Bielefeld. Der Hauptverdächtige im Missbrauchsfall Lügde hatte ein Pflegekind, das mit ihm dauerhaft auf einem Campingplatz lebte und ebenfalls zum Opfer wurde. Wie kann das sein? Wir erklären, wie die Vermittlung von Pflegekindern funktioniert.
Wer darf Pflegefamilie werden?
Ob es sich bei der Pflegefamilie um ein verheiratetes oder unverheiratetes Paar oder eine alleinstehende Person handelt, ist nicht ausschlaggebend. Die Ämter achten aber darauf, dass der Altersabstand zwischen Kind und Pflegeeltern nicht zu groß ist, eine ständige Bezugsperson vorhanden ist, die Pflegeeltern gesund sind und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Darüber hinaus muss die Lebenssituation gesichert und ausreichend Wohnraum vorhanden sein.
Wer vermittelt Pflegekinder an die Familien?
Generell sind die Jugendämter zuständig. Es können aber auch freie Träger über Vermittlungsstellen Pflegekinder und Familien zusammenbringen.
Was passiert nach dem ersten Kontakt?
„Das macht jedes Jugendamt anders. Manche besuchen die Eltern zu hause, andere laden ins Jugendamt ein", sagt Sylvia Olbrich, Vorsitzende des NRW-Landesverbands für Pflege- und Adoptivfamilien (PAN). Ein Vorbereitungsseminar sei allerdings überall verpflichtend. In Bielefeld findet nach den Gesprächen und einer Schulung ein weiteres Auswertungsgespräch statt. Verläuft dieses positiv, kommt ein Pflegeverhältnis zustande. „Allerdings passiert die Vermittlung nicht sofort. Bis dahin können einige Monate vergehen", sagt Christiane Amedick vom Jugendamt Bielefeld.
Danach sei ein stetiger, vertrauensvoller Kontakt zwischen Pflegeeltern und Jugendamt wichtig. „Die Begleitung muss von der ersten Minute an kontinuierlich fortbestehen", erklärt Johannes Schmidt vom Vorstand des Kinderschutzbundes Niedersachsen. Darüber hinaus müssten die Sachbearbeiter „ein gutes Verhältnis zu den Kindern haben, damit diese sich jemandem anvertrauen können."Wie viel Geld gibt es für die Aufnahme eines Kindes?
Der Anspruch auf ein Pflegegeld ist im achten Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfegesetz, geregelt. Das Pflegegeld besteht aus einem Betrag zur Deckung der Unterhaltskosten und einem Erziehungsgeld. Es variiert je nach Alter der Pflegekinder – je älter das Kind ist, desto höher fällt das Pflegegeld aus, das etwa zwischen 700 bis 900 Euro monatlich liegt.
Kann es sein, dass Menschen nur des Geldes wegen ein Pflegekind aufnehmen?
Amedick: „Ich würde das nicht ausschließen, dass sich mal jemand telefonisch bei mir meldet. Aber bei jenen, die letztlich an den Gesprächen teilnehmen, ist das nicht der Fall. Das würden wir mitbekommen."
Was lief schief in Lügde?
„Es ist für mich völlig unvorstellbar, dass ein Kind auf einem Dauercampingplatz untergebracht wurde", sagt Olbrich. Das Problem sei, dass der Elternwille über dem Kindeswohl stehe. In dem Fall befürwortete die Mutter des Mädchens eine Unterbringung bei dem Mann. Es greift die sogenannte Netzwerkpflege. Johannes Schmidt vom Kinderschutzbund sieht mangelnde Transparenz für mitursächlich: „Wir müssen aufhören, Lebensräume zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, die nicht mehr einsehbar sind."
Was muss sich ändern?
Schmidt fordert eine „Supervision für Pflegefamilien": „Der Fall Lügde wird große Auswirkungen auf die Standards haben", sagt Schmidt. Die Grundausbildung für Pflegefamilien sei überholt. Gleichzeitig plädiert er für standardisierte Weiterqualifizierungen.
Sylvia Olbrich, die für die Pflege- und Adoptivfamilien in NRW spricht, mahnt, dass auch bei der Verwandten- und Netzwerkpflege noch genauere Überprüfungen als bisher durchgeführt werden müssen. Sie hofft nun auf bessere personelle und finanzielle Bedingungen der Jugendämter, damit weniger Fälle pro Sachbearbeiter anfallen. Zudem müssten Vereinheitlichungen und standardisierte Rahmenbedingungen vorangetrieben werden. Es gebe in Deutschland mehr als 560 Jugendämter und „jedes kocht sein eigenes Süppchen".