„Lügde, zieht Euch aus!“ - so heizt Kabarettist Thomas Philipizen dem Publikum ein

Lügde. Er ist der Meister der Slow-Motion, redet wie ein Maschinengewehr, verbiegt sich wie ein Gummimensch, springt, schreit, flüstert, rennt, fällt auf die Knie, steht wieder auf, improvisiert – und zieht immer wieder diese herrlichen, unverkennbaren Grimassen: Thomas Philipzen, Kabarettist mit ostwestfälischen Wurzeln, lässt sich in keine Schublade stecken. Beim Kult-Kabarett-Trio &bdquo;Storno“ war der gebürtige Driburger der &bdquo;Springinsfeld“. Eine Rolle, die er in seinem Soloprogramm &bdquo;Hirn in Teilzeit“, das er am Samstagabend im ausverkauften Lügder Klostersaal bei &bdquo;Kultur im Kloster“ bot, fortsetzt.

Worüber er an diesem Abend zweieinhalb Stunden auf der Bühne spricht, spielt und singt? Das lässt sich schwer zusammenfassen. Es geht im weitesten Sinne tatsächlich um die &bdquo;Unbeständigkeit der politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage“, wie es in der Ankündigung heißt.

&bdquo;Der Populist unter den Organen“ Philipzen springt also wortwörtlich von Donald Trump und JD Vance zu Beatrix von Storch und Alice Weigel – was ja bekanntlich kein allzu großer Sprung ist. Er bemüht den Vergleich mit den inneren Organen – allen voran der Galle, die er als &bdquo;der Populist unter den Organen“ bezeichnete.

Dann verlässt er die große Politik und widmet sich den besorgten Helikopter-Eltern, die fürchten, dass ihre U3-Kinder beim traditionellen Ostereiersuchen am Münsteraner Schlossplatz keine Eier abbekommen und eine Elterninitiative gründen, damit die Kleinen ein Extra-Gehege bekommen; er erzählt von den Vätern, die am Fußballplatz stehen und ihre Kids anfeuern: &bdquo;Laauuff...“- den lang gezogenen Laut stößt Philipzen immer wieder aus, während er auf der Bühne herumturnt und pantomimisch den Dickbäuchigen gibt – &bdquo;150 Kilo über Gürtelschnalle – das Kind verwechselt den Vater mit dem Fußball.“

Ja, die lieben Eltern von heute. Wer traut sich da noch, Lehrer zu sein, wenn die Erziehungsberechtigten bei jeder Kleinigkeit die &bdquo;Rechtsanwalts-Bazookas“ rausholen? Wenn es Beschwerdebomben hagelt bei einer Drei minus im Kartoffeldruck und die Sprösslinge sich den Termin zum Nachsitzen inzwischen aussuchen dürfen? Das kommt davon, wenn man erst nach 21 Jahren abstillt, weil &bdquo;der Bart am Busen der Mutter kratzt“.

Achtung, Frontallappen! Philipzen gelingt es auf seine rasante Art, den Finger in die politischen und gesellschaftlichen Wunden zu legen – dabei wird es in zweieinhalb Stunden nie langweilig, denn der Kabarettist ist ein Multitalent. Im Gegenteil: Das Publikum muss höllisch aufpassen, um noch mitzukommen bei diesem Kabarett-Tempo. Aber hey, wofür haben wir unsere Frontallappen?

Er treibt die Absurdität des menschlichen Handels auf die Spitze: Berichtet von Typen, die angesichts der Klimakrise darauf achten, auf dem Aida-Deck nicht auf Tropen-, sondern Subtropenholzmöbeln zu sitzen, die den Fair-Trade-Bio-Kaffee persönlich aus Hamburg holen und lieber Auto als Fahrrad fahren – denn schließlich sei ja bewiesen, dass Radfahrer länger leben und deshalb auch mehr CO2 produzieren.

Unbestrittener Höhepunkt sind seine Grimassen in Zeitlupe, während er die Bundesjugendspiele 1977 und 78 zum Leben nachspielt, jenem &bdquo;Olymp des Scheiterns der Gescheiten“, oder auch die &bdquo;vier Sternstunden der sportbegabten Schulversager“, je nach Sichtweise. Das Publikum verfolgt gebannt, wie Hiltrud Stichelitz (mindestens so schlau wie unsportlich) den 80-Gramm-Schlagball schleudert und am Ende mit dem Geschoss jenen Sachkundelehrer in der Sprunggrube ausknockt, dessen einziger Kommentar während des Wettbewerbs &bdquo;Übergetreten“ ist.

Nackt auf den Tisch und massieren! Der Deutschen Bahn widmet Philipzen aus Dankbarkeit ein Lied, weil sein Zug auf dem Weg nach Köln unvermittelt vor der Hohenzollern-Brücke einen Zwangsstopp einlegen musst – der Zug ist zu früh! Ob die Passagiere tatsächlich nackt auf den Tischen tanzten und sich gegenseitig massierten? Jedenfalls wünscht sich Philipzen das auch von seinem Publikum in Lügde - &bdquo;zieht Euch aus!“.

Ganz so weit kommt es nicht – wo kämen wir denn da hin, in einem Franziskaner-Kloster! Doch am Beifall und Rufen aus dem Publikum lässt sich eindeutig ableiten: Die Zuschauer sind mindestens so begeistert vom rasanten Tausendsassa Philipzen wie die Zuggäste weiland vom flotten Zugführer.

Und zu den unbeantwortbaren Fragen (&bdquo;Warum gibt es im Flugzeug Schwimmwesten statt Fallschirme? Welche Farbe hat ein Schlumpf, wenn man ihn würgt? Warum laufen Nasen und Füße riechen?“) gesellt sich am Ende noch eine neue: Wenn das jetzt nur das Teilzeit-Hirn war, wäre das Produkt aus Philipzens Vollzeit-Hirn dann für unsere Frontallappen überhaupt zu verarbeiten?

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