Detmold. 2024 war ein zweifaches Erich-Kästner-Gedenkjahr: 125. Geburtstag und 50. Todestag. Der Schauspieler Walter Sittler und seine Tochter Lea-Marie haben aus diesem Anlass unter dem Titel „Prost, Onkel Erich!“ eine literarisch-musikalische Revue präsentiert – im Stil der 1920er Jahre. Mit dem Ensemble „Die Sextanten“ waren sie damit am Samstag im Landestheater zu Gast. Erich Kästner hatte seine produktivste Zeit im Berlin der „Roaring Twenties“. Hier schrieb er Gedichte, die ihn bekannt machten, hier entstand sein erster Roman für Kinder, „Emil und die Detektive“, der ihn berühmt machte. Es schien naheliegend, auf die Kultur jener Zeit zurückzugreifen, als Jazz und Kabarett viele begeisterten. Kästner war als Flaneur mittendrin und mit seiner Gebrauchslyrik ein Teil davon. Einige Gedichte hat Libor Šíma eigens für diese Revue vertont. Mit dem Ziel, erklärt Martin Mühleis, der das Programm konzipiert hat, dass diese Songs „so klingen, als hätte Erich Kästner vor 100 Jahren die Texte dafür geschrieben“. Das ist nicht überzeugend gelungen. Beispiel: „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“ Diese bittere Abrechnung mit deutschem Untertanengeist und Militarismus ist ein ambivalentes Gedicht, beißend spöttisch und zugleich nachdenklich: „Kennst du das Land? Es könnte glücklich sein “ Die Zwischentöne gehen in der Vertonung von Šíma unter. „Irgendwo auf der Welt“ Zugleich sang Lea-Marie Sittler aber auch Schlager-Evergreens, die nicht von Kästner stammen, wie „Irgendwo auf der Welt“ oder „Es gibt nur ein Berlin“. Claire Waldoff und Lilian Harvey wurden damit zu Stars. Die Musik, hier neu arrangiert, ist bis heute vielen im Ohr. Walter Sittler erzählte in Selbstzeugnissen aus dem Leben Erich Kästners, ließ Anekdoten einfließen, las aus den Briefen an das „liebe, gute Muttchen“ vor, die der Dichter täglich schrieb, so lange seine Mutter lebte. Und Sittler zeigte sich als exzellenter Rezitator. Er sprach etwa das „Marschliedchen“ von 1932 („Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen in die Kasernen der Vergangenheit“) fast distanziert-reflektiert, kühl und damit umso überzeugender. Kästner war der einzige profiliert antifaschistische Autor, der 1933 in Deutschland blieb. Nach 1945 versuchte er zunächst als Journalist, dann als Kabarett-Autor, seinen Beitrag zum geistig-moralischen Aufbau der Deutschen nach zwölf Jahren Diktatur zu leisten. Das klang in der Revue an. Später verstummte er mehr und mehr. Die Form der Revue war Stärke und Schwäche zugleich: Es war witzig und unterhaltsam, Walter Sittler glänzte als Schauspieler und seine Tochter als Sängerin. „Die Sextanten“ gaben dem Ganzen mit Violine, Trompete/Flügelhorn, Saxophon, Harmonium, Kontrabass und Schlagzeug einen opulenten musikalischen Rahmen. Aber ein Gesichtspunkt von Leben und Werk, ohne den dieser Autor nicht zu verstehen ist, musste auf der Strecke bleiben: Der Zwiespalt, das Schwanken zwischen Aufklärungsoptimismus und Resignation, kam nicht zur Sprache. Das Publikum empfand das nicht als Mangel. Es gab großen Applaus.