„Keine AfD light“: Warum dieser Ex-FDP-Mann zum Bündnis Sahra Wagenknecht wechselt

Düsseldorf. Die Pressekonferenz Mitte Februar läuft ein paar Minuten, da gibt Hendrik Wüst ganz den Staatsmann. Er teile die Auffassung, dass demokratische Parteien im Gespräch bleiben müssten, sagt Wüst. &bdquo;Wir müssen über die Grenzen politischer Lager hinweg Brücken bauen.“ Auf die Frage, ob dies auch für Gespräche und eine Zusammenarbeit mit der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gelte, fasst sich Wüst kurz. &bdquo;Nein“, sagt er nach einem Moment des Zögerns. &bdquo;Ich glaube nicht, dass es klug ist, da über Brückenbau wohin auch immer zu reden.“ In dem wichtigen Wahljahr 2024 schließen Teile der CDU also eine Zusammenarbeit mit gleich drei Parteien aus: AfD, Linke und BSW.

Auffallend ist dieser Tage, dass CDU-Mitglieder bereits eine klare Meinung zur erst frisch gegründeten Partei von Sahra Wagenknecht zu haben scheinen. &bdquo;Wer bei der Europawahl BSW oder AfD wählt, der wählt Putins deutsche Fußtruppen“, äußerte sich der Chef des Sozialflügels in der CDU, Dennis Radtke, kürzlich. Und CDU-Urgestein Elmar Brok aus Bielefeld warnte: AfD oder BSW in der Regierung werde den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten. &bdquo;Wir müssen sie inhaltlich stellen, das gilt für beide“, fordert Brok. An diesem Punkt seien AfD und BSW &bdquo;ein und dasselbe“.

Stefan Grüll zeigt sich nachdenklich, wenn er davon hört. Der gebürtige Bonner, der seit 2008 in Berlin lebt, gehört zu den 400 BSW-Erstmitgliedern. Von 2000 bis 2005 saß Grüll im Landtag von NRW – für die FDP. Er galt als enger Vertrauter von Jürgen Möllemann. Nicht er, sondern die FDP, sagt er, habe die liberalen Koordinaten verlassen. &bdquo;In der Pandemie hat sie als Bürgerrechtspartei versagt und in der Ampel verrät sie die soziale Marktwirtschaft. Als ehemals treibende Kraft internationaler Verständigung ist sie in diesen Kriegszeiten außenpolitisch ein Totalausfall.“

Stefan Grüll: BSW ist keine AfD light Doch warum jetzt ausgerechnet BSW? Es werde eine liberale Partei der progressiven Mitte gebraucht, die sich von &bdquo;links und rechts löst“, um mit Vernunft und Pragmatismus Antworten für die gewaltigen Probleme des Landes zu entwickeln. &bdquo;Gedankliche Freiheit im besten dialektischen Sinne“, nennt das Grüll. Das klassische Lagerdenken sei nicht zielführend und öde ihn an. Wagenknecht zeichne das Bild einer solchen Partei der Freiheit, die &bdquo;urliberale Ansätze“ verfolge.

Ihn reize, dass sich im BSW nicht nur ehemalige Linke zusammenfinden würden, sondern Demokraten aus verschiedensten Milieus. &bdquo;Ich erwarte maximale Offenheit im innerparteilichen Diskurs mit Respekt vor anderer Meinung und nicht das Abarbeiten eines Parteiprogramms, das bis zum letzten Spiegelstrich durchdekliniert wird“, so Grüll. &bdquo;Die Frage wird sein, ob Mitglieder wie ich, die eine ganz andere Historie haben, wirklich willkommen sind.“

Politikwissenschaftler Martin Florack, der Leiter des &bdquo;Wissenschaftscampus NRW“ ist, hält es nicht für zielführend, schon jetzt politische Vorfestlegungen zu treffen, ohne zu wissen, was das BSW konkret aufbieten werde. Es sei falsch, das BSW unmittelbar auf die Linke und AfD zu verengen, so Florack. Auch der Blickwinkel sei entscheidend. In NRW sei die parteipolitische Lage eine andere als zum Beispiel in Thüringen. &bdquo;Dort wird eine Regierung ohne AfD oder Linke vermutlich gar nicht möglich sein. Das ist in NRW anders“, so Florack.

