Blomberg. Unruhige Tage rund um die Sporthalle an der Ulmenallee: Obwohl Chef-Coach Steffen Birkner (42) am Dienstag mit der Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs wieder für etwas Normalität bei der HSG Blomberg-Lippe gesorgt hat, werfen die Geschehnisse um Ex-Trainer André Fuhr weiter einen großen Schatten auf den Frauenhandball-Bundesligisten. Fuhr (51) soll – wie mehrfach berichtet – über Jahre hinweg Spielerinnen gedemütigt und gestalkt haben. 2018 verließ er die HSG, 16 seiner insgesamt 20 Jahre als Bundesliga-Trainer zeichnete er in Blomberg verantwortlich. Ebenfalls in der Kritik steht Manager Torben Kietsch (40), der seit 2010 mit einem Jahr Unterbrechung bei den Blombergern die Geschäfte leitet. Schwere Vorwürfe gegen Fuhr hatte die ehemalige Spielerin Anja Ernsberger (2010 bis 2012 bei der HSG) bereits vergangene Woche im LZ-Gespräch erhoben. In einem WDR-Bericht, der am Montag im Fernsehen lief, legte die 33-Jährige noch mal nach: „Es gab wenige, die nahe an der Mannschaft waren. Die Machtkonzentration von Herrn Fuhr war sehr hoch, als Trainer, Sportlicher Leiter und Verantwortlicher für das Handball-Internat. Dann ist es schwer, Gehör zu finden." Ex-Spielerin Jolanda Bombis-Robben (38, 2006/2007 bei der HSG) antwortete im Studio auf die Frage, ob die Funktionäre davon wussten, mit „definitiv". Sie seien ihrer Fürsorgepflicht nicht gerecht geworden. Stammvereine halten sich zurück TV Herrentrup und TV Blomberg sind die Stammvereine der HSG. Lars Peter Krusch, Vorsitzender des TV Blomberg, äußerte sich auf LZ-Anfrage zurückhaltend: „Mit dem Profibereich haben wir nichts zu tun. Wir schließen uns den jüngsten Statements der HSG an, darauf habe ich mich mit meinem Kollegen Marco Dux vom TV Herrentrup verständigt." Die HSG hatte mitgeteilt: „Wir sind schockiert über die seelische Gewalt, die ehemalige Spielerinnen in Blomberg augenscheinlich erfahren haben und bis heute unter diesen Eindrücken leiden. Wir nehmen die geäußerte Kritik und die Vorwürfe sehr ernst, zumal wir jegliche Form der Gewalt entschieden und ausnahmslos ablehnen. Sportliche Erfolge dürfen keinen Trainer von mutmaßlichem Fehlverhalten freisprechen. Seelische und körperliche Gesundheit stehen über allem." Und weiter: „Es macht uns betroffen (...)." Zuletzt hieß es von der Ulmenallee: Mit Blick auf die Gesamtgemengelage müsse der Verein „auf verschiedenen Ebenen sachliche Konsequenzen ziehen". Viele Diskussionen Auf Unverständnis stößt bei vielen die Reaktion von HSG-Geschäftsführer Torben Kietsch im Spiegel. Dem hatte er laut dessen Bericht geschrieben, dass die Vorwürfe Fuhr „nach unseren Erfahrungen in der Ganzheitlichkeit nicht gerecht" werden. „Das bedeutet ja auch, dass er davon wusste", stellen mehrere Beobachter fest, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Andere fragen sich: „Was ist schlimmer: Kietsch hat als Fuhrs Vorgesetzter nichts davon mitbekommen oder er hat davon gewusst und nicht gehandelt?" Anja Ernsberger berichtete gegenüber der LZ von Gesprächen in der Geschäftsstelle, in denen sie beleidigt und beschimpft worden sei – bis zum Weinen. Teilgenommen hätten Fuhr und Kietsch: „Wenn Herr Kietsch davon nichts mitbekommen hat, muss er taub und blind sein." Ein weiterer Kritikpunkt: fehlende Empathie mit den Opfern, „wir vermissen in den Statements eine Entschuldigung." Ein ehemaliger Wegbegleiter von Fuhr in Blomberg findet es „schlimm, wie eine Person so niedergemacht werden kann. Als Verein