Salzufler Ratsfrau im Interview: „Als Frau wurde man misstrauisch beäugt“

Bad Salzuflen. Marion Rieso-Wiege ist seit 26 Jahren Ratsmitglied. 16 Jahre davon hat sie dem Jugendhilfeausschuss vorgesessen. Ende Oktober beendet die 63-jährige Sozialdemokratin nun ihre kommunalpolitische Karriere. Sie war nicht mehr zur Wahl angetreten. Im Interview spricht sie über ihre Gründe aufzuhören, über Frauen in der Politik und über die Wahlniederlage ihrer Partei.

Frau Rieso-Wiege , nach über zwei Jahrzehnten ziehen sie einen Schlussstrich unter die Kommunalpolitik. Haben Sie keine Lust mehr auf Ausschusssitzungen und Debatten?

Marion Rieso-Wiege : Ich bin der Meinung, dass solche Ämter zeitlich befristet sein sollten. Es müssen neue Menschen rein, die neue Ideen mitbringen. Eigentlich wollte ich schon eher aufhören, aber ich bin immer wieder gebeten worden, doch weiterzumachen. Es ist ja bekannt, dass die Politik Nachwuchsprobleme hat. Und natürlich fällt so ein Abschied auch schwer, die Auseinandersetzung wird mir sicher fehlen.

Gehen Sie mit einem lachenden oder mit einem weinenden Auge?

Marion Rieso-Wiege : Ich gehe zufrieden. Es ist schon ein Stück Erleichterung dabei. Politische Arbeit ist oft fordernd. Da muss man sich durchboxen, es ist nicht immer nur erfreulich.

Als Sie das erste Mal in den Rat gewählt worden sind, waren sie Mitte 30. Können Sie sich noch erinnern, wie viele Frauen damals in dem Gremium saßen?

Rieso-Wiege : Die Zahl habe ich leider nicht mehr gefunden. Aber 2004, also zehn Jahre nachdem ich in den Rat eingezogen bin, waren es gerade mal 9 Frauen von 48 Ratsmitgliedern insgesamt. 1994 dürften es noch weniger gewesen sein.

Zum Vergleich: Heute sind im Rat mit insgesamt 62 Mitgliedern plus Bürgermeister 24 Frauen vertreten, Politikerinnen stellen also knapp 40 Prozent. Woran liegt es, dass Frauen sich weniger in der Kommunalpolitik engagieren als Männer?

Rieso-Wiege : Das eine ist der Zeitaufwand. Viele Veranstaltungen sind am Abend, auch heute fühlen sich viele Frauen in der Zeit noch zuständig für die Familie. Die andere Sache ist, dass man für die Politik schon ein gewisses Machtstreben mitbringen muss. Man muss bereit sein, sich durchzusetzen und zu streiten. Sonst geht man unter. Frauen versuchen eher auszugleichen und Lösungen zu finden. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass Männer und Frauen zu gleichen Teilen in der Politik vertreten sind.

Hat die Kommunalpolitik Sie verändert?

Rieso-Wiege : Ach, ich war vorher auch schon sehr zielstrebig. Aber zu Beginn musste ich mich durchboxen. Es gab alte Hasen in der Fraktion, bei denen musste ich mir meine Position hart erkämpfen. Als Frau wurde man schon misstrauisch beäugt, wenn man Ansprüche stellte. Der eine oder andere konnte einfach nicht zulassen, dass Frauen auch mitmischten. Man braucht als Frau schon ein gutes Durchhaltevermögen und muss leidensfähig sein (lacht). Auf der anderen Seite gab es auch Männer, die mich stark gefördert haben. Heute stelle ich gerade bei jungen Männern fest, dass Frauen selbstverständlich akzeptiert werden. Das Engagement zählt.

Das jüngste Ratsmitglied ist gerade volljährig. Die große Mehrheit ist aber überwiegend im gesetzteren Alter. Was müsste passieren, damit sich mehr junge Menschen einbringen?

Rieso-Wiege : Viele junge Menschen verlassen die Politik, wenn sie beruflich Karriere machen oder eine Familie gründen wollen. Ich denke, dass Parteien ihre Strukturen ändern müssen, damit Menschen alles unter einen Hut bekommen können. Die Arbeit im Ortsverein und Stadtverband muss verändert werden: Viele Versammlungen sind so angelegt, dass man sich sehen lassen muss, aber es ansonsten nicht besonders produktiv ist. Die eigentliche kommunalpolitische Arbeit mit Sitzungen und der entsprechenden Vorbereitung ist schon zeitaufwendig genug. Man sollte sich stärker auf die relevanten Dinge konzentrieren können.

Was hat Sie an der Kommunalpolitik am meisten genervt?

Rieso-Wiege : Wenn die Politik vor lauter Streitereien die wichtigen Sachen aus den Augen verloren hat. Gerade in der Kommunalpolitik müssen wir für die Bürgerinnen und Bürger da sein und gute Ergebnisse erreichen. Im Jugendhilfeausschuss ist uns das auch oft gelungen. Dann war es aber umso ärgerlicher, wenn es auf einmal in der Verwaltung stockte und unsere Beschlüsse nicht nach vorne gebracht worden sind.

Was hätten Sie sich seitens der Verwaltung gewünscht?

Rieso-Wiege : Ich habe schon den Eindruck, dass die Verwaltung im Laufe der Jahre schwerfälliger geworden ist. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die gesetzlichen Vorgaben immer komplexer geworden sind. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die Bereitschaft, auch mal eine Entscheidung zu treffen und Ermessensspielräume auszunutzen, in den vergangenen Jahren sehr abgenommen hat.

Weniger als die Hälfte aller Wahlberechtigten ist in Bad Salzuflen zur Urne gegangen. Bei vielen Bürgern hat Kommunalpolitik keinen besonders guten Ruf. Ärgert Sie das?

Rieso-Wiege : Ja, das ärgert mich sehr, da durch Kommunalpolitik die Möglichkeit besteht, unmittelbar auf die Lebensqualität vor Ort Einfluss zu nehmen. Hier sollte niemand seine Stimme verschenken. Allerdings zeigt das Wahlverhalten, dass die Kommunikation zwischen Bürgerschaft und Politik verbesserungswürdig ist. Dies liegt aber auch an einem Desinteresse der Bürgerinnen und Bürger.

Die SPD hat in Bad Salzuflen im Vergleich zur vorherigen Wahl fast neun Prozent verloren und kommt nur noch auf rund 25 Prozent. Im Bundestrend liegt die Partei weit darunter. Was macht die SPD falsch?

Rieso-Wiege : Ein gutes Profil kann man nur ausbilden, indem man seine Ziele deutlich nach außen trägt und die Erfolge entsprechend kommuniziert. Da müssen auch die Medien mitspielen. Das ist uns weder im Bund gelungen noch vor Ort. Hinzu kommt das derzeitige Hoch der Grünen. Zudem haben wir auch in Bad Salzuflen unter der Koalition mit der CDU im Stadtrat gelitten. Nehmen Sie als Beispiel die Millionen, die die SPD für die Schulen auf den Weg gebracht hat. Aber der Bürger hat das leider oft nicht wahrgenommen.

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