Vollzeitbeschäftigten droht auch nach 45 Arbeitsjahren Altersarmut

Berlin/Bielefeld. Altersarmut ist in Deutschland ein zunehmendes Problem. Inzwischen gilt fast jeder fünfte Bürger über 65 Jahre als armutsgefährdet. Und das, obwohl viele von ihnen langjährig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Nachfolgenden Generationen bereitet das Sorgen, denn die Möglichkeiten zusätzlicher Altersvorsorge sind begrenzt. Neue Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass die Sorgen berechtigt sind, denn vielen heutigen Arbeitnehmern droht im Alter Armut – auch Vollzeitbeschäftigten.

40 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland verdienen nach Angaben der Bundesregierung im Monat weniger als 3.500 Euro brutto. Damit liegen insgesamt 9,2 Millionen Erwerbstätige trotz Vollzeitjob unter der Schwelle, die ungefähr nötig ist, um eine gesetzliche Rente an der Armutsgrenze zu erhalten. In der EU gelten Bürger nach Angaben des Statistischen Bundesamtes als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. In Deutschland liegt der Wert 2024 bei 1.378 Euro netto pro Monat für alleinlebende Menschen, bei 2.071 Euro für zwei Erwachsene und bei 2.983 Euro für Haushalte mit zwei Erwachsenen mit zwei Kindern unter 14 Jahren.

Entspannt zurücklehnen können sich mit Blick auf den Ruhestand jedoch auch Durchschnittsverdiener in Deutschland nicht. Das zeigt folgende Rechnung mit einem Jahresbruttoverdienst von 43.142 Euro: Davon bleibt monatlich ein Nettoeinkommen von 2.669 Euro und nach 45 Arbeitsjahren eine Nettorente von 1.496 Euro. &bdquo;Damit fehlt dem Rentner Monat für Monat 1.172 Euro an Nettoeinkommen, im Vergleich zu dem Einkommen aus seiner Tätigkeit“, erklärt Wolfgang Diembeck, Sprecher der Interessengemeinschaft Altersvorsorge in OWL. &bdquo;Und selbst dann, wenn man der Theorie folgt, dass etwa 80 Prozent des letzten Nettoverdienstes als Einkommen für Rentner ausreicht, fehlen jeden Monat immer noch 700 Euro.“

Hohe Rentenabzüge durch Kranken- und Pflegeversicherung Viele Arbeitnehmer wissen jedoch nicht, wie hoch ihre Rente ausfallen wird, obwohl die Deutsche Rentenversicherung jährlich Renteninformationen an alle Versicherten verschickt, die mindestens fünf Jahre eingezahlt haben. &bdquo;Darin wird über den aktuellen Stand der Rente und künftige Rentenansprüche informiert. Nicht aber über die Abzüge der Kranken- und Pflegeversicherung“, erklärt Diembeck. &bdquo;Es gibt hohe Abzüge. 2024 waren es 16,3 Prozent Krankenversicherung und 3,4 Prozent Pflegeversicherung.“ Allein diese beiden Posten kosten den Durchschnittsverdiener mit einer monatlichen Bruttorente von 1.829 Euro jeden Monat 333 Euro.

Zudem müssen auch Rentner Steuern zahlen und die Steuerpflicht beginnt bereits bei einer Bruttomonatsrente von 1.378 Euro. &bdquo;Am Finanzamt führt auch im Ruhestand oft kein Weg vorbei, denn von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Rentner, die eine Steuererklärung abgeben müssen, weil jede Rentenerhöhung in die Besteuerung fließt“, erklärt Diembeck. &bdquo;Dadurch können auch Rentner in die Steuerpflicht rutschen, die zum Rentenbeginn noch keine Steuern zahlen mussten.“

Rentenniveau von 48 Prozent bezieht sich auf den Nettolohn All das sorgt nach Angaben Diembecks dafür, dass viele Menschen von der tatsächlichen Höhe ihrer Rente überrascht werden. &bdquo;Hinzu kommt, dass viele Menschen davon ausgehen, dass sie als Rentner 48 Prozent ihres letzten Bruttolohns erhalten, weil die Bundesregierung verspricht, das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent zu halten. Das ist aber nicht der Fall, weil sich das Rentenniveau auf den Nettolohn bezieht.“ Deshalb bedeute auch ein gesichertes Rentenniveau von 48 Prozent nicht, dass Arbeitnehmer abgesichert in Rente gehen können, sagt Diembeck. &bdquo;Oft wird dann erst zum Beginn des Ruhestands klar, dass die Rente nicht zum Leben reicht und die Zeit für zusätzliche Altersvorsorge längst verstrichen ist.“

