Bad Salzuflen. Ein Traum lebt. Nujin Hassan ist Fußballer durch und durch. Er trägt das Trikot von Arminia Bielefeld (U23) und vielleicht bald das des syrischen Fußball-Nationalteams. Dem Salzufler liegt eine telefonische Anfrage vor.
Der Schrank ist gefüllt mit Pokalen aus seiner jungen Fußball-Karriere. An der Wand hängt ein Bild, das ihn im Trikot von Arminia Bielefeld zeigt. Nujin Hassan lebt für seine Sportart. Der 20-Jährige hat viel erlebt und ist seit der U 9 ein Armine, sieht man einmal von einem Abstecher zum VfL Osnabrück ab. Ab und zu hat der Deutsch-Kurde bei den Profis mittrainiert und Chef-Trainer Norbert Meier kennengelernt. „Ich habe mich gleich wohl gefühlt, das macht Freude auf mehr“, grinst Nujin Hassan – nun ist klar: An Fußball führt beim gebürtigen Bad Salzufler eben kein Weg vorbei.
Ein Jahr besucht er noch die Höhere Handelsschule in Herford, was danach kommt? Hassan weiß es noch nicht. „Irgendwas mit Sport“, überlegt er. Doch eigentlich ist klar: Er setzt voll auf Fußball. Selbst negative Nachrichten können den Kicker, der von Ulas Tokdemir und Roland Kopp beraten wird („Die Meinung meines Vaters ist aber die wichtigste.“) nicht abhalten.
Mit dem Riss des vorderen Kreuzbandes hat er sich die erste schwere Verletzung zugezogen. Das hat ihn zurückgeworfen. Zwei Monate der Leidenszeit hat er hinter sich, jetzt beginnt er mit dem Lauftraining. Ausgerechnet jetzt. Am vergangenen Samstag startete die Vorbereitung der U 23 von Arminia. Der Offensivspieler hätte wechseln können, unterschrieb noch mal für ein Jahr, weil „sich der Verein sehr um mich bemüht hat“.
Außerdem hat er ein großes Ziel vor Augen: die Nationalmannschaft, vielleicht die Olympischen Spiele in Rio 2016. Utopisch ist das nicht. Denn der Sohn eines Syrers ist in den Fokus des syrischen Fußballverbandes geraten. „Der Onkel von Mahmoud Dahoud, der bei Borussia Mönchengladbach spielt, hat sich gemeldet“, sagt Hassan mit einem Lächeln. Seit der U 15/U 16 ist der Salzufler beobachtet worden, und nun das.
„Meinen Vater macht das extrem stolz“, sprudelt es aus dem 20-Jährigen heraus, „mir war sofort klar, dass ich das Abenteuer erleben möchte. Das ist eine Erfahrung.“ Kurze Pause. Ein Augenblick des Nachdenkens, schon wirkt die Stimme ernst. Es gibt einen Grund, der ihn zum Überlegen zwingt, ob er das Richtige tun würde: der Bürgerkrieg. „Ich kann mich nicht einfach ins Flugzeug setzen und flieg da mal eben hin. Die politische Lage müsste stabil sein, um so etwas machen zu können.“
In diesem Moment ist ihm anzumerken, dass dann Fußball doch nicht alles ist, obwohl er aus einer sportverrückten Familie stammt. Sein Vater Nabil war in Syrien bei professionellen Klubs als Scout und Trainer tätig, sein Bruder Berien (24) spielt beim SV Wüsten. Auch von seiner Mutter Nibal bekommt Nujin viel Unterstützung. Jihan (15, Schülerin am Rudolph-Brandes-Gymnasium) und Lilan (8, Schülerin der Ahorn-Grundschule) komplettieren die Familie Hassan, die in Bad Salzuflen fest verwurzelt ist.
„Die Bilder, die man aus Syrien sieht, machen einen traurig. Uns gehts hier wirklich gut“, sagt Nujin und ergänzt: „Fußball ist was Großes, aber nichts ist wichtiger als der Mensch.“
Dann packt er, ganz Sportler, sein Kämpferherz aus. „Wenn es irgendwie geht, nehme ich das wahr.“ Selbst hat Nujin Hassan, der kein arabisch spricht, noch mit keinem syrischen Funktionär gesprochen. Das hat sein Vater übernommen. Doch er bereitet sich auf den Tag X vor. Gegen Ende der Hinrunde möchte er für die „Blauen“ in der Oberliga wieder auflaufen. Und dann steht für Syrien im Januar die Asien-Quali für die Olympischen Spiele 2016 auf dem Programm. Mit Nujin Hassan oder ohne? Platz für weitere Pokale im Schrank wäre auf jeden Fall.
117. der Weltrangliste
Fußball ist in Syrien populär
Der Bürgerkrieg in Syrien hat in der vergangenen Woche weitere erschreckende Zahlen geliefert. Seit März 2011 haben mehr als vier Millionen Menschen das Land verlassen, allein seit August 2014 seien es nach UN-Angaben etwa 1 Million gewesen. Kein Wunder, dass Nujin Hassan ins Grübeln kommt, ob er für die syrische Nationalmannschaft auflaufen soll.Dabei gehört Fußball zu den populärsten Sportarten in dem Land, in dem laut Informationen des Auswärtigen Amtes im Jahr 2011 etwa 22 Millionen Menschen gelebt haben. Welche Gefahren bestehen können, zeigt ein Satz auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes. Dort ist zu lesen: „In ganz Syrien besteht das Risiko, durch Gewalteinwirkung Opfer des Krieges zu werden.“
Im Fußball hat Syrien bislang für wenig Aufsehen gesorgt. Die FIFA registriert die Nation auf Position 117 der Weltrangliste. Allerdings belegte das Land 2009 noch Platz 91, 1993 war es 82. Noch nie haben sich die Fußballer für eine WM qualifiziert, fünfmal haben sie an der Asienmeisterschaft teilgenommen.
In der WM-Qualifikation 2018 gewann Syrien Mitte Juni gegen Afghanistan mit 6:0. Laut Wikipedia soll die U 23-Asienmeisterschaft im Januar 2016 in Katar als Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio dienen.