250 Soldaten in einem Haus: So erreichten die amerikanischen Truppen vor 80 Jahren Lemgo

Lemgo. Von größeren Zerstörungen ist die Stadt Lemgo im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont geblieben, doch die Menschen bekamen den Krieg und seine Folgen dennoch zu spüren: Der Lemgoer Horst Wrenger hat das Kriegsende als Jugendlicher erlebt und auch den Einmarsch der amerikanischen Truppen hautnah mitbekommen - diese ließen sich zunächst in der Laubke nieder.

Dort wohnt auch Wrenger damals wie heute. Der 93-Jährige war zum Kriegsende 13 Jahre alt und wie er sagt stark durch die Sozialisation in den Jugendorganisationen der Nazis geprägt - genau wie sein älterer Bruder Heinz. Deswegen hatten die Jugendlichen auch große Angst davor, was mit ihnen passieren würde, wenn die Amerikaner erst einmal da sind. &bdquo;Uns wurde von der Hitlerjugend prophezeit, wenn die Amerikaner kommen, dann bringen die euch alle um. Das sind die schlimmsten Feinde“, berichtet Wrenger über die Indoktrination durch die Nazis.

Gerüchte in der Laubke Bereits eine gute Woche bevor die amerikanischen Truppen am 4. April tatsächlich in der Laubke ankamen, machte das Gerücht die Runde, dass der Einmarsch kurz bevorstehe. Eine Nachbarin, die im Lazarett Eben-Ezer beschäftigt war, brachte die Nachricht in Umlauf. &bdquo;Alle waren in großer Aufregung darüber, was uns in den nächsten Tagen bevorstehen würde“, erinnert sich Wrenger. Die besorgten Nachbarn trafen sich, um zu überlegen, wie es weitergehen kann. Einer schlug vor, sich mit Vorräten einzudecken und sich am Biesterberg zu verstecken.

Doch dazu kam es nicht. Vorkehrungen wurden dennoch getroffen. &bdquo;Der Sicherheit halber versteckten Mutter und Opa alle Hitlerbilder, Hitlerbücher und meine Jungvolkuniform“, so Wrenger weiter. Schon einige Tage zuvor hatten sich etwa 300 deutsche Soldaten in der Laubker Schule gesammelt. Am Karfreitag machten sie sich in Richtung der Dörenschlucht im Teutoburger Wald auf den Weg, um sich den Alliierten in den Weg zu stellen - viele der Soldaten waren zu diesem Zeitpunkt bereits in keinem guten Zustand mehr.

&bdquo;An einem Baum aufhängen“ Doch die Lemgoer Nazis wollten weder etwas von der nahenden Ankunft der Amerikaner oder gar einer möglichen Niederlage der Wehrmacht wissen. Ein prominenter Parteikader sei aufgrund der Gerüchte außer sich gewesen: &bdquo;Wer so etwas in der Laubke verbreitet, der ist ein Volksverräter. Er wollte wissen, woher die Gerüchte stammen. Diese Person sollte man an einem Baum aufhängen“, so Wrenger weiter. In der Nacht auf den Ostersamstag schlug aber bereits ein Artilleriegeschoss in den Laubker Schulhof ein. &bdquo;Die Amerikaner vermuteten sicher noch die deutschen Soldaten in der Schule“, erläutert Wrenger. Die Ostertage verbrachte die Familie Wrenger in verhaltener und trauriger Stimmung - und in Sorge darüber, was sie nun erwarten könnte.

Am 4. April erreichten die alliierten Truppen Lemgo. Aus Richtung Schötmar rückten die Kanadier an und aus Richtung Detmold die Amerikaner. Einer der circa 60 deutschen Soldaten, die aus der Dörenschlucht zurückgekehrt waren, sollte das Haus der Wrengers verteidigen - mit einem Karabiner und 60 Schuss Munition. Horst Wrengers Großvater bat den entkräfteten Mann, der bei der Familie ein Frühstück bekam, keine Schüsse abzugeben, um nicht das Feuer der Gegner auf das Haus zu lenken, das erst wenige Monate zuvor von einem abgestürzten Bomber der Air Force stark beschädigt worden war - eine Lehre, die er aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hatte.