Das zeigt, dass selbst Vollzeitbeschäftigten, die langjährig rentenversichert sind, also mindestens 35 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, im Alter Armut droht, wenn sie nicht zusätzlich vorsorgen. Von den aktuellen Rentnern haben viele zusätzlich vorgesorgt. Aus dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung geht hervor, dass die gesetzliche Rente nur 53 Prozent des Einkommens der Rentner ausmacht. Hinzu kommen Erwerbseinkommen, Betriebsrenten sowie private Altersvorsorge. Allerdings sind auch viele Rentner auf Transferleistungen wie Wohngeld angewiesen.

Altersvorsorge kann zum Minusgeschäft werden &bdquo;Nachfolgende Generationen können aber nicht mehr so einfach vorsorgen, weil die Möglichkeiten dafür immer begrenzter werden“, warnt Diembeck. Zum einen, weil die Lebenshaltungskosten massiv angestiegen seien, weshalb weniger Geld für die private Altersvorsorge zur Verfügung stehe. Zum anderen, weil sich die betriebliche Altersvorsorge durch hohe Besteuerung oft nicht mehr lohne. Das Beispiel der Direktversicherung zeigt das nach Angaben Diembecks eindrücklich, weil bei der Auszahlung von Betriebsrenten der volle Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig wird. &bdquo;So kann die Altersvorsorge zum Minusgeschäft werden.“ Trotzdem werben Arbeitgeber und Versicherungen nach wie vor damit, weshalb die Interessenvertretung vor unüberlegten Vertragsabschlüssen abrät.

Diembeck rät grundsätzlich dazu, so früh wie möglich mit der privaten Altersvorsorge zu beginnen. &bdquo;Auf die gesetzliche Rente darf man sich nicht verlassen.“ Das zeigt auch eine Auswertung zur durchschnittlichen Bruttorente. In Hamburg sowie in NRW sind die Renten im bundesweiten Vergleich am höchsten, doch innerhalb der Bundesländer bestehen große Unterschiede. In NRW schneiden die Rentner in OWL am schlechtesten ab.

Rentner in OWL erhalten in NRW die niedrigsten Leistungen Eine Auswertung des Statistischen Landesamtes IT NRW für das Jahr 2022 zeigt, dass die 4,6 Millionen Rentenbezieher pro Kopf pro Jahr durchschnittlich 16.300 Euro erhalten, also etwa 1.358 Euro pro Monat. Der Vergleich der 53 Kreise und kreisfreien Städte zeigt jedoch große Unterschiede. So erhalten Rentner in der Stadt Leverkusen mit einer Rente von 1.558 Euro pro Monat im Durchschnitt die höchsten Rentenleistungen in NRW pro Kopf. Darauf folgen der Kreis Mettmann (1.500 Euro) und der Rheinisch-Bergische Kreis (1.491 Euro). Die niedrigsten Leistungen erhalten die Rentner im Kreis Heinsberg (1.275 Euro) sowie in den Kreisen Höxter und Paderborn (jeweils 1.283 Euro).

In OWL liegen die Renten nach Angaben von IT NRW im Durchschnitt bei 1.333 Euro pro Monat, wobei die Rentner im Kreis Herford mit 1.375 Euro die höchsten Leistungen erhalten. Darauf folgen der Kreis Gütersloh (1.358 Euro), die Stadt Bielefeld (1.350 Euro), der Kreis Lippe (1.341 Euro), der Kreis Minden-Lübbecke (1.333 Euro) und die Kreise Paderborn und Höxter (jeweils 1.283 Euro).

Damit liegt OWL im Vergleich der fünf Regierungsbezirke in NRW an letzter Stelle. Im Regierungsbezirk Düsseldorf ist die Rente mit durchschnittlich 1.408 Euro pro Monat am höchsten. Darauf folgen die Regierungsbezirke Köln (1.383 Euro), Arnsberg (1.375 Euro), Münster (1.375 Euro) und OWL.

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