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„Lost Records: Bloom & Rage, Tape 2“ im Test: Zwischen Wucht und Mangel

Christian Lund

Die Clique um Swann, Autumn, Nora und Kat steht vor den Flammen der Vergangenheit – ein symbolträchtiger Moment in „Lost Records: Bloom & Rage, Tape 2“. - © Don’t Nod
Die Clique um Swann, Autumn, Nora und Kat steht vor den Flammen der Vergangenheit – ein symbolträchtiger Moment in „Lost Records: Bloom & Rage, Tape 2“. (© Don’t Nod)

Nach dem gefeierten Auftakt von „Lost Records: Bloom & Rage“ war die Erwartungshaltung an Tape 2 enorm – und vielleicht war es genau diese Fallhöhe, an der das Finale letztlich gescheitert ist. Der erste Teil hatte mit seiner Coming-of-Age-Story, den komplexen Figuren und dem 90er-Jahre-Flair die Messlatte hochgelegt und in unserem Test als „Wiederauferstehung des episodischen Spielens“ überzeugt.

Nun sollte der zweite und letzte Teil („Tape 2“) Antworten liefern, die Charakterbögen vollenden und das große Mysterium auflösen. Doch was bleibt, ist ein Spiel, das zwischen emotionaler Wucht und erzählerischer Enttäuschung schwankt.

Die Entwickler von Don’t Nod, bekannt durch das grandiose Spiel „Life is Strange“, wollten mit dem Zweiteiler das episodische Format neu denken: Weniger Füllmaterial, mehr Substanz, mehr Fokus auf Beziehungen und Konsequenzen. Doch die Entscheidung, die Geschichte in nur zwei Episoden zu erzählen, entpuppt sich in unserem Test auch als zweischneidiges Schwert. Tape 2 ist zwar intensiv, aber auch gehetzt; es will zu viel in zu kurzer Zeit und verliert dabei die Sorgfalt, mit der Tape 1 seine Figuren und Konflikte aufgebaut hat.

Worum geht’s in „Lost Records: Bloom & Rage, Tape 2“?

„Lost Records: Bloom & Rage, Tape 2“ knüpft direkt an die Geschehnisse des ersten Teils an: Die Clique um Swann, Autumn, Nora und Kat muss sich im Sommer 1995 den Konsequenzen einer folgenschweren Nacht stellen. 27 Jahre später treffen sich die Überlebenden erneut, zusammengerufen von einem mysteriösen Paket, das alte Wunden aufreißt. Während Tape 1 vor allem die Dynamik zwischen den Freundinnen und die Atmosphäre der 90er Jahre auslotete, steht in Tape 2 die Auflösung des zentralen Rätsels im Vordergrund – und die Frage, was damals wirklich geschah.

Die Erzählung springt dabei erneut zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und lässt uns Spielerinnen und Spieler die Beziehungen rekonstruieren. Gleichzeitig zwingt uns das Spiel, dass wir uns mit Schuld, Vergebung und den Narben der Jugend auseinandersetzen. Das Camcorder-Feature, das im ersten Teil noch als originelles erzählerisches Instrument diente, wird in Tape 2 jedoch zunehmend zurückgefahren und verliert leider sehr an Bedeutung.

Was hat uns gefallen?

Ein intimer Moment zwischen Nora (l.) und Swann. Das große Pfund von "Lost Records" ist die tolle Charakterbildung. Die Mädchen wachsen und wie echte Freundinnen ans Herz. - © Don’t Nod
Ein intimer Moment zwischen Nora (l.) und Swann. Das große Pfund von "Lost Records" ist die tolle Charakterbildung. Die Mädchen wachsen und wie echte Freundinnen ans Herz. (© Don’t Nod)

Trotz aller bereits genannten Kritikpunkte bleibt Tape 2 erzählerisch und atmosphärisch auf sehr hohem Niveau. Die Charaktere wirken weiterhin glaubwürdig, ihre Konflikte und Traumata werden nuanciert dargestellt. Besonders Swann, die schüchterne Protagonistin, wächst einem ans Herz – ihre Verletzlichkeit und ihr Ringen mit der Vergangenheit sind berührend inszeniert. Wer emotional mitfiebert, wird sicher auch die eine oder andere Träne weinen.

Die Dialoge sind weiterhin toll geschrieben, die Inszenierung bleibt cineastisch, und das Spiel schafft es, die emotionale Fallhöhe aus Tape 1 zumindest teilweise zu halten.

Auch technisch überzeugt das Spiel: Die Grafik bleibt in weiten Teilen exzellent, die Musik stimmig und die Inszenierung der Rückblenden gelungen. Die wenigen neuen Gameplay-Elemente – etwa ein Stealth-Abschnitt oder kleinere Rätsel – sorgen für Abwechslung, auch wenn sie das Genre wahrlich nicht revolutionieren. Besonders hervorzuheben ist, dass die Entscheidungen aus Tape 1 tatsächlich Konsequenzen haben: Wer am Ende zu den Überlebenden zählt, hängt maßgeblich vom eigenen Handeln ab.

Was hat uns nicht gefallen?

