TBV-Abwehrchef Gedeon Guardiola im Olympia-Interview

Lemgo. Das &bdquo;kleine“ Städtchen Lemgo hat schon viele große Handballstars beheimatet. Der 36-jährige Gedeon Guardiola schickt sich nun an, der Allergrößte zu werden. Mit der goldenen Generation des spanischen Handballs greift der Weltmeister von 2013 und Europameister von 2018 und 2020 in Tokio nach Olympia-Gold.

Unter deutschen Sportlern sagt man &bdquo;Wer rasiert, verliert.“ Warum haben Sie sich kurz vorm Bundesligafinale plötzlich den Bart abgenommen? Wollten Sie testen, ob die Lipper nach einem Jahr zwischen den Zwillingen unterscheiden können?

Gedeon Guardiola: (lacht) Ich habe sofort gemerkt, dass jetzt viele Menschen Probleme mit dem Grüßen haben. Einige riefen &bdquo;Hallo Isa“. Denen habe ich aber nicht widersprochen. Es ist schon komisch ohne Bart. Ehrlich gesagt, fühle mich nicht so richtig wohl. Aber meine Frau und meine Tochter haben mich gebeten, dass ich mich im Sommer rasieren soll.

Wie lief denn die Zusammenarbeit mit Ihrem Zwillingsbruder? Was hat Isaias Ihnen von Lemgo beigebracht – und was konnten Sie ihm mitgeben?

Gedeon Guardiola: Inzwischen läuft es richtig gut. Aber anfangs war es etwas schwierig, weil wir lange nicht zusammen gespielt haben. Jeder hat seinen eigenen Charakter auf dem Spielfeld. Wir verstehen beide die spanische Art und wollen unsere Sache perfekt machen. Beim Videogucken haben wir uns häufig gestritten, weil keiner zugeben wollte, einen Fehler gemacht zu haben. Aber seit Anfang des Jahres sind wir beide viel ruhiger und haben mehr Sicherheit gefunden. Das hilft auch der Mannschaft. Wir versuchen, die Jungs von unserem Konzept zu überzeugen.

Gemeinsam haben Sie nun das Final-Four mit dem TBV Lemgo Lippe gewonnen. Welchen Stellenwert hat der DHB-Pokal für Sie, wo Sie doch schon so viele Titel gewonnen haben?

Gedeon Guardiola: Ich spreche auch für Isa: Das bedeutet uns alles. Wir sind 36 Jahre und hätten niemals erwartet, noch einmal zusammen einen Titel zu gewinnen. Erst am Morgen vorm Finale ist uns das bewusst geworden. Isa sagte plötzlich: Das ist das letzte und einzige Mal, dass wir so etwas gewinnen können. Jetzt fühlen wir ganz viel Stolz. Für unsere Familie ist das etwas ganz Besonderes. Leider konnten unsere Eltern nicht in Hamburg mit dabei sein. Ich habe bei den Rhein-Neckar Löwen einiges gewonnen. Doch solch ein Titel ist für einen kleineren Verein wie den TBV doppelt so viel Wert. Und dann auch noch zusammen mit meinem Bruder.

Dabei wirkte es im ersten Moment wie ein Abstieg, als Sie von einem Top-Klub zu einem Mittelfeldteam wechselten. Haben Sie den Schritt nie bereut?

Gedeon Guardiola: Lemgo war der erste Verein, der sich damals bei mir gemeldet hat. Ich brauche die Mannschaft wie eine Familie. Ich wollte noch einmal Handball genießen und dachte, dass es ruhiger als bei den Löwen zugeht. Aber jetzt wird es in der kommenden Saison mit der internationalen Teilnahme wieder anstrengend. Es werden viele Topteams in der EHF European League dabei sein. Doch für die Mannschaft, den Verein und die Stadt ist das geil. Aber es kostet auch einen Preis. Es ist nicht einfach, sich zwischen Bundesliga und Europapokal immer neu zu fokussieren. Die nächste Saison wird interessant.

Aber vorher kommen noch die Olympischen Spiele und an Urlaub ist nicht zu denken...

Gedeon Guardiola: Immerhin hatte ich eine Woche mit meiner Familie daheim in Alicante. Als Profisportler müssen wir das akzeptieren. Es gibt keine Ausreden. Unser Ziel ist es, in Tokio hart zu kämpfen und die Spiele zu genießen.

