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Politik fehlt Führung

Die Welt ist in Unordnung, auch die deutsche Welt. Parteien, die seit Jahrzehnten die stabile Mitte dieser Demokratie sind, tun sich schwer, die Absetzbewegung der Wähler zu den Rändern zu stoppen.

Thomas Seim

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Unterzeichnung des Koalitionsvertrages Ende 2021: Kanzler Olaf Scholz (Mitte), Wirtschaftsminister Robert Habeck (r.) und Finanzminister Christian Lindner müssen erklären, was die Schlagzeile ihres Koalitionsvertrages – „Mehr Fortschritt wagen“ – konkret bedeutet. - © picture alliance / Flashpic
Unterzeichnung des Koalitionsvertrages Ende 2021: Kanzler Olaf Scholz (Mitte), Wirtschaftsminister Robert Habeck (r.) und Finanzminister Christian Lindner müssen erklären, was die Schlagzeile ihres Koalitionsvertrages – „Mehr Fortschritt wagen“ – konkret bedeutet. (© picture alliance / Flashpic)

Die Welt ist in Unordnung, auch die deutsche Welt. Oder gerade die, denn anders ist es kaum zu erklären, dass die Parteien, die seit Jahrzehnten die stabile Mitte dieser Demokratie sind, sich schwertun, die Absetzbewegung der Wähler zu den Rändern anzuhalten. Zwar versammelt die Ampel in Umfragen noch immer eine relative Mehrheit hinter sich. Aber eine eigenständige absolute Mehrheit hat sie nicht mehr; und eine alternative Mehrheit etwa unter Führung der Union ist ebenfalls nicht in Sicht. Stattdessen wächst der Teil der Unzufriedenen auf beiden Seiten, die schlichte rechte oder linke Lösungen suchen.

Der Politik im Land fehlt eine ordnende Hand. Diesen Vorhalt muss sich die Ampel machen lassen, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz; denn dafür ist er verantwortlich. Selbst wenn man geneigt ist, die Entscheidungen der Bundesregierung zum Ukraine-Krieg, im Nahost-Konflikt, gegen die Wirtschaftskrise, für einen ausgeglichenen Haushalt oder für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft als richtige Ziele zu akzeptieren: Es fehlt eine klare, für die Bürger nachvollziehbare Richtung der Politik.

Sie vorzugeben ist in einer multimedialen Gesellschaft sicher schwieriger als früher. Willy Brandt und Helmut Kohl konnten hinter den Schlagzeilen „Mehr Demokratie wagen“ und „Geistig-moralische Wende“ leise und pragmatisch sachgerechte Lösungen für nationale und internationale Herausforderungen organisieren. Das reicht heute nicht. Umso wichtiger ist es, dass entscheidende Köpfe dieser Ampel – allen voran der Kanzler, aber auch Vizekanzler und Finanzminister – erklären, was die Schlagzeile ihres Koalitionsvertrages – „Mehr Fortschritt wagen“ – konkret bedeutet und welches Zukunftsversprechen der Demokratie damit verbunden ist. Politik braucht Vermittlung. Menschen brauchen Erklärungen.

Vizekanzler Robert Habeck hat mit seinem Video-Auftritt zum Nahost-Konflikt angedeutet, wie man aus hektischer Außenpolitik politische Grundsätze herleiten kann. Mindestens im Blick auf die Gespräche des Kanzlers mit den Unionsspitzen Friedrich Merz und Alexander Dobrindt über die Migrations- und Asylpolitik – aber auch in vielen bislang ungelösten Haushaltsfragen – muss Olaf Scholz zeigen, ob er solche Führung auch liefern kann. Und für den liberalen Finanzminister Christian Lindner sind alte Thesen zur Schuldenbremse allein noch kein Beleg politischer Fähigkeit.

Die – noch – stabile Mitte muss deutlicher als bisher machen, wie sie das friedliche Zusammenleben im Land im Wohlstand sichern will. Nur dann finden die Menschen die Welt wieder in Ordnung – mindestens die deutsche.

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