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515 Euro Mindestlohn für Azubis im ersten Lehrjahr

Andrea Frühauf und Günther M. Wiedemann

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Symbolbild Handwerk - © Pixabay
Symbolbild Handwerk (© Pixabay)

Berlin. Auszubildende sollen von 2020 an im ersten Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung von 515 Euro pro Monat erhalten. In den Folgejahren soll sich die Mindestausbildungsvergütung weiter erhöhen - im Jahr 2021 auf 550 Euro, 2022 auf 585 Euro und ab 2023 auf 620 Euro. Im zweiten und dritten Lehrjahr sind ebenfalls Erhöhungen geplant. Die entsprechende Reform des Berufsbildungsgesetzes von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) soll an diesem Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden.

Damit muss mindestens jeder fünfte Handwerksbetrieb damit rechnen, dass er von Januar an seinen Lehrlingen eine höhere Vergütung zu zahlen hat. Das ergibt sich aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung und dem Plan der Großen Koalition, eine gesetzliche Mindest-Ausbildungsvergütung (MAV) einzuführen. Die ist zentraler Baustein der Novelle zum Berufsbildungsgesetz, welche das Kabinett am Mittwoch verabschieden will.

Lehrlingen Wertschätzung entgegenbringen

Bildungsministerin Anja Karliczek: „Wir möchten Auszubildenden Wertschätzung entgegenbringen: Sie packen im Betrieb mit an, während sie gleichzeitig noch lernen." Mit ihrem ursprünglichen Plan von monatlich 504 Euro im ersten Ausbildungsjahr ist sie auf scharfe Kritik beim Koalitionspartner SPD und den Gewerkschaften gestoßen. Beide fordern eine höhere Vergütung. Deshalb hat die CDU-Politikerin DGB und Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) um einen gemeinsamen Vorschlag gebeten.

Die Spitzenverbände der Tarifparteien haben der Ministerin kürzlich nach Informationen der Neuen Westfälischen 515 Euro für das erste Lehrjahr vorgeschlagen. Tarifliche Ausnahmen nach unten sollen möglich sein. Mit jedem weiteren Lehrjahr erhöht sich die Vergütung um 100 Euro monatlich. Bis 2023 soll die Bezahlung im ersten Ausbildungsjahr auf 620 Euro steigen.Dann wäre in etwa die Ausgangsforderung der Gewerkschaften erreicht. Die nehmen jetzt zum Start eine geringe Bezahlung hin, weil sie damit die BDA, eigentlich ein Gegner gesetzlicher Mindestlöhne, ins Boot geholt haben.

Die Arbeitgeber haben sich auf den gemeinsamen Vorschlag eingelassen, weil sie durchsetzen konnten, dass im Gesetz ein tariflicher Vorbehalt steht und Erhöhungen nach 2023 sich nach der Entwicklung der Tarife richten. Trotz dieser aus BDA-Sicht positiven Änderungen um ursprünglichen Gesetzentwurf stehen große Teile des Handwerks dem Azubi-Mindestlohn ablehnend gegenüber.

460 Euro derzeit bundesweit für angehende Friseure im ersten Lehrjahr

Laut BiBB lagen die tariflichen Ausbildungsvergütungen 2018 im Schnitt bei 908 Euro. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) plagt „die große Sorge, dass eine solche Mindestausbildungsvergütung zu Lasten von Ausbildungsbereitschaft und Ausbildung geht". Eine bundesweit einheitliche Regelung würde zudem regionalen und gewerkebedingten Besonderheiten nicht gerecht.

Die Gewerkschaften machen eine andere Rechnung auf. Sie gehen davon aus, dass ein Azubi-Mindestlohn die berufliche Ausbildung attraktiver macht, also zu mehr Bewerbern (und weniger Studenten) führen kann. Vor allem dort, wo Lehrstellen unbesetzt bleiben; aus DGB-Sicht oft wegen zu geringer Vergütung, etwa 460 Euro für Friseur-Azubis im ersten Lehrjahr. 2018 blieben so viele Ausbildungsplätze unbesetzt wie noch nie, nämlich 58.000.DGB-Vize Elke Hannack ist auch davon überzeugt, dass die Abbrecherquote sinken wird, wenn Betriebe besser bezahlen.

