Tiefflieger, Hunger und eine mutige Geste: Helmuth Schmeißner über den Krieg in Lemgo

Lemgo. Der Zweite Weltkrieg ist seit mehr als 80 Jahren vorbei und auch die Menschen, die sich noch an diese Zeit erinnern können, werden immer weniger. Trotzdem haben sich in den vergangenen Monaten immer wieder Leser bei der LZ gemeldet, um ihre Erinnerungen an die Zeit der Naziherrschaft und des Krieges zu teilen. Einer von ihnen ist Helmuth Schmeißner aus Blomberg, der seine Kindheit in den Vierzigerjahren in Lemgo verbrachte.

&bdquo;Mein Vater hatte die Nazis so satt und er war froh, dass die Amis dann einmarschiert kamen“, erinnert sich Schmeißner an die Zeit, als der Krieg sein Ende fand. Zwar hat der damals neun Jahre alte Junge davon selber gar nicht so viel mitbekommen, doch einige Ereignisse sind ihm gut im Gedächtnis geblieben: Zum Beispiel die Gefechte, die kurz vor dem Ende der Kampfhandlungen um Lemgo stattfanden. Auch die Bombardierung von Bielefeld hat Schmeißner in Erinnerung behalten, weil die alliierten Flugzeuge über Lemgo in Richtung der Leineweberstadt flogen. &bdquo;Bei uns drehten die um und flogen immer wieder über Bielefeld“, erinnert sich Schmeißner, der selbst noch in das Visier der Flieger geraten sollte.

Tiefflieger in der Hamelner Straße Eines Tages überhören Schmeißer und ein Freund einen Fliegeralarm. Während die Jungen auf einem Bordstein sitzen, taucht plötzlich ein Tiefflieger auf. &bdquo;Aus südwestlicher Richtung fiel der ein in die Hamelner Straße. Der hat uns dann gesehen und die Bordkanone angestellt“, erinnert sich Schmeißner. Die großkalibrigen Geschosse schlagen um die Jungen herum auf das Kopfsteinpflaster. Viele der Kugeln prallen ab und durchschlagen die Eichentür eines Geschäfts in der Nähe. &bdquo;Es hörte sich furchtbar an und blitzte“, berichtet Schmeißner, der mit seinem Freund &bdquo;leichblass“ zurückbleibt. Als sich das Duo schließlich zum Schutzbunker wagt, bekommen beide Jungen eine saftige Ohrfeige und eine Predigt, bevor sie sich in Sicherheit bringen dürfen. &bdquo;Da wirst du auch noch bestraft für so was“, sagt Schmeißner.

Als die Amerikaner schließlich in Lemgo einmarschieren, ist sein Vater Paul begeistert und freut sich so sehr, dass er die Soldaten begrüßen will. &bdquo;V or dem Gemüsegeschäft Hummerjohann stehend empfing er die Truppen“, berichtet der heute 88-jährige Sohn. Das Geschäft befindet sich damals an der Ecke Kluskampstraße und Hamelner Straße. Die Amerikaner hatten bei ihrem Einmarsch in der Laubke Quartier bezogen. Der Weitermarsch führt sie durch die Stadt, zur Hamelner Straße und dann in Richtung Barntrup. &bdquo;Mein Vater, der war so frech, der wollte mich an die Hand nehmen und mit mir da hin“, erzählt der Rentner, der damals mit seinen Eltern in der Kluskampstraße wohnte. Seine Mutter verhindert aber, dass der Junge mitgeht. Das Rattern der Panzer ist in diesem Moment bereits zu hören: &bdquo;Ich durfte nicht mit und mein Vater stand da allein.“

Ehrerbietung für die Befreier Der erweist, laut seinem Sohn, den Soldaten mit den Händen in der Tasche die Ehre und verhält sich in diesem Moment auch generell defensiv. Offenbar aus der berechtigten Angst heraus, von den Amerikanern fälschlicherweise für einen Feind gehalten und erschossen zu werden. &bdquo;Meine Mutter war fix und fertig“, berichtet Schmeißner über den Tag des Kriegsendes, an dem die meisten Einheimischen den Alliierten vor allem mit Angst und Zurückhaltung begegnen. Mit der eher ungewöhnlichen Geste des Vaters konnten die Amerikaner offenbar aber nicht viel anfangen. &bdquo;Erst sind sie angehalten und haben sich den Mann angeguckt“, gibt er wieder, was sein Vater ihm erzählt hat. Doch schließlich zieht die Truppe einfach weiter. &bdquo;Geredet wurde dabei nicht, die wussten ja auch gar nicht, ob er englisch spricht“, sagt Schmeißner. Als sich die Geschichte rumspricht, sorgt das für Verstimmung in der Verwandtschaft. &bdquo;Die waren da nicht mit einverstanden.“ Schließlich habe sein Vater durch diese Aktion sein Leben gefährdet.

Doch warum war es dem Vater so wichtig, die Soldaten, die von einer überwältigenden Mehrheit der Deutschen als Feinde wahrgenommen wurden, willkommen zu heißen? &bdquo;Er hatte Ärger mit den Nazis. Er war immer dagegen und hatte auch mal den Mund zu voll genommen“, berichtet Schmeißner. Auf seiner Arbeitsstelle im Kondor-Werk, wo zu Kriegszeiten überwiegend Munitionskisten hergestellt wurden, habe der Vater sich Feinde gemacht, weil er regelmäßig über die Nazis schimpfte. Mit den Worten &bdquo;Hör mal Paul, wenn du so weiter redest, dann kann ich dich auch nicht mehr schützen“, habe sein Vorgesetzter dem Vater eine Warnung ausgesprochen.

Kommunistisch angehaucht Paul Schmeißner, der aus Plauen in Sachsen nach Lippe ausgewandert war, weil sein Job als Spitzenzeichner wegrationalisiert wurde, war in seiner Heimat Mitglied einer Turngemeinschaft, die &bdquo;kommunistisch angehaucht“ gewesen ist. In Lemgo arbeitete er dann in verschiedenen Industriezweigen, unter anderem im Kondorwerk und später als Drahtzieher. &bdquo;Das war schwere Arbeit“, berichtet Schmeißner. Wegen seines Alters von 56 Jahren im Jahr 1945 und seinem Kampfeinsatz im Ersten Weltkrieg wurde der Vater nicht zur Wehrmacht eingezogen. Auch seine Erfahrungen als Soldat an der Westfront haben ihn laut seinem Sohn zu einem überzeugten Kriegsgegner und Feind der Nazis gemacht.

Geht es um die Nachkriegszeit, erinnert sich der Rentner vor allem an den Hunger. &bdquo;Damals wurden Lebensmittelmarken eingeführt. Manches gab es gar nicht“, berichtet der Rentner, der seine Mutter häufig abends nach einem trockenen Stück Brot gefragt hat. &bdquo;Jetzt im Nachhinein kann man das gut erzählen“, sagt Schmeißner. Doch als Kind sei das alles nicht einfach für ihn gewesen. Lange habe es aber nicht gedauert, bis es wieder aufwärtsging.

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