Ultimatum der Stadt: Salzuflerin (57) muss Wohnung räumen

Bad Salzuflen-Retzen . Mitten im Grünen liegt das Häuschen, in dem Iris Lange seit neun Jahren wohnt. Genauer gesagt lebt sie im Obergeschoss. Sie bezahle 400 Euro warm für gut 60 Quadratmeter, erzählt sie. Doch damit ist wohl bald Schluss. Geht es nach dem Bauordnungsamt, muss Iris Lange ihre Wohnung Anfang nächsten Jahres verlassen. Der Grund: Für die Nutzung als Wohnraum gibt es keine Baugenehmigung. Allerdings: Die Räume sind laut Vermieter seit 1974 fast durchgängig bewohnt.

Angst vor der Zukunft Iris Lange hat Angst vor der Zukunft. &bdquo;Wenn ich keine Wohnung finde, stehe ich demnächst auf der Straße", sagt die 57-Jährige. Als Empfängerin von Sozialhilfe und Besitzerin von zwei Katzen habe sie doch kaum eine Chance, eine neue Bleibe zu bekommen. Sie legt ein Schreiben der Bauordnung vor, dass sie Ende August in ihrem Briefkasten hatte. Darin heißt es, ihr werde untersagt, ihre Bleibe nach Ablauf von sechs Monaten nach Zustellung des Schreibens noch als Wohnraum zu nutzen. Sie wird aufgefordert &bdquo;die Möblierung innerhalb dieser Frist vollständig aus den Räumen zu entfernen".

Jahrzehnte gab es keine Probleme Seit fast einem Jahrzehnt lebt die blonde zierliche Frau nun schon in der Wohnung. &bdquo;Gleich zu Beginn habe ich mich hier offiziell angemeldet", berichtet sie. Auch ihr Vermieter gibt sich erstaunt. Seine Frau hat das Grundstück mit einem Wohnhaus und dem Nebengebäude, in dem Langes Wohnung liegt, ihm zufolge in diesem Jahr gekauft. Zuvor hatte er selbst zehn Jahre zur Miete in dem Wohnhaus gelebt. &bdquo;Auch der vorherige Eigentümer hat mir versichert, dass es nie ein Problem gab, dass in der Wohnung im Nebenhaus Menschen gelebt haben", erzählt er. Weder der Vermieter noch der vorherige Eigentümer wollen ihren Namen in der Zeitung lesen.

Genehmigung als Heuboden Gleichwohl räumt der Vermieter ein, dass die Räume in der Tat nicht als Wohnung genehmigt worden seien. Das gehe aus der Bauakte hervor. Die infrage stehenden Räume befinden sich über einer Garage und einer Stallung. &bdquo;Ursprünglich sind sie genehmigt worden als Heuboden und Futterkammer", sagt der Mann. Allerdings habe das Nebenhaus auch eine eigene Hausnummer. Für ihn ist das ein Beleg, dass dort schon immer offiziell gewohnt wurde: &bdquo;Tiere kriegen keine Post." Dass die Angelegenheit gerade jetzt die Verwaltung auf den Plan gerufen hat, führt er darauf zurück, dass er das gesamte Gelände vor dem Kauf habe vermessen lassen. So sei das Bauordnungsamt wohl darauf gestoßen, dass das Nebengebäude bewohnt sei.

Widerspruch zum Flächennutzungsplan Er würde die Zimmer nun gerne nachträglich als Wohnraum genehmigen lassen. &bdquo;Die Fenster sind groß genug, es gibt einen Fluchtweg und eine Brandmeldeanlage." Bei einem Ortstermin sei ihm das von einem Mitarbeiter des Bauordnungsamts bestätigt worden. Der Grund, warum die Räume nicht als Wohnung genutzt werden dürfen, liegt laut Stadt darin begründet, dass das Gebäude im sogenannten Außenbereich liegt, damit widerspreche es dem Flächennutzungsplan, der das Gebiet als Fläche für die Landwirtschaft ausweist. Eine Nutzungsänderung als Wohnraum lasse &bdquo;die Erweiterung als Splittersiedlung befürchten".

