ti (11 GB) oder Radeon RX 6800 XT (16 GB) empfohlen.
Im offiziellen Statement wird das damit begründet, dass „Cities: Skylines 2“ ein „Next-Gen“-Titel sei, der nun einmal gewisse Voraussetzungen benötige. Gleichzeitig würde das Team daran arbeiten, dass Fehler bei der Performance behoben werden. Zudem habe man sich dafür entschieden, das Spiel zum vorgesehenen Zeitpunkt zu veröffentlichen, weil das die beste Option sei. Allerdings wird nur die PC-Version am 24. Oktober erscheinen. Die Versionen für die Playstation 5 und die Xbox Series sollen im nächsten Frühjahr auf den Markt kommen.
Bei unserem Test haben wir keine Performance-Probleme festgestellt. Allerdings haben wir bislang auch nur Städte mit einer Bevölkerung von rund 10.000 Menschen errichtet und längst nur einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Kacheln bebaut. Wie sich größere Städte auf die Hardware auswirken, können wir ehrlicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.
Fazit
„Cities: Skylines 2“ ist eine tolle Städtebau-Simulation und ein würdiger Nachfolger für den ersten Teil. Wir hatten viel Freude daran, eine Stadt ganz nach unseren Vorstellungen zu erbauen und an den verschiedenen Stellschrauben, die das Spiel bietet, zu drehen. Allerdings dürfte es vielleicht einmalig in der bisherigen Geschichte der Videospiele sein, dass Entwickler und Publisher vor ihrem eigenen Spiel warnen. Für diese Ehrlichkeit gebührt Colossal Order und Paradox Interactive Respekt. Andere Studios sind da dickfelliger und werfen unfertige Titel gleich auf den Markt.
Gleichzeitig muss man sich aber auch die Frage stellen, ob der Release dann nicht verfrüht kommt. Immerhin bestünde die Möglichkeit, das Spiel erst einmal im Early Access zu starten oder die PC-Version ebenfalls im Frühjahr erscheinen zu lassen. Doch aus Sicht des börsennotierten schwedischen Unternehmens Paradox Interactive gab es wohl keinen Weg zurück. Der Release des Nachfolgers der bekanntesten und erfolgreichsten Städtebau-Simulation der vergangenen Jahre ist erfolgversprechend, eine Verschiebung aus wirtschaftlicher Sicht fast unmöglich.
Paradox steckt also in der Zwickmühle und hat sich für den Weg entschieden, den viele Entwickler und Publisher derzeit gehen: das Spiel erscheint, etwaige Fehler, Bugs und dergleichen können noch nachträglich verbessert werden. Das offizielle Statement strotzt vor Überzeugung und vermittelt den Eindruck, dass es nur diesen einen Weg gibt. Es bleibt aber zu befürchten, dass potenzielle Käufer und langjährige Fans damit verprellt werden. Denn im Prinzip liefern Colossal Order und Paradox Interactive ein unfertiges Spiel ab – sehenden Auges und zum vollen Preis. Die Standardversion kostet knapp 50 Euro, die Ultimate Edition schlägt mit immerhin knapp 90 Euro zu Buche.
Wir würden euch empfehlen, erst einmal abzuwarten und zu beobachten, wie sich die Lage entwickelt. Eine uneingeschränkte Kaufempfehlung können wir nach derzeitigem Stand nicht geben, trotz der Stärken, die das Game definitiv hat.
"Cities: Skylines 2" erscheint am 24. Oktober für den PC und kostet ca. 50 Euro. Wir haben die PC-Version auf Steam getestet.