Derzeit bricht fast jeder fünfte Azubis seine Ausbildung im ersten Jahr ab.Statistiker im Bundesinstitut bestätigen in einer Studie, „dass in einer Reihe von Ausbildungsberufen, in denen in den letzten Jahren besonders viele Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, die Vergütungen 2018 stark angehoben wurden". Sie haben auch festgestellt, dass seit einigen Jahren die Lehrlingsbezüge insgesamt ordentlich klettern (2018 im Schnitt um 3,7 Prozent), manchmal prozentual sogar stärker als die Gehälter von Beschäftigten.

Der Fachkräftemangel führt offenbar längst zu steigenden Lehrlings-Vergütungen und verteuert Ausbildung wesentlich stärker als ein Azubi-Mindestlohn. Von dem werden nach DGB-Schätzungen gerade mal gut 160.000 der rund 1,3 Millionen Auszubildenden profitieren – und das auch erst ab 630 Euro.

Gesetzlicher Mindestlohn hat nicht zu Jobabbau geführt

Die Debatte über eine gesetzliche Mindest-Ausbildungsmindestvergütung (MAV) ähnelt in weiten Teilen der Kontroverse vor einigen Jahren bei der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Der hat erkennbar nicht zum Abbau von Jobs geführt, was jedoch Gegner prophezeit hatten. Deshalb ist davon auszugehen, dass auch ein Mindestlohn für Azubis die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nicht nachhaltig beeinträchtigen wird. Dagegen spricht vor allem der demographisch bedingte Fachkräftemangel.

Mit der Reform werde erstmals in Deutschland eine gesetzliche Untergrenze für die Vergütung von Auszubildenden festgeschrieben - analog zum gesetzlichen Mindestlohn. Umstritten war in der Regierung bis zuletzt die Höhe der Zahlungen. „Die festgesetzte Höhe der Mindestausbildungsvergütung ist Anerkennung der Leistung der Auszubildenden im Betrieb. Anderseits muss aber auch sichergestellt sein, dass die Motivation der Betriebe erhalten bleibt, Ausbildungsplätze anzubieten", hieß es laut dem Bericht dazu aus dem Ministerium.

In OWL weit weniger Betriebe betroffen

„In OWL werden nicht 20 Prozent der Handwerksbetriebe betroffen sein und höhere Vergütungen zahlen müssen", sagt Jürgen Sautmann Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bielefeld. Er schätzt den Anteil allenfalls auf 5 bis zehn Prozent. Nach seinen Vermutungen drücken die niedrigeren Vergütungen im Osten die bundesweiten Durchschnittswerte.

In OWL erhalten die Baugewerke schon im ersten Lehrjahr 850 Euro, wie auch Carl-Christian Goll, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe, betont. Weitere Beispiele in OWL: Maler (620 Euro), Metall (660 Euro), Sanitär (690 Euro), Gebäudereiniger (725 Euro), Bäcker (695 Euro) Friseur (510 Euro), aber „im Sommer gibt es Tarifverhandlungen und damit höhere Vergütungen". Sautmann warnt: „Betroffen sind kleinere Berufe. Für die wird es womöglich schwieriger, die Mindest-Vergütung zu finanzieren."

„Die Festlegung der Ausbildungsvergütungen ist Kernaufgabe der Tarifvertragsparteien, die auch die branchenspezifischen und regionalen Besonderheiten berücksichtigen. Jede gesetzliche Regelung muss das berücksichtigen und darf nicht zu einer strukturellen Schwächung des Ausbildungsengagements führen", betont Lena Strothmann, Präsidentin der Handwerkskammer OWL.

Goll und Sautmann kritisieren wie der ZDH den „Eingriff in die Tarifautonomie". Goll: „Die Politik weiß am wenigsten, was in der Branche los ist." Bei der Berufswahl spielten auch andere Punkte eine Rolle – etwa Kreativität, sicherer Arbeitsplatz, räumliche Nähe, Mobilität.

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