Verwaltung macht keine Hoffnung Dass das Bauordnungsamt die Wohnnutzung im Nachhinein genehmigt, ist wohl eher nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Das Vorhaben erscheine als nicht genehmigungsfähig, heißt es in dem Schreiben der Verwaltung. Warum muss aber nun Iris Lange dafür geradestehen, das vor 46 Jahre keine entsprechende Genehmigung für eine Wohnung eingeholt wurde? Auch dafür wird in dem Schreiben eine Antwort mitgeliefert: &bdquo;Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde sind bei vermieteten (...) baulichen Anlagen regelmäßig gegen den Mieter zu richten." Dieser sei als &bdquo;Handlungsstörer" in Anspruch zu nehmen.

Es droht ein Zwangsgeld Iris Lange droht für den Fall, dass sie nicht auszieht, ein Zwangsgeld in Höhe von 1500 Euro. Und auch das Anschreiben der Verwaltung ist nicht umsonst: Für die zugegangene Bauordnungsverfügung berechnet die Stadt ihr 100 Euro. Iris Lange und ihr Vermieter haben sich mittlerweile eine Anwältin genommen. Alle anderen Schritte seien bisher erfolglos gewesen, berichtet Lange. &bdquo;Ich hatte auch einen Termin beim mittlerweile abgewählten Bürgermeister, aber auch der sagte, er könne mir nicht helfen."

Angst vor der Obdachlosigkeit Sie hoffe eigentlich immer noch, dass die Verwaltung in Zeiten von Corona Milde walten lasse. Sie kann nicht begreifen, dass das Bauordnungsamt sie tatsächlich auf die Straße setzen will. Sie sei gerade dabei, zu versuchen, beruflich wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Die gelernte Tierarzthelferin möchte sich mit Grabschmuck selbstständig machen. Iris Lange befürchtet nun das Schlimmste: &bdquo;Ich sehe mich schon obdachlos mit zwei Tüten durch Bad Salzuflen laufen."

Stadt bietet Hilfe an Die Stadt sieht sich jedenfalls im Recht: &bdquo;Die Nutzungsuntersagung ( der Wohnung, die Red. ) liegt im besonderen öffentlichen Interesse, weil sie die Rechtstreue der Bevölkerung untergrabende Vorbildwirkung einer formell illegalen Nutzung wirksam bekämpft", heißt es wörtlich auf LZ-Anfrage. Die Frau werde &bdquo;mitnichten" aus der Wohnung geworfen. Sie könne sich bei Bedarf von der Stadt beim Finden einer neuen Wohnung unterstützen lassen, verlautete es aus dem Rathaus.

Strafende Hand Ein Kommentar von Sven Kienscherf

Wer die Geschichte von Iris Lange hört, kann nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Da soll eine 57-jährige Frau, die Sozialhilfe bezieht, nach neun Jahren ihre Wohnung verlassen, um dem Flächennutzungsplan genüge zu tun. Der sieht an dieser Stelle keinen Wohnraum, sondern eine landwirtschaftliche Nutzung vor. Wohlgemerkt: 46 Jahre lang hat es vorher offenbar niemanden bei der Verwaltung gestört (oder es ist erst gar nicht aufgefallen), dass in dem Gebäude Menschen wohnen.

Nun muss sich Iris Lange eine neue Bleibe suchen, damit in den Räumen Heu gelagert werden könnte? Weiter kann man sich als Verwaltung nicht mehr von den Bürgern entfernen. Statt mit der Betroffenen nach einer Lösung zu suchen, gefällt sich das Bauordnungsamt offensichtlich als strafende Hand. Vor der Wahl hat der künftige Bürgermeister angekündigt, die Verwaltung solle als Kümmerer wahrgenommen werden. Man darf gespannt sein, ob das mit dieser Mentalität zu machen ist.

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