„Die Sache ist verloren“: So erlebten Bad Salzufler Hitlerjungen das Kriegsende

Bad Salzuflen. Wie haben die Menschen in Bad Salzuflen und Schötmar das Kriegsende vor 80 Jahren erlebt? Darüber berichtet der Historiker Franz Meyer am Donnerstag, 3. April, in der Wandelhalle im Kurpark. Beginn ist um 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Wir haben vorab mit Franz Meyer gesprochen, der bis zu seiner Pensionierung 2018 Chef der Volkshochschule war und zuvor viele Jahre das Stadtarchiv und das Museum der Stadt Bad Salzuflen geleitet hatte.

Sein Vortrag geht auf Recherchen zurück, die er bereits in den frühen 1990er Jahren begonnen hat. &bdquo;Damals habe ich gezielt nach Zeitzeugen der Nazi-Ära gesucht“, berichtet er. Dabei ist er auch auf die Brüder Hermann und Günther Bröker gestoßen, die beide mittlerweile verstorben sind. &bdquo;Sie haben mir ihre Tagebücher überlassen, die sie 1945 geführt haben“, sagt Meyer. Hermann war damals 18 Jahre alt, Günther 14.

Anhänger des Nationalsozialismus Beide waren als Hitlerjungen Anhänger des Nationalsozialismus. Beide besuchten die Oberschule für Jungen, das spätere Gymnasium in der Hermannstraße. &bdquo;Sie kamen aus einer evangelisch-reformierten Familie, in der sie auch religiös erzogen wurden. Das war für sie aber kein Widerspruch zur Ideologie des NS“, sagt Meyer. &bdquo;Sie haben das beides unter einen Hut bekommen.“

Hermann Bröker schreibt am 1. April: &bdquo;Über Nacht ist sie (die Stadt Bad Salzuflen, Anmerkung der Redaktion) zu einer Art Etappenstadt geworden. Truppen, Lastwagen, Panzer und sonstige Fahrzeugkolonnen durchzogen die Straßen. Denen entgegen kamen Flüchtlinge aus dem Westen, teils zu Fuß, teils per Anhalter’; auch lange Kolonnen von russischen und sonstigen Kriegsgefangenen wurden zurückgeführt. () Es ist leider unabänderliche Tatsache, dass seit dem Durchbruch der Amerikaner an der Rheinfront keine rechte deutsche Front mehr existiert.“ Und weiter: &bdquo;Man könnte heulen vor Wut, dass es vor allem an Waffen fehlt. (...) Mit bestem Willen und gläubigem Herzen ist nichts mehr zu wollen. Mir scheint, die Sache ist rettungslos verloren. [] Unser schönes deutsches Vaterland; dass es so einmal enden sollte, wer hätte das gedacht!“

Zähne zusammen beißen In seinem Tagebucheintrag am 2. April heißt es: &bdquo;Jetzt heißt es für alle hier, die Zähne zusammenzubeißen und allen Schwierigkeiten fest ins Auge zu sehen. Was über uns kommt, wissen wir nicht, aber kapitulieren und schwach werden, das gibt es nicht. Denn wir wollen leben!“ Und schließlich am 4. April: &bdquo;Ich kann jetzt auch nicht mehr diese Goebbels-Propaganda hören. (...) Der Krieg ist längst von den Amerikanern entschieden. Jetzt werden sich die Ereignisse überstürzen, und schlimme Zeiten kommen noch.“

Die amerikanischen Truppen nahmen am 4. April 1945 zunächst Schötmar ein, am 5. April dann Bad Salzuflen. &bdquo;Vor allem der Bürgermeister von Schötmar, Gustav Beckmann, hatte sich gegen das Bestreben des NSDAP-Ortsgruppenleiters durchgesetzt, der die Stadt mit aller Gewalt verteidigen wollte“, sagt Meyer. Ähnliches gelte auch für Bad Salzuflen. Mit der mehr oder weniger kampflosen Übergabe von Schötmar und Bad Salzuflen wurde Schlimmeres für die Bevölkerung verhindert, so Meyer.

Sein jüngerer Bruder Günther schreibt am 4. April: &bdquo;Auf dem Lande rauben die Leute Stoff- und Tabaklager aus, und amerikanische Soldaten treiben zankende deutsche Volksgenossen auseinander. Die Gefangenen, Russen hauptsächlich, laufen frei herum und werden immer frecher. Am liebsten möchte ich weinen über Deutschland. Heute wurde mir klar, was ich mir bis jetzt noch nie vorstellen konnte: Deutschland soll von anderen Völkern unterjocht werden!“

Waffen abgeben Über den 5. April heißt es: &bdquo;Sämtliche Waffen mussten abgegeben werden. Viermal schon waren bei uns amerikanische Soldaten und hielten eine oberflächliche Haussuchung ab. Vaters Revolver und meinen guten zweiläufigen Colt nahmen sie uns ab.“ Zwar zieht er in Erwägung, später passiven Widerstand zu leisten, aber ihm ist klar, dass es im Grunde vorbei ist: &bdquo;Jetzt irgendwelchen Widerstand leisten, wäre nicht gut, denn dadurch würde unsere Lage nur noch schlimmer. Aber weiße Fahnen hissen wir auch nicht eher, als bis es uns aufgezwungen wird.“

Zwar seien von einigen Bürgerinnen und Bürgern weiße Fahnen gehisst worden, sagt Franz Meyer. &bdquo;Die überwiegende Mehrheit der Bewohner der Kurstadt dürfte allerdings – wie die Mehrzahl der Deutschen überhaupt – den Untergang des Dritten Reiches als totale Niederlage, als Sturz ins Bodenlose empfunden haben“, so der Historiker, der in seinem Vortrag weitere Zeitzeugen in Form von Tagebucheinträgen zu Wort kommen lässt.

Die Zeit der Amerikaner in Schötmar und Bad Salzuflen währte nicht lange. Am 10. Mai 1945 übergaben sie die Städte an die Briten. Die Befürchtungen, nun werde es der Bevölkerung schlecht ergehen, bestätigten sich nicht.

Disziplinierte Soldaten &bdquo;Sowohl bei den Briten als auch den Amerikanern handelte es sich um disziplinierte Soldaten“, sagt Meyer. Übergriffe seien die Ausnahme gewesen. Gleichwohl kommt in seinem Vortrag auch der Tod von zwei Schötmaraner Frauen zur Sprache, die am 6. April von einem vermutlich betrunkenen US-Soldaten erschossen worden seien, wie Meyer berichtet.

Die vorliegenden Zeitzeugenberichte seien heute noch wertvoller als Mitte der 1990er-Jahre, sagt Franz Meyer. &bdquo;Da die meisten von ihnen mittlerweile verstorben sind.“ Eine ernsthafte Aufarbeitung der NS-Zeit habe in vielen Regionen des Landes erst in den 1980er-Jahren begonnen. Meyer: &bdquo;Zuvor haben viele Deutsche – zum Teil auch aufgrund eigener Verstrickungen – nichts davon wissen wollen.“

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