Wer dieser Tage vom BSW spricht, spricht meist über eine Person: Sahra Wagenknecht. Im Gegensatz zu Politikern anderer Parteien begrüßt Grüll ausdrücklich, dass Sahra Wagenknecht den Namen der Partei prägt. &bdquo;Das ist für mich kein Personenkult. Das ist ein Versprechen, an dem sich BSW ab jetzt messen lassen muss.“ Wenn es der Partei gelinge, dies umzusetzen – also den Respekt vor der anderen Meinung zuzulassen und keine Linke 2.0 zu werden – dann werde BSW auch die Menschen ansprechen, die sich derzeit von den demokratischen Parteien abwenden, aber die zugleich nichts mit der AfD zu tun haben wollen, zeigt sich Grüll überzeugt. &bdquo;Das ist die Stabilisierung der Demokratie, für die auch Hendrik Wüst streitet, an der aber alle etablierten Parteien bisher gescheitert sind, wie die konstant hohen Zustimmungswerte für die AfD zeigen.“

BSW will Wähler erreichen, die sich von den etablierten Parteien abwenden Grüll betont, dass er sich vor dem Eintritt sehr intensiv mit dem BSW beschäftigt – und die Partei wiederum seinen Beitritt intensiv geprüft habe. &bdquo;Wer im BSW eine AfD light zu erkennen glaubt, hat entweder nicht genau genug hingesehen oder verunglimpft aus Angst vor der Stärke der neuen Konkurrenz“, sagt er entschieden. Beispielsweise die Forderung nach geregelter Migration sei schon in den 80er Jahren Kernforderung der FDP gewesen. &bdquo;Migration muss geregelt werden, auch um das Asylrecht für wirklich Verfolgte zu erhalten. Was ist daran AfD? Nichts. Das ist kraftvoll gelebte Verfassung.“

Und was ist mit Putin und Russland? Mit Waffenlieferungen für die Ukraine? Vor allem Wagenknecht löst mit Forderungen nach einem Ende der Waffenlieferungen derzeit immer wieder Empörung aus. Dazu sagt Grüll: &bdquo;Das Sterben muss aufhören. Erst ein Waffenstillstand, dann Friedensverhandlungen. Wir müssen doch endlich an den Tag danach denken. Also dringend mehr von dem Geist eines Hans-Dietrich Genscher und deutlich weniger Strack-Zimmermann.“ An diesem Punkt sei er &bdquo;ganz bei Wagenknecht“, sagt er und ergänzt: &bdquo;Ich mache die unhistorische Formel Russland gleich Putin nicht mit; wie auch Ukraine und Selenskyj glücklicherweise keine Synonyme sind.“ BSW als &bdquo;Putinversteher“ zu diskreditieren, bringe jetzt noch ein paar Schlagzeilen, glaubt Grüll. Die Wähler aber, die sich Sorgen um die Zukunft Deutschlands machten und Angst vor unkalkulierbarer Eskalation hätten, seien damit nicht zu beeindrucken.

Auf die junge Partei BSW wartet viel Arbeit Doch zunächst muss sich das BSW intern sammeln und finden. Wie groß die Offenheit in der Partei für andere Meinungen und andere Lebensläufe tatsächlich sein wird, muss sich zeigen. Für Grüll ist das eine Frage politischer Weitsicht: &bdquo;BSW als Partei der progressiven Mitte, nicht ideologisch vernagelt, sondern lösungsorientiert verlässlich, wird ohne Frage ein begehrter Koalitionspartner werden. Umworben natürlich auch von Hendrik Wüst; in NRW oder vielleicht ja sogar im Bund!“

Auf die junge Partei BSW wartet mit Blick auf die Europawahl im Juni viel Arbeit. Vielleicht wird das Projekt am Ende nicht nur für Grüll eine Enttäuschung – vielleicht aber auch nicht. Das könnten schon die nächsten Monate zeigen.

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