Bad Salzuflen. Ingrid Mildner-Biesemeier (73) ist ehrlich: Im Urlaub hat sie inzwischen auch keine Fotokamera mehr dabei, ein Handy reicht ihr völlig aus, um Erinnerungen festzuhalten. Wie sie und ihr Ehemann Heinz Mildner (75) handhaben es heute die meisten. Und auch sonst wächst die Konkurrenz durch Digitalisierung, Internet & Co. Oder? Zumindest seien das alles keine Gründe, ihr Fotogeschäft Biesemeier nach 105 Jahren zuzumachen, sagt die Chefin. Trotzdem ist Ende Oktober Schluss. Für immer.
Mit der Entscheidung haben Mildners schon länger gerungen. Vor gut zehn Jahren versuchten sie bereits händeringend einen Nachfolger zu finden, von den beiden Söhnen kam keiner infrage. Doch auch sonst fand sich niemand. Also entschieden sie sich, weiterzumachen, „solange es läuft und Spaß macht“, betonten sie zum 100-jährigen Bestehen vor fünf Jahren. Und das tut es beides, nach wie vor. Trotzdem sei es jetzt Zeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, sagt Ingrid Mildner-Biesemeier.
Ganzes Leben im Geschäft
Sie selbst hat quasi ihr ganzes Leben im Laden verbracht, war als Kind permanent im Geschäft, das 1919 von ihrem Großvater Carl Biesemeier an der Schießhofstraße gegründet wurde. 20 Jahre später ging es an den heutigen Standort in der Osterstraße. „Hier bin ich groß geworden“, sagt die Chefin.

Zur Inhaberin wurde die Enkelin des Gründers dann mit gerade einmal 24 Jahren mehr oder weniger unfreiwillig – sie ist Einzelkind, für die Eltern ist klar, dass sie den Laden weiterführt. Sich dem in der damaligen Zeit zu widersetzen? Undenkbar. Und gemeinsam mit Ehemann Heinz, der selbst Fotograf ist, fuchst sie sich rein, baut den Laden um. Bis heute hat sie als Foto-Einzelhandels-Fachkauffrau den kaufmännischen, er den fotografischen Part inne.
Doch jetzt wollen sie sich noch mehr Zeit für sich und ihre Lieben nehmen – für die beiden Enkelkinder, fürs Reisen, für Sport. „Fahrradfahren, ins Fitnessstudio gehen, einfach die Zeit genießen, nicht im Hinterkopf haben, was man am nächsten Morgen alles machen muss“, sagt Ingrid Mildner-Biesemeier. „Den Kopf frei haben, etwas für sich selbst tun – Hobbys sind immer auf der Strecke geblieben.“
Die Vorfreude auf den Ruhestand überwiegt bei beiden ganz deutlich. Trotzdem: „Das Feedback der Kunden, die Gespräche, den Kontakt, das werde ich schon vermissen“, ist die Inhaberin ehrlich. So viele Stammkunden hätten ihnen über die Jahre die Treue gehalten, einige seien sogar von weiter her angereist, manche seien schon von ihren Großeltern bedient worden. „Das war eine tolle Erfahrung. Die Kunden haben alles ausgemacht.“
Fachkompetenz hat den Laden am Laufen gehalten
Ein paar letzte Beratungen, ein paar letzte Aufträge wickeln sie in den verbleibenden Tagen noch ab, auch der Ausverkauf läuft, immer wieder trudeln auch an diesem Vormittag Kunden mit Kameras oder Sticks voller Bilder ein. Noch stehen einige Bilderrahmen und Fotoalben in den Regalen, hängen Fotos an den Wänden. Bis Ende des Jahres werden die Räume, die Mildners gehören, dann komplett leer geräumt, das Schaufenster wollen sie noch ein wenig dekorieren. Sie hoffen, das Ladenlokal irgendwann vermieten zu können – konkret sei aber noch nichts. „Eines nach dem anderen.“
Die persönliche Beratung und Fachkompetenz der beiden habe das Geschäft über so viele Jahre am Laufen gehalten, sind sich Mildners sicher. Und dass sie als Fachgeschäft spezielle Produkte, auch mal etwas Besonderes anbieten konnten. Zudem seien Passbilder und Fotobücher immer gut gelaufen. Waren Fotoautomaten oder das Internet da keine Konkurrenz? „Eigentlich nicht“, sagt Heinz Mildner. Viele wünschten sich bei Passbildern eben noch einen Menschen hinter der Kamera. „Und bei Fotobüchern trauen uns viele mehr als dem Internet“, ergänzt seine Frau mit einem Grinsen.
Dass beide nach dem eher unfreiwilligen Start das Geschäft am Ende fast 50 Jahre führen würden, hätte Heinz Mildner damals nicht gedacht, ist er ehrlich. „Und mir kommt es auch gar nicht so lange vor“, sagt seine Frau. Spaß gemacht habe es ihnen immer - sie seien dankbar für die Zeit, die Kunden, die Erfahrungen. Und dafür, dass alles mit kleineren Höhen und Tiefen doch immer gut gelaufen sei. „Es hätte ja auch ganz anders kommen können.“
Mehr als 100 Jahre Geschichte
29. Januar 1919: Der Detmolder Carl Biesemeier macht sich mit 29 Jahren in der Schießhofstraße 9 selbstständig. Er eröffnet das erste Fotogeschäft in der Salzestadt. Dort sah er durch die Kurgäste ein besonderes Flair und gute Chancen für sein Geschäft.
1922: Eine Filiale in der Wandelhalle im Kurpark wird eröffnet.
1924: Biesemeier wird erster Rundfunkhändler in Lippe. Unter anderem lädt der Chef zum abendlichen gemeinsamen Radio-Hören.
1930: Das Ehepaar Carl und Emma Biesemeier erwirbt das Haus an der heutigen Osterstraße 31. Drei abgeschlossene Wohnungen werden ausgebaut, zudem erhält das Geschäft zusätzliche Labor- und Arbeitsräume. Ein Jahr später erfolgt der Umzug von der Schießhofstraße an die Osterstraße.

1939: Carl Biesemeier und sein Sohn Walter Georg werden zum Wehrdienst eingezogen. Ehefrau Emma führt das Geschäft allein weiter, bis Carl 1945 aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung nach Hause entlassen wird. Der Rundfunkhandel wird aufgegeben.
1960: Carl Biesemeier übergibt das Geschäft an seinen Sohn Walter Georg und dessen Ehefrau Elfriede. Der Geschäftsgründer verkauft in der Wandelhalle weiter seine Aufnahmen. Dort ist es bis zu seinem Tod 1972 tätig.
1976: Walter Georg Biesemeier übergibt das Geschäft aus gesundheitlichen Gründen an die dritte Generation: seine Tochter Ingrid und deren Ehemann Heinz Mildner. Die beiden gestalten die Verkaufsräume um. Im hinteren Bereich richtet sich Heinz Mildner ein Studio ein.