Warten im Keller Eine etwa zwei Kilometer lange Verteidigungslinie, die auch durch die Laubke ging, sollte indes die Stadt schützen. Der Versuch einer kampflosen Übergabe durch den Bürgermeister und Nazi Wilhelm Gräfer scheiterte allerdings - er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. Großen Widerstand erfuhren die Amerikaner in Lemgo trotzdem nicht. Bereits am Nachmittag des 4. Aprils erreichten die amerikanischen Soldaten die Laubke und durchsuchten die Häuser nach Männern der Wehrmacht. Der Soldat, der das Haus der Wrenges schützen sollte, wurde von Horst Wrengers Mutter mit Zivilkleidung ausgestattet und entkam. &bdquo;Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört“, erinnert sich der damals 13-Jährige.

Der Kampf begann aber erst am folgenden Tag. Als am Vormittag die ersten Schüsse und Granateinschläge zu hören waren, verschanzte sich die Familie bestehend aus Horst und Heinz Wrenger, ihrer kleinen Schwester Liane, der Mutter und den Großeltern im Keller des Hauses. Die Anweisungen gab der Opa: &bdquo;Sofort alle in den Luftschutzkeller. Jetzt beginnen die Kampfhandlungen.“ Draußen tobten deutlich hörbar die Gefechte. &bdquo;Es war eine unheimliche Schießerei hier“, berichtet Wrenger. Alle hatten &bdquo;entsetzliche Angst“ und nur der kampferfahrene Großvater bewahrte die Ruhe. &bdquo;Opa hat immer wieder versucht, uns zu beruhigen. Mutter hatte die kleine Liane fest in ihren Armen“, so Wrenger weiter.

Soldaten an der Tür Nach zwei Stunden ließen die Kampfgeräusche nach. &bdquo;Wir haben uns nach oben begeben und in die Küche gesetzt“, berichtet Wrenger. Am Nachmittag rückten auch die Panzer in der Laubke ein. Horst Wrenger hatte große Angst. &bdquo;Ich habe zu meiner Mutter gesagt: Wenn die kommen und sehen, dass ich bei der Hitlerjugend war, die schneiden mir die Gurgel durch“, berichtet er weiter. Doch auch das passierte nicht.

Am Nachmittag klingelten amerikanische Soldaten an der Tür der Wrengers und beschlagnahmten das Haus. Für acht Tage sollten dort 250 Mann untergebracht werden. Die Familie hatte eine halbe Stunde Zeit, um das Haus zu räumen. Mit einer Maschinenpistole im Anschlag führte ein Amerikaner Wrengers Mutter zu den Nachbarn, bei denen die Familie für die Zeit der Beschlagnahmung unterkommen soll. Als Wrenger selbst das Haus verließ, traf er zum ersten Mal selbst auf die Menschen, die ihm die Propaganda über Jahre zu Todfeinden erklärt hatte.

Friedliche Menschen Vor der Hofeinfahrt stand ein Jeep mit amerikanischem Fahrer. &bdquo;Kinder, ihr braucht keine Angst vor amerikanischen Soldaten haben. Wir sind alle friedliche Menschen“, sagte er auf Deutsch und erklärte, dass er selbst ein Sohn deutscher Auswanderer ist. Damit war der Bann für Wrenger gebrochen und er sehr erleichtert. Von zwei anderen Soldaten bekamen die Kinder Schokolade hingeworfen, doch sein Bruder verbot ihnen, die Süßigkeiten aufzuheben.

Als seine Mutter am nächsten Tag die Tiere im beschlagnahmten Haus füttern wollte, hatte auch sie große Angst vor den Soldaten, die sie dabei bewachten. Die Nazipropaganda hatte Übergriffe prophezeit. &bdquo;Doch die haben sich gegenüber der Zivilbevölkerung vorbildlich verhalten“, so Wrenger weiter. Wenige Stunden später zog die Truppe wieder aus. Die Unterkunft war zwar verdreckt und durcheinander, besonders weil die 250 Männer ihre Notdurft im Hof verrichtet hatten, doch schon bald war es wieder bewohnbar. Schlechter erging es einigen Nachbarn, deren Häuser beschädigt oder zerstört wurden.

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