hätte ich mich gar nicht dazu geäußert, diese Reaktion war schwach. André Fuhr leistete super Arbeit in Blomberg, er ist nicht die Person, die da dargestellt wird." Eine ehemalige HSG-Spielerin und -Trainerin sagt: „Ja, der Ton war rau. Ich habe mir diese Dinge aber nicht zu Herzen genommen." Die Reaktion von Sponsoren „Erschüttert und sehr betroffen" zeigen sich Phoenix Contact und die Lippische Landesbrandversicherung angesichts der Vorwürfe. Ihr finanzielles Engagement stehe aber nicht zur Disposition, antworten die beiden Haupt-Förderer der HSG auf die LZ-Anfrage. Phoenix-Sprecherin Eva von der Wepper erklärt: „Mit dem Sponsoring der HSG unterstützen wir insbesondere die Nachwuchsförderung und legen ein Bekenntnis zu unserem Standort und zur Region ab. Das Sponsoring jetzt zu kürzen oder ganz auf zugeben, ginge vorrangig zu Lasten der aktuellen Spielerinnen und der Nachwuchsförderung, so dass wir dies derzeit nicht planen." Sven Limberg, Sprecher der Lippischen, sagt: „Den im Artikel beschriebenen Umgang mit (jungen) Menschen – aus einer Macht- und Abhängigkeitsposition heraus – lehnen wir entschieden ab und verurteilen diesen." Vor allem im Bereich Nachwuchsförderung im Leistungssport müsse die Sicherheit und das physische wie psychische Wohlergehen der Sportlerinnen und Sportler oberste Priorität haben. Deshalb sollten bestehende Strukturen verändert werden, die Spielerinnen müssten bei Sorgen und Nöten eine unabhängige Anlaufstelle haben. Von der Weppen erklärt, man stehe in Kontakt mit der HSG-Geschäftsführung und habe diese aufgefordert, Strukturen zu etablieren, „die sicherstellen, dass sich solche Geschehnisse nicht wiederholen". Personelle Konsequenzen fordern die Sponsoren nicht – noch nicht. Man sei nicht in der Position, direkten Einfluss auf Personalien innerhalb des Vereins zu nehmen, sind sich beide Firmen einig. Aber: „Wir erwarten, dass im Zuge einer transparenten Aufarbeitung alle Fakten auf den Tisch kommen. Werden die erhobenen Vorwürfe hierdurch bestätigt, müssen sich die handelnden Personen selbstverständlich ihrer Verantwortung stellen", wird Limberg deutlich. Dialog mit dem Bundesliga-Team Während Malina Marie Michalczik (Fingerverletzung) nicht mehr bei der Nationalmannschaft weilt und sich am Donnerstag von HSG-Arzt Dr. Titus Bertolini untersuchen ließ, rückte Alexia Hauf nach. Sie flog am Dienstag nach Ungarn, um an der Euro in Slowenien, Nordmazedonien und Montenegro (vom 4. bis 20. November) teilzunehmen. Bundestrainer Gaugisch reagierte damit auf den Ausfall der Bietigheimerin Antje Döll (Knieverletzung). Beim 29:29 gegen Rumänien feierte die 24 Jahre alte Linksaußen von der HSG ihr Nationalmannschafts-Debüt. Und ihren ersten Wurf verwandelte Hauf direkt sicher zum 11:11 (21.), zwei weitere Tore ließ sie folgen. Nach zwölf Tagen Pause bat Trainer Steffen Birkner am Dienstag gleich zu zwei Trainingseinheiten. Neben Michalczik und Hauf fehlten auch Lisa Frey (mit der Schweiz bei der Euro) und Spielführerin Laura Rüffieux (Erkältung). HSG-Geschäftsführer Torben Kietsch sprach kurz zur Mannschaft und berichtete, dass der Verein derzeit Tools entwickle, damit die Dinge – wie unter André Fuhr – in Zukunft nicht mehr passieren. „Die Türen stehen immer offen für Gespräche", betonte Birkner, der den Spielerinnen klar machte: „Wichtig ist, dass wir uns auf die sportlichen Dinge konzentrieren." Erfreulich: Stefanie Kaiser konnte nach ihrem Nasenbeinbruch wieder mit einer Maske trainieren.