Die Olympischen Spiele 2016 in Rio haben Sie verpasst...

Gedeon Guardiola: Beim Qualifikationsturnier in Malmö fehlte uns ein einziges Tor. Für eine ganze Generation ist das Albtraum und Traum zugleich. Wir alle haben Schmerzen im Kopf, dass wir in Brasilien nicht dabei waren. Man hat das in der Vorbereitung gemerkt: Alle sind extrem fokussiert.

Was für Erinnerungen haben Sie noch an die Olympischen Spiele 2012 in London?

Gedeon Guardiola: Das war mein zweites großes Turnier und ich verfügte nur über wenig Erfahrung. Die Nominierung war eher Zufall. Erst vier Tage vorher haben meine Frau und ich geheiratet. Im Viertelfinale gegen Frankreich verloren wir in letzter Sekunde. Das war sehr traurig. Wir hatten in London eine sehr gute Mannschaft. Das Viertelfinal-Aus war hart. Viele von uns haben es nicht vergessen. Vielleicht helfen uns diese Erinnerungen beim Turnier in Tokio.

Sie selber sind mit 36 Jahren bei weitem nicht der älteste Spieler im spanischen Team. Wie wichtig ist ein Maß Erfahrung bei den Olympischen Spielen?

Gedeon Guardiola: Wir haben eine gute Kombination aus älteren aber auch jüngeren Spielern. Mit Julen Aguinagalde kehrt ein starker Kreisläufer zurück. Raul Entrerrios, Viran Morros, Joan Canellas und Daniel Sarmiento verfügen über viel Erfahrung. Unsere Hauptrolle wird die Abwehr spielen. Über zwei Deckungssysteme wollen wir die Gegner kontrollieren. Das wird uns gerade bei einem Olympiaturnier, bei dem alle zwei Tage gespielt wird, auch im Angriff helfen.

Abwehr ist ein gutes Stichwort. Seit wann ist die spezielle Deckungsarbeit das Markenzeichen des spanischen Handballs?

Gedeon Guardiola: Einen direkten Initiator kann ich gar nicht nennen. Abwehrarbeit ist in Spanien eine Kultur, die schon kleine Kinder lernen. Wir versuchen, kompakt zu stehen und die Gegner zu Fehlern zu verleiten. Wir spekulieren, blockieren und provozieren. So können wir viele Bälle klauen. Das deutsche Abwehrsystem ist eher auf 1:1-Situationen ausgelegt. In Spanien versuchen wir, mehr zu antizipieren. Wir schauen immer voraus, welche Intention hinter dem nächsten Spielzug des Gegners stehen könnte.

Spanien steht auch für ein exzellentes Kreisläuferspiel. Ist das in der Heimat angekommen, dass Sie in Lemgo inzwischen auch wieder vorne spielen?

Gedeon Guardiola: Die Option, mit dem Kreis zu spielen, ist in Spanien ähnlich verankert wie das Abwehrsystem. Wir arbeiten gerne mit kräftigen Kreisläufern mit großen Händen, die den Ball kontrollieren. Wir spielen viel im 2:2, wo der Kreisläufer mehr arbeiten muss.

Die Auslosung ist anspruchsvoll. Mit welchen Erwartungen fliegen Sie nach Japan?

Gedeon Guardiola: Ein Olympiaturnier mit Spielen im Zwei-Tages-Rhythmus ist nicht einfach. Das deutsche Niveau zum Auftakt kennen wir gut. Etwas überrascht war ich von der Absage von Fabian Wiede, denn er ist der beste Entscheidungsspieler im Team. Die Südamerikaner Brasilien und Argentinien sind in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Viele Spieler leben inzwischen in Europa. Im vergangenen Jahr haben wir gegen Brasilien unentschieden gespielt. Das ist eine schwierige Mannschaft. Und über Frankreich und Norwegen müssen wir nicht reden. Wir kennen uns sehr gut. Das wird richtig, richtig schwer. Doch mit guter Laune und Überzeugung wollen wir von Spiel zu Spiel gehen. Alle aus meiner Generation wünschen sich, das Finale zu spielen.

Und nach Tokio ist dann die internationale Karriere beendet?

Gedeon Guardiola: Da muss ich erst mit unserem Trainer Jordi Ribera drüber sprechen. Wenn er möchte, dass ich noch bleibe, würde ich darüber nachdenken. Vorausgesetzt natürlich, ich halte mein Niveau.

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