Autumn (l.) und Swann warten. Möglicherweise auch darauf, dass alle losen Enden in dieser Geschichte zu etwas führen. Optisch ist Tape 2 aber wieder ganz fantastisch! - © Don’t Nod
Autumn (l.) und Swann warten. Möglicherweise auch darauf, dass alle losen Enden in dieser Geschichte zu etwas führen. Optisch ist Tape 2 aber wieder ganz fantastisch! (© Don’t Nod)

Doch so stark die Figuren und die Atmosphäre auch bleiben, so enttäuschend ist die narrative Auflösung. Wir haben es oben ja schon geschrieben: Tape 2 wirkt gehetzt, viele Handlungsstränge werden nur angerissen oder gar nicht zu Ende geführt. Und vor allem: Das zentrale Mysterium, das jetzt über zwei Episoden aufgebaut wurde, bekommt keine wirklich befriedigende Auflösung. Stattdessen bleibt vieles vage oder wird mit einem weiteren Cliffhanger in die Zukunft verschoben. Für ein Spiel, das so sehr auf seine Geschichte setzt, ist das ein schwerer Makel.

Auch das Gameplay leidet: Das innovative Camcorder-Feature, das Tape 1 so besonders machte und wir so geliebt haben, wird nach kurzer Zeit fallengelassen. Die wenigen interaktiven Momente fühlen sich da nur noch wie Pflichtübungen an, echte spielerische Freiheit gibt es kaum noch.

Zum Beispiel kommen wir an einer Stelle zu einer Werkbank mit einem Werkzeugkasten, können dort aber nichts tun, dabei dürfen wir in so vielen anderen Fällen Dinge zumindest in die Hand nehmen und von allen Seiten betrachten (was in den meisten Fällen auch eher sinnfrei ist). Hier nicht. Stattdessen gehen wir weiter, stellen nach fünf Metern fest, dass wir einen Schraubendreher brauchen – und können nun an der Werkbank der Werkzeugkasten öffnen.

Oder noch sehr am Anfang von Tape 2: In der Bar haben wir gerade erst drei neue Getränke geholt. Die bleiben jetzt unsinnigerweise am Tischrand stehen, während wir uns mit Swann, Autumn und Nora über das mysteriöse Paket unterhalten und eine Serviette lesen. In diesen Szenen fühlt sich „Lost Records“ einfach nicht zu Ende gedacht an.

Und auch die Länge von Tape 2 lässt zu wünschen übrig. Mit rund vier bis fünf Stunden ist der zweite Teil deutlich kürzer als Tape 1 und wirkt zu schnell erzählt. Uns fehlt die Sorgfalt von Tape 1!

Hinzu kommen technische Schwächen: Untertitel-Fehler, fehlende Übersetzungen bei Lese-Texten, teils holprige Dialoge und eine stellenweise unnatürliche Vertonung trüben das Erlebnis zusätzlich.

Unser Fazit zu „Lost Records: Bloom & Rage“

„Lost Records: Bloom & Rage“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie hoch die Fallhöhe für narrative Spiele sein kann. Was als vielversprechendes, emotionales Mystery-Drama begann, endet in einer Mischung aus starker Figurenzeichnung, atmosphärischer Dichte – und erzählerischer Ernüchterung. Die Charaktere bleiben im Gedächtnis, die Inszenierung ist hochwertig, doch die eigentliche Geschichte verliert sich im eigenen Anspruch und wird durch einen unbefriedigenden Cliffhanger ad absurdum geführt.

Don’t Nod gelingt es, die Magie von „Life is Strange“ in Teilen wieder aufleben zu lassen, doch der Mut zum Zweiteiler rächt sich: Tape 2 wirkt wie ein zu kurzer Epilog, der der aufgebauten Spannung und Tiefe nicht gerecht wird. Wer die Charaktere ins Herz geschlossen hat, wird trotzdem Momente finden, die berühren und die einem lange nicht mehr aus dem Kopf gehen werden.

Wer jedoch auf eine stringente, runde Auflösung gehofft hat, bleibt enttäuscht zurück. Wir erleben mit „Lost Records“ ein Ende wie vor 15 Jahren mit der TV-Serie „Lost“. In beiden Fällen ist den Schöpfern die Geschichte entglitten. Auch wir bleiben „lost“ zurück.

„Lost Records: Bloom & Rage“ ist ein Spiel, das seine eigenen Versprechen leider nicht einlöst. Es bleibt ein atmosphärisches, emotionales Erlebnis – aber auch ein Mahnmal dafür, dass große Geschichten mehr Raum brauchen, um wirklich zu wirken. Ein dritter Akt hätte diesem Drama gutgetan. So bleibt am Ende vor allem eines: das Gefühl, dass hier eine große Chance vertan wurde.

„Lost Records: Bloom & Rage, Tape 1“ ist seit dem 18. Februar 2025 für Playstation 5, Xbox Series X|S und PC erhältlich und kostet rund 40 Euro. Der zweite und letzte Teil ist am 15. April 2025 erschienen. Für Spielerinnen und Spieler, die das Spiel bereits gekauft haben, steht Tape 2 als kostenloses Update zum Download bereit. Wer das gesamte Spiel jetzt erst kauft, findet beide „Tapes“ bereits zusammen